Dienstpflicht und Zwangsarbeit

Bau der „Reichsautobahn" im Kreis Daun (1939-41)

Wolfgang Schmitt-Kölzer, Wittlich-Dorf

Vor 75 Jahren wurden die Bauarbeiten an der sogenannten Reichsautobahn durch die Eifel eingestellt. Sie war als durchgehende Verbindung aus dem Kölner Raum über Trier nach Saarbrücken/Kaiserslautern geplant worden mit einer ergänzenden Ost-Westverbindung von Gießen über Koblenz bis Mehren.

Baubeginn

Anfang Oktober 1939 erklärten die Baubehörden den Streckenabschnitt Wittlich-Ulmen zur dringlichsten Strecke im Bereich der obersten regionalen Bauleitung in Frankfurt/Main. Der Baubeginn erfolgte erst nach Beginn des Zweiten Weltkriegs. Einen „freien Arbeitsmarkt" gab es nicht mehr. Da die meisten jungen Männer zum Militär eingezogen worden waren, blieben als Arbeitskräfte zunächst fast nur „Dienstverpflichtete". Diese waren entweder 18-25 jährige im Rahmen des sechsmonatigen „Reichsarbeitsdienstes" oder ältere Deutsche, die auf Grundlage der „Verordnung über die Sicherstellung des Kräftebedarfs für staatspolitische Aufgaben" vom 13. Februar 1939 auf unbestimmte Dauer zur Arbeit an der Autobahn verpflichtet werden konnten. Aber selbst diese waren rar, wie wir in einem Dokument des Hessischen Hauptstaatsarchivs in Wiesbaden erfahren: Der Streckenabschnitt litt von Anfang an unter grösstem Arbeitermangel, da die zuständigen Arbeitsämter nicht in der Lage waren, der RAB (Reichsautobahn) wegen anderweitiger Verpflichtungen (Westwallbauten, Flugplätze etc.) Leute zuzuweisen. Ein anderer schwieriger Punkt war, dass für die Leute auf der Strecke keine Unterbringungsmöglichkeiten vorhanden waren. Die Ortschaften in der Nähe der RAB auf der gesamten Strecke von Wittlich bis Ulmen sind derart mit Militär belegt, dass Privatpersonen nur schwer Unterkünfte finden. Fünf Autobahn-Lager im Kreis Daun Die Bauabteilung Wittlich, die für diesen Streckenabschnitt zuständig war, ließ insgesamt 18 Baracken-Lager errichten, die meisten zwischen November 1939 und April 1940. Diese wurden von anderen Autobahn-Bauabschnitten, aus Standorten des Reichsarbeitsdienstes oder militärischen Einrichtungen „umgestellt". Im ehemaligen Kreis Daun entstanden fünf Lager zur Unterbringung von über 1400 Personen, wie wir einer Statistik des Bundesarchivs in Berlin entnehmen können:
• Brockscheid (535 Plätze)
• Mehren I (266 Plätze)
• Mehren II (198 Plätze)
• Mehren III (120 Plätze)
• Steiningen (300 Plätze)

Dienstverpflichtete und erste Zwangsarbeiter

Die ersten „Dienstverpflichteten" waren beim Lageraufbau und der Baustelleneinrichtung für die Baufirmen eingesetzt, wie die 40 Arbeiter im Lager Brockscheid, die zum Teil vom Westwall gekommen waren und jetzt für die Firma Lenz & Co. arbeiten mussten. Sie beschwerten sich heftig über die katastrophalen Zustände im Lager - sanitäre Anlagen waren noch nicht vorhanden, Waschwasser gab es nur in Schüsseln, als Beleuchtung gab es nur Spirituslampen. Es gab lediglich eine „Notküche" und im Lager war es extrem kalt. In diesem Winter sanken die Temperaturen bis auf -28 Grad. Empört waren die Arbeiter vor allem darüber, dass ihre Löhne mehr als zehn Prozent unter denen am Westwall lagen. In verschiedenen Lagern kam es deshalb zu organisierten Arbeitsniederlegungen, so in Hasborn und Wittlich. Im März 1940 erreichte die Zahl der Arbeiter im Streckenabschnitt zwischen Wittlich und Ulmen mit ca. 2500 einen ersten Höchststand, darunter waren auch Zwangsarbeiter. Im Bau- abschnitt Mehren waren bei der Firma Müller & Froitzheim ca. 200 „Zöglinge" aus dem im Oktober 1939 eingerichteten Polizeihaftlager/ SS-Sonderlager Hinzert eingesetzt. Es waren meist junge Männer, die im Rahmen des Reichsarbeitsdienstes (RAD) zum Westwall „verschickt" worden und dort durch Arbeitsverweigerung oder andere „Disziplinlosigkeiten" aufgefallen waren. Zwecks „Erziehung" kamen sie in mehrwöchige Polizeihaft nach Hinzert und wurden von dort täglich nach Mehren an die Autobahn und zurück transportiert. Unter „Erziehung" verstanden die Nationalsozialisten eine „intensive pausenlose Arbeit bei strengster Disziplin". Die Bewachung erfolgte durch die SS. Da das Gelände bei Mehren offensichtlich zu unübersichtlich war und „Fluchtgefahr" bestand, wechselten die „Zöglinge" Mitte April 1940 auf die Baustelle bei Wittlich-Dorf.

Kriegsgefangene, ausländische Zivilarbeiter und Strafgefangene

Bis Oktober 1940 stieg die Zahl der Autobahn-Arbeiter auf ca. 5000 an, darunter allein über 2000 Kriegsgefangene, vor allem aus Frankreich. Einer von ihnen, Andre Michelet, schrieb später, dass die Arbeit an der Autobahn extrem hart gewesen sei. „Wir blieben immer hungrig". Es gab nur wenig zu essen, am Ruhetag gab es gar nichts. Im Lager Brockscheid waren damals 530 Kriegsgefangene interniert. Die meisten polnischen Kriegsgefangenen waren ab Sommer 1940 zu „Zivilarbeitern" .umdeklariert' worden. Sie verloren dadurch jeden völkerrechtlichen Schutz und den Schutz des Internationalen Roten Kreuzes. Als Zivilarbeiter mussten sie jede vom Arbeitsamt zugewiesene Arbeit verrichten und durften ihre Arbeitsstelle ohne Genehmigung des Arbeitsamtes oder der Polizei nicht verlassen. Unerlaubtes Verlassen der Arbeitsstelle wurde bestraft und hatte eine sofortige Verhaftung durch die Polizei zur Folge. Heinrich Himmler hatte mit den sogenannten Polen-Erlassen ein rassistisches Sonderrecht für Millionen von polnischen Zwangsarbeitern eingeführt. Die Kennzeichnungspflicht durch den Buchstaben „P" an der Kleidung - eine erste sichtbare Stigmatisierung von Menschen im nationalsozialistischen Deutschland - diente der Ausgrenzung der „slawischen Untermenschen" aus der sog. „Volksgemeinschaft". Zeitzeugen berichteten, dass die Aufseher sie an der Autobahn wie Sklaven behandelten, viele von ihnen misshandelten und einzelne töteten. In den Jahren 1940/41 waren neben Polen auch Niederländer, Belgier, Italiener. Spanier, Jugoslawen, Russen, Slowaken und Ukrainer als zivile Zwangsarbeiter an der Eifelauto-bahn interniert. Im Frühjahr 1941 zogen die Nazis die französischen Kriegsgefangenen von der Autobahn in die Landwirtschaft und die Rüstungsindustrie ab. Damit war das Projekt „Reichsautobahn in der Eifel" eigentlich schon gescheitert. Die Weiterarbeit erfolgte nur noch auf einzelnen Streckenabschnitten. Die Baubehörden setzten dazu verstärkt Justizgefangene ein. Allein im Lager Mehren II, zu diesem Zweck vergrößert, waren im August 1941 mehr als 370 interniert.

Zwangsarbeiter aus Luxemburg

Am 10. Mai 1940 hatte die Wehrmacht das neutrale Luxemburg besetzt. Ab Frühjahr 1941 schickten die Nationalsozialisten verstärkt Luxemburger als Zwangsarbeiter an die Eifelautobahn, nachdem Gauleiter Simon auch dort einen „Reichsarbeitsdienst" eingeführt und eine „Sicherstellungsverordnung" erlassen hatte. Unter ihnen befanden sich die Rädelsführer einer studentischen Protestaktion, bei der sich 200 luxemburgische Studenten auf der Burg Stahleck anlässlich einer „Umerziehungs-Schulung" erfolgreich gegen die Versuche gewehrt hatten, ihnen die NS-Ideo-logie und das „Deutschtum" aufzuzwingen. Neben vielen des Amtes enthobenen Beamten und von Berufsverbot betroffenen Freiberuflern, die in den Lagern Wittlich-Dorf, Eckfeld, Mehren und Steiningen interniert waren, kamen im Spätsommer 54 Luxemburger Juden ins RAB-Lager Greimerath/Eifel. Da es vergleichsweise viele Zeitzeugenberichte aus Luxemburg gibt, sollen die Leidenswege zweier Zwangsarbeiter beispielhaft näher vorgestellt werden.

Luxemburger Zwangsarbeiter an der Eifelautobahn. Foto: Livre d'Or de la resistance luxembourgeoise

Lambert Schaus im Reichsautobahn(RAB)-Lager Steiningen

Lambert Schaus wurde am 18.01.1908 in Luxemburg geboren und ist dort am 10.08.1976 gestorben. Nach dem Abitur 1927 am Athenäum in Luxemburg-Stadt studierte Lambert Schaus Jura an den „Cours superieurs" und an den Universitäten Toulouse, Algier, Grenoble, Paris und Bonn. Während seiner Studentenzeit war er Präsident des internationalen Verbandes der katholischen Studenten Pax Romana, dem er bis 1940 in seiner Funktion als Präsident des Sozialsekretariats verbunden blieb. Zwischen 1932 und 1952 sowie von 1973 bis 1976 war er Rechtsanwalt am Appellationsgerichtshof. Ab 1935 war Schaus im Gemeinderat der Stadt Luxemburg für eine konservative Partei, aus der nach dem Zweiten Weltkrieg die Christlich-Soziale Volkspartei (CSV) hervorging, deren Generalsekretär er kurzzeitig war. Am 09. Mai 1941 wurde Lambert Schaus seiner beruflichen und politischen Ämter enthoben und zum Arbeitsdienst an die Autobahnbaustelle bei Steiningen zwangsverpflichtet. Nach dem Krieg schrieb Schaus über diese Zeit, dass die luxemburgischen Zwangsarbeiter zwar den einfachen Straßenbauarbeitern gleichgestellt waren, aber dennoch nur einen Mindestlohn erhielten. Er schrieb weiter, dass die Wohnbedingungen in den Lager-Baracken primitiv waren. Auch wenn die luxemburgischen Zwangsarbeiter bestimmten Baufirmen zugeordnet waren, verblieben sie in der direkten Überwachung durch die Gestapo. Diese verschärfte später die Bedingungen in den RAB-Lagern: für einen Wochenendbesuch in Luxemburg, der alle zwei Monate erlaubt war, war eine spezielle Genehmigung der Gestapo erforderlich. Bedrückend war auch, dass die Gestapo Spitzel in die Lager einschleuste. Ziel der harten und ungewohnten körperlichen Arbeit in der Eifel, dem „Sibirien Deutschlands", war es, die Luxemburger zu demütigen und ihren Widerstand gegen die deutschen Besatzer zu brechen. Im Sommer 1941, nach dem Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion, nahmen Unsicherheit und Angst unter den luxemburgischen Zwangsarbeitern an der Autobahn zu, weil die Nazis offen damit drohten, sie zu deportieren und bei Bauprojekten im Osten einzusetzen. Dazu kam die Angst um die Familien. Waren die Tage schon lang und entbehrungsreich, waren die Nächte genauso schwer und geprägt von Unruhe. Die Luxemburger hielten zusammen, und dies erleichterte ihre Situation. Im Lager Steiningen schrieb Lambert Schaus Gedichte, darunter das noch heute in Luxemburg bekannte „De' vun der Stross", das später vertont wurde. Das Ende der „L'aventure de l'autostrade" (Schaus), also des Abenteuers Autobahn in der Eifel, kam für die Nazis schneller als sie es erwartet hatten. Ende 1941 wurden die letzten Bauarbeiten eingestellt, weil die Rüstungsindustrie und der Osten .wichtiger' waren. Anfang November verließen die ersten Luxemburger Zwangsarbeiter die Autobahnlager, die letzten Ende Dezember. Nur etwas mehr als 10 Kilometer der Eifelautobahn waren fertig gestellt. Die Luxemburger Beamten wurden jetzt an anderer Stelle in untergeordnete Verwaltungsarbeiten eingesetzt. 1942 versetzten die Nazis Lambert Schaus ans Landratsamt in Cochem. Im Jahre 1943 folgte seine „Absiedlung" als „Deutschfeindlicher". Er kam in das Zwangsarbeiterlager in Nestomitz, Schreckenstein und Oberkrat-zau, im von den Nazis einverleibten Gebiet, das sie als „Reichsgau Sudetenland" bezeichneten, heute in der Tschechischen Republik. Über 4000 Luxemburgerinnen und Luxemburger, oftmals ganze Familien, erlitten die „Absiedlung", u.a. weil ihre Söhne sich geweigert hatten, in die deutsche Wehrmacht einzutreten. 1944 konnte Lambert Schaus nach Luxemburg zurückkehren, von 1946-1948 war er luxemburgischer Wirtschafts- und Armeeminister und ab 1955 Botschafter seines Landes in Belgien. 1958 wurde er Mitglied der ersten EWG-Kommission als Kommissar für Verkehr, Inneren Markt und Landwirtschaft. Von 1967 bis 1973 war Lambert Schaus Botschafter bei der NATO. Er blieb dem europäischen Gedanken verbunden und lehrte ab 1973 als Gastprofessor europäisches Transportrecht an den Universitäten Louvain und Triest.

Lambert Schaus als EWG-Kommissar. Foto: EU: Ref: P-008894 00-3 (1960)

Der Leidensweg des Pierre Biermann

Pierre Biermann wurde am 08. April 1901 in Grevenmacher geboren und ist am19. September 1981 in Luxemburg gestorben. Pierre Biermann war luxemburgischer Oberschul-Lehrer und Autor. Er unterrichte Latein, Philosophie und Geschichte am Athenäum in LuxemburgStadt. Er wurde gleich nach Schulbeginn im Herbst 1940 aufgrund von „Beschwerden" über ihn vom Sicherheitsdienst (SD) verhört und im Oktober 1940 ins „Umschulungslager Stromberg" geschickt. Biermann hatte seine Schüler schriftlich vor dem Eintritt in die Hitlerjugend gewarnt. Er verfasste erfolglos eine Petition an den Oberschulrat gegen die Versetzung von Luxemburger Lehrern ins „Reich". Er selbst erhielt die zwangsweise Versetzung zur Prinz-Georg-Schule in Düsseldorf. Am 20. Mai 1941 entließen die Nazis ihn aus dem Staatsdienst und wenige Tage später folgte seine Internierung als Zwangsarbeiter im RAB-Lager in Steiningen. Anfang 1942 erhielt Biermann die Dienstverpflichtung an die Kreissparkasse in Trier. Bis zu seiner Verhaftung am 19. August 1942 in Trier engagierte sich Biermann im Luxemburger Widerstand und auch in der Fluchthilfe für Juden. So brachte er das Ehepaar Tutor und das Ehepaar Emile und Lily Marx nach Belgien, dem jüdischen Klavierlehrer Kurt Heumann half er, nachdem dessen Vermieter ihn auf die Straße gesetzt hatte. Nach seiner Verhaftung war Pierre Biermann fast drei Jahre in den Konzentrationslagern Hinzert (22. August 1942 - Januar 1943), Natzweiler (Januar bis August 1943) und Buchenwald (August 1943 - 11. April 1945) interniert. Er überlebte all diese Torturen und konnte nach Luxemburg zurückkehren. Seine leidvollen Erfahrungen verarbeitete er in seinem noch im selben Jahr veröffentlichten Buch: „Streiflichter aus Hinzert, Natzweiler, Buchenwald". Nach Kriegsende verbrachte Pierre Biermann im Auftrag der Luxemburger Regierung ein Jahr in Genf an der Ecole internationale. Danach nahm Pierre Biermann seine Tätigkeit am Athenäum bis 1961 wieder auf. Im Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar spielte Biermann eine wichtige Rolle als Verbindungsmann zur illegalen Lagerleitung. Am 22. April 1947 war er als Zeuge im Buchenwald-Prozess eingeladen. Das Foto zeigt ihn dort mit dem Radioreporter Werner Klein und dem Übersetzer Rudolf Nathanson. Im Jahre 1949 sagte Pierre Biermann im Prozess gegen Gestapo-Beamte vor dem Gerichtshof für Kriegsverbrechen im Großherzogtum Luxemburg aus. Nach dem Un-garn-Aufstand 1956 gründete Pierre Biermann aus pazifistischer Motivation das „Mouvement national pour la paix." Im Jahre 1968 veröffentlichte er eine zweibändige Lebensgeschichte mit dem Titel: „Texte statt Memoiren - Ein Beitrag zur Kulturgeschichte Luxemburgs".

Verwendete Quellen:
Archivunterlagen: Bundesarchiv in Berlin, Landeshauptar-chiv in Koblenz, Hessisches Hauptstaatsarchiv in Wiesbaden und Nationalarchiv in Luxemburg Nicolas BOSSELER, Raymond STEICHEN, Livre d'or de la Resistance luxembourgeoise de 1940 - 1945, Esch-sur-Al-zette 1952
Germaine GOETZINGER (Hrsg.) Luxemburger Autorenlexikon, Mersch 2007
Lambert SCHAUS, Lidder aus dem Exil, Luxemburg 1945
Der Autor plant für 2016 die Veröffentlichung einer umfangreichen Studie zum Bau der "Reichsautobahn" in der Eifel (1939-1941/42)