Der Strosse Pitter und der Besuch des Landrates

von Lorenz Bastges, Kelberg-Zermüllen (aus dem Jahre 1 9 3 3 ) - neu bearbeitet von Helmut Pauly, Kradenbach -

Der Strosse Pitter aus Boxberg war noch ein rechter derber Eifelbauer von altem Schrot und Korn und konnte jedem, mochte er nun seines Gleichen sein oder höher stehen, unverblümt die Meinung sagen. Er hieß allgemein „De Strosse Pitter", weil er sich an der heutigen Bundesstraße 410 ein massives Haus gebaut hatte, nachdem sein Häuschen im Ort baufällig geworden war. Die Bauern im Dorf mieden die Bundesstraße, da allerhand fahrendes Volk diese unsicher machte. Aber der Friederichs hatte keine Angst vor ihnen. Und da er auch geschäftstüchtig war, eröffnete er auf seinem Anwesen eine Schankwirtschaft. Er trank selber gern einen guten Tropfen und hoffte, ihn auf diese Weise zu verbilligen. Die Wirtschaft wurde dann auch bald beliebt. Im Dorf hieß der Peter allgemein „De Strosse Pitter". Bei seiner Körpergröße wusste er sich gut gegen lästige Gäste durchzusetzen. Das wussten die Dorfbewohner und auch bei dem fahrenden Volk hatte sich das herum gesprochen. Schlimm war es schon einmal zugegangen, als zurückkehrende Soldaten aus dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 bei ihm Rast machten. Hier stellte er einen Offizier, der es gar zu derb trieb, zur Rede. Bei dem war er aber an die falsche Adresse geraten, als der sein Fäuste einsetzte. Vor lauter Wut über diese Vorkommnisse schlug Pitter des Wirt- schaftsschild herunter, so als wolle er nie mehr etwas mit der Gaststätte zu tun haben. Später beruhigte er sich, aber das Schild wollte er nicht mehr aufhängen. Er meinte, anständige Leute, die zu ihm kommen wollten fänden ihn auch ohne Schild. Der Strosse Pitter hatte eine unangenehme Angewohnheit. Er trank den Schnaps stets aus der Flasche. Auch dann, wenn er ihn anschließend seinen Gästen ins Glas einschenkte. Die einheimischen Bauern hatten sich daran gewöhnt. Wenn aber einmal ein Fremder kam und dem das nicht gefiel, sagte er in seinem Dialekt: „Mein Maul hält jenau en Schnaps, und wenn Dir dat net passt, dat ech zuiescht trinke, dann jank, ech esse och noch Brut ohne dech." Muckte der Andere dann noch auf, setzte ihn Pitter ganz sachte vor die Tür.

Der Besuch des Landrats

Man sprach auch bald außerhalb des Ortes von dem derben und eigentümlichen Wirt. So hatte auch der Landrat in Daun von ihm gehört. Der damalige Landrat von Daun war ein gebürtiger Graf, ein schlichter Edelmann, der für die Bauern im Kreis viel Gutes getan hat. Er liebte die ehrliche Art der Eifeler Bauern und so wollte er anlässlich einer Inspektionsfahrt auch einmal den grobkörnigen Strosse Pitter kennen lernen. Über den Ortsbürgermeister ließ er dem Pitter ausrichten, dass er ihn mal besuchen werde. Maria Catharina, seine Ehefrau, musste die Wirtsstube scheuern und auf Vordermann bringen. Er selbst, ungeduldig ob des hohen Besuches, ging schon eine Stunde vor der geplanten Ankunft des Landrates in der Wirtsstube auf und ab. Er holte den Besen, fegte nochmals durch die Stube und stellte die Flaschen und Gläser in Reih und Glied auf. Dabei schaute er ständig auf die Straße in Richtung Dreis, ob nicht bald der Dienstwagen käme. Aber er sah nichts als einen ziemlich normal gekleideten Fußgänger. „Ein Tippelbruder" sagt er zu seiner Frau. „Wenn der Kerl bloß nicht herein kommt. Oje, er kommt doch. Aber den werde ich schnell wieder los sein." „Guten Morgen Herr Wirt", da war der Tippelbruder schon in der Stube. „Morgen" sagt Pitter, „willst Du ein Stück Brot?" „Nein", sagt der Fremde, „ich möchte einen Schnaps trinken" und lässt sich unaufgefordert an einem Tisch nieder. Pitter lief wieder einmal zum Fenster um Ausschau zu halten. Gott sei Dank sah er noch nichts von dem hohen Besuch und schenkte dem Besucher einen Schnaps ein. „Du, den Schnaps schenke ich Dir, wenn du schnell austrinkst und machst, dass Du weg kommst. Um 9.00 Uhr kommt der Landrat, dann will ich nicht so einen Bruder wie Dich hier sitzen haben. Das macht für meine Wirtschaft einen schlechten Eindruck." Der Fremde sagte nichts, trank seinen Schnaps gemütlich aus und warf einen Groschen auf den Tisch. Pitter, ärgerlich darüber, dass seine Aufforderung so schlecht befolgt wurde, steckte den Groschen ein und schaute zur Uhr, die schon beträchtlich nahe Richtung neun Uhr rückte. Er überlegte, wie er diesen lästigen Menschen schnell loswerden könnte. Gut, der Wagen kam noch nicht. Inzwischen hatte der Gast sein Glas geleert und einen neuen Schnaps bestellt. Der Pitter hatte sich inzwischen den Gast etwas genauer betrachtet und kam zu dem Schluss, dass es sich wohl doch um einen etwas „besseren" Tippelbruder handelte. Aber das sind die Schlimmsten, bei denen muss ich mein Radikalmittel versuchen. Er nahm die Schnapsflasche, tat einen guten Zug und schenkte dann dem Gast ein. „Na, sagen Sie mal Herr Wirt, das ist aber sehr unanständig. Aus der Flasche, aus der Sie selbst trinken, schenken Sie Ihren Gästen ein. Pfui, nun bleibe ich aber erst recht hier und werde dem Landrat sagen, was für einen sauberen Wirt er in seinem Kreis hat." Nun war aber bei dem Strosse Pitter Feuer unterm Dach. „Hast Du gehört, Mariekät" rief er seiner Frau, „der Kerl nennt mich Herr Wirt, sagt Pfui und spuckt mir noch in die Stuff (Stube) die wir so schön geputzt haben". Dabei packte er den Gast am Kragen. „Du Lappes bist schlimmer als ein Tippelbruder, Du willst mich beim Landrat anschwärzen, aber daraus wird nichts." In den Säustel (Saustall) kommst Du, bis der Landrat wieder weg ist und dann rechne ich mit Dir ab. Dann lernst Du erst richtig den Wirt und den Strosse Pitter kennen." Dabei zerrte er ihn aus dem Wirtshaus hinaus auf den Hof. Vor den Schweinestall hatte er seinen Gast schon gebracht und wollte nun den heftig Widerstrebenden da hinein zerren. Plötzlich fuhr ein Wagen in den Hof. Dem entstieg der Bürgermeister und ging auf die beiden zu. War es Wirklichkeit oder träumte er? Er konnte kein Wort hervorbringen, als er die beiden Streitenden sah. „Herr Friederichs, Herr Wirt, was machen Sie denn da? Aber Herr Landrat", wendete er sich nun Pitter's Opfer zu. Wie vom Blitz getroffen stand der Pitter da. Lächelnd begrüßte der Landrat den Bürgermeister und meinte: „Da war es höchste Zeit, dass Sie kamen, sonst wäre ich da hineingeraten". Er zeigte auf den Schweinestall. „Dann hätten Sie mich in Boxberg vergeblich gesucht." Pitter, der nun die Lage erkannte, wusste nichts anderes als sich in seiner derben Art mit dem Fluch „Kreuzdonnerwetter" Luft zu machen. Er drehte sich um, ging zu seinen Ochsen im Stall und ließ die beiden Herren stehen. Landrat und Bürgermeister gingen nun zusammen in die Gaststube zu Pitter's Frau, um auf den Schreck erst einmal einen zu trinken. Mariekät, die das ganze Schauspiel beobachtet hatte, entschuldigte den Pitter nach ihrer Art so gut sie konnte. Der Landrat wehrte ab und klopfte ihr auf die Schulter. „Schon gut liebe Frau, ich habe den Strosse Pitter kennen gelernt. Beruhigen Sie sich nur, es geschieht ihm nichts. Aber eines will ich Ihnen sagen: Wenn ich nochmals in Euer Gasthaus komme, fahre ich mit meiner feinsten Karosse vor und nehme mir zum Schutz meinen Kammerdiener mit."