Heimat ist ...

Die Entwicklung des Heimatbegriffes und seine Renaissancen

Jan Pontzen, Daun

Das Schwerpunktthema -Heimat- des diesjährigen Heimatjahrbuches des Landkreises Vulkaneifel hat mich sofort angesprochen. Ich beobachte, dass der vor einigen Jahren noch belächelte Begriff „Heimat" zunehmend einen positiven Klang erhält, er erfährt eine Art Renaissance. Vielen Menschen wird deutlich, dass in einer globalisierten und sich stetig verändernden Welt, die Heimat, wie auch immer sie definiert wird, ein Anker und Kraft gebender Ruhepol sein kann. Im Heimatbegriff liegt etwas bescheidenes und trotzdem stolzes, etwas, das nicht mit Macht und Geld aufzuwiegen ist. Es ist an der Zeit, den Heimatbegriff in die Zukunft zu führen, das Altmodische und Kleinbürgerliche, das ihm immer noch anhaftet abzustreifen und ihn als Begriff wieder offensiv zu gebrauchen. Betrachtet man den Begriff „Heimat" über die vergangenen Jahrhunderte, wird deutlich, dass er sich in einem stetigen Wandlungsprozess befindet, häufig eine Vereinnahmung durch Politik und Ideologie erfahren hat und heute wieder eine aktive und unbedenkliche Verwendung findet. Der Inhalt des Begriffs ist trotz vieler Veröffentlichungen nur schwer fassbar, eine allgemeingültige Definition quasi unmöglich. Ich möchte in der Folge die Entwicklung des Begriffes „Heimat" bis heute nachzeichnen.

Die Entwicklung des Begriffes „Heimat" bis zum Jahr 1904

Der Begriff „Heimat", der auf den deutschen Sprachraum beschränkt ist, hat eine über tausendjährige Geschichte. Im Althochdeutschen „heimöti" leitet er sich von dem Substantiv „Heim" ab, das in seiner ursprünglichen Bedeutung „Niederlassung" und „Wohnsitz" bedeutet. In der deutschen Schriftsprache ist „Heimat" seit dem 15. Jahrhundert nachweisbar und wird in dieser Form auch schon von Martin Luther verwendet. Im deutschen Sprachraum wird der Begriff für die Beschreibung eines Raumes verwendet, der mit dem „engsten Lebensbereich des Menschen" übereinstimmt. Die konkrete Verbindung zu den Wohnstätten des Menschen spiegelt sich noch heute in zahlreichen Ortsnamen wieder, wie die Beispiele Hillesheim, Uxheim, Mannheim oder Rosenheim belegen. Über Jahrhunderte war „Heimat" ein nüchterner Rechtsbegriff, der eng mit Besitz in Form von Haus und Hofstelle verbunden war. Im Mittelalter stand der Begriff auch im Gegensatz zu „Fremde" und „Elend". Im 16. Jahrhundert entstand der Rechtsbegriff „Heimat". Die Reichspolizeiverordnungen von 1530, 1548 und 1577 enthalten die Verpflichtung der Stadt- und Landgemeinden für die Personen aufzukommen, die ein Heimatrecht, also Eigentum in der jeweiligen Gemeinde besitzen. Durch die lange Verknüpfung des Heimatbegriffs mit dem Geburtsort wird vermutet, dass daher auch die sehr ausgeprägte emotionale Komponente des Heimatbegriffs herrührt. Mit dem Beginn des 19. Jahrhunderts, der aufkommenden Industrialisierung und einer durch sozioökonomische Bedingungen erzwungenen zunehmenden Mobilität der Arbeiter verlor der Heimatbegriff seine rechtliche Bedeutung. Das Phänomen „Heimat" erlebte seine eigentliche Hochkonjunktur im literarischen, politischen und pädagogischen Bereich und wurde zum „Wertbegriff". Nun begann die Verwandlung des Heimatbegriffs zu einem „imaginären Wunschbild", und somit der zunehmende Bezug zur Realität. Zunächst bildete sich nun in kleinräumigen sozialen und politischen Strukturen der konservative Heimatbegriff heraus, der jedoch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts größere Bevölkerungsteile erreichte. Vor allem im gebildeten Bürgertum entstand eine Stimmung, die die zunehmende Industrialisierung, Verstädterung und die Zentralisie- rungstendenzen kritisierte und offen dagegen Stellung bezog. Als Ziele der ersten Bewegungen wurden beispielsweise die Förderung der ländlich-bäuerlichen Lebensweise, die Überwindung des „Stadt-Land-Gegensatzes" sowie die Erhaltung der Umwelt und Natur für die Menschen genannt. Der Heimatbegriff wurde mit einer aufkommenden Fortschrittskritik verbunden. Heimat wurde zunehmend emotionalisiert und zur Antwort auf den Verlust von vertrauter Umgebung oder Entwurzelung durch die rasanten gesellschaftlichen Veränderungen stilisiert. Heimat wurde mit Symbolen verbunden, die noch nicht vom Fortschrittsprozess erfasst waren und aus der Romantik heraus mit positiven Assoziationen verbunden waren. Der Heimatbegriff des 19. Jahrhunderts war, aufgrund seiner Nähe zur konservativen Zivilisationskritik und seinen häufig rückwärtsgewandten Thesen, immer der Gefahr ausgesetzt antidemokratisch oder national missbraucht zu werden. Parallel zu den allgemeinen nationalistischen Tendenzen im Deutschen Reich setzte um die Jahrhundertwende eine allmähliche Politisierung des Heimatbegriffs ein.

Der Heimatbegriff in der Zeit von 1904 bis 1945

Die Besonderheit des deutschen Heimatbewusstseins lag etwa bis zur Reichsgründung 1871 darin, dass es sich auf relativ kleine Räume bezog und keinen Bezug zu übergeordneten Begriffen wie Nation und Vaterland herstellte. Dies lag begründet in der territorial zersplitterten Situation in Deutschland. Ende des 19. Jahrhunderts erstarkte eine Gegenbewegung, die erreichen wollte, dass „Heimat" mit der Nation und dem Nationalen eng verbunden wird. Im aufstrebenden Deutschen Kaiserreich wurde diese Sichtweise von staatlicher Seite unterstützt, um das abstrakte Gebilde „Staat" zu einer persönlichen Angelegenheit der Bürgerinnen und Bürger zu machen und eine unmittelbare Betroffenheit der Bevölkerung zu erreichen, wenn die außenpolitische Sicherheit des Staates bedroht wurde. Mit dem verlorenen 1. Weltkrieg wurde das regionale Heimatverständnis weiter in den Hintergrund gedrängt, es begannen die rassis- tischen und teilweise antisemitischen Strömungen in Verbindung mit „Heimat" aufzukeimen. Ende der 1930er Jahre und Anfang der 1940er Jahre erlebte der Missbrauch des Heimatbegriffs seinen Höhepunkt. Der Heimatbegriff wurde in der Zeit des Nationalsozialismus rassistisch uminterpretiert. So wurde beispielsweise in den eroberten Ostgebieten eine aggressive Vision von der „deutschen Heimat" propagiert und die „Heimat" zum Rechtfertigungsinstrument für die Eroberung von „neuem Raum". Der Nationalsozialismus vereinnahmte den Heimatbegriff, verformte und verfälschte ihn und nutzte ihn politisch aus.

Der Heimatbegriff nach dem 2. Weltkrieg

Der 2. Weltkrieg stellte für den Heimatbegriff eine tiefe Zäsur dar. In den späten 40er Jahren war für die Auseinandersetzung mit dem Heimatbegriff kein Platz. Der Heimatgedanke und die Versuche, Heimatbewusstsein und Heimatbildung zu entwickeln, erschien für viele Menschen in Deutschland wie ein nutzloses Überbleibsel und die trotzige Haltung der Ewiggestrigen. Zuerst verwendet wurde der Heimatbegriff zunächst von den Vertrie-benenverbänden und Landsmannschaften, die besonders in den 50er Jahren den Heimatbegriff mit ihrem Schicksal verknüpften und ihn damit über viele Jahre prägten. Ende der 50er Jahre ist dann auch wieder die „Heimat" als Hoffnungsträger und Sehnsucht nach einer vergangenen Zeit sichtbar. Diesmal in Form von Heimatfilmen und Heimatromanen, die von der breiten Bevölkerung als Rückzug vom Alltag und als Mittel zur Verdrängung der Kriegserfahrungen gerne angenommen werden. In der DDR setzte ab 1949 eine intensive Auseinandersetzung mit dem Heimatbegriff ein, bevor er ab 1958 als „sozialistische Heimat" von staatlicher Seite instrumentalisiert wurde. In den 60er und 70er Jahren führte der Heimatbegriff ein Nischendasein und überdauerte die Jahre im Wesentlichen in regional- und ortsgeschichtlichen Zusammenhängen und Publikationstiteln.

Die Renaissancen des Heimatbegriffes

Überblickt man die letzten 30 Jahre, treten zwei Renaissanceperioden des Heimatbegriffs

auf. Zu nennen sind hier die 1980er Jahre sowie die Jahre nach dem Jahrtausendwechsel. NEUMEYER (1991) geht in der Einführung zu seinem Buch „Heimat: zu Geschichte und Begriff eines Phänomens" auf die Renaissance in den 1980er Jahren ein. NEUMEYER schildert, dass genau wie beim Hineintreten des Heimatbegriffs in die größere Öffentlichkeit Ende des 19. Jahrhunderts, in den 1980er Jahren das (Wieder)Aufkommen des Heimatbegriffs als Reaktion zu sehen ist auf „zunehmend als bedrohlich empfundene Erscheinungen der industriellen Massengesellschaft, wie Anonymität und Funktionalität, Vereinheitlichung und Zentralisierung, aber auch massiven Gefährdungen der menschlichen Existenz durch Umweltbeeinträchtigungen von der zersiedelten, zubetonierten Landschaft über die „Unwirtlichkeit" der Städte bis zur Verschmutzung von Luft, Gewässern und Wäldern [...]." Diese Reaktion drückte sich in Form von Bürgerinitiativen aus, die begannen, sich gegen vorhandene Strukturen und Missstände öffentlich aufzulehnen und dagegen zu demonstrieren. Dabei trat dann auch der Heimatbegriff wieder öffentlich in Erscheinung. Um möglichst viele Menschen zum Widerstand zu motivieren und gegen Veränderungen im direkten Lebensumfeld einzutreten, wurde der Heimatbegriff auf Plakaten und in Protestschreiben gerne und häufig verwendet. Neu war, dass der Heimat- begriff nun auch auf innerstädtische Quartiere angewendet wurde. In den 90er Jahren trat der Einsatz des Heimatbegriffs in der Öffentlichkeit wieder etwas in den Hintergrund, wobei gerade in den neuen Bundesländern nach 1990 eine Vielzahl von Neu- und Wiedergründungen von Vereinen zu verzeichnen sind, die das Wort „Heimat" im Namen tragen. Die jüngste Renaissance, die sich bis heute in der vermehrten Verwendung des Heimatbegriffs in der Regionalentwicklung, im Naturschutz oder auch in Buch- und Projekttiteln widerspiegelt, setzte im Jahr 2001 ein. So kann ein positiv besetzter Heimatbegriff die Menschen zusammenführen, motivieren um Altes zu bewahren oder Neues zu schaffen.

Quellen und weiterführende Literatur:
BEHRENS, H. (2007): Zum Begriff „sozialistische Heimat". Die Begründung eines Heimatbegriffs in der DDR in den 1950er Jahren. In: Naturschutz und Biologische Vielfalt 47,Bonn-Bad-Godesberg, S. 255-273.
FRANKE, N. (2003): Heimat und Nationalsozialismus: Historische Aspekte. In: Natur und Landschaft 78, H. 9/10. S. 390-393.
KÖRNER, S. (2003): Naturschutz und Heimat im Dritten Reich. In: Natur und Landschaft 78, H. 9/10. S. 394-400.
KÖRNER, S. (2007): Heimat in der globalisierten Welt. In: Naturschutz und Biologische Vielfalt 47,Bonn-Bad-Godesberg, S. 403-409.
NEUMEYER, M. (1991): Heimat; zu Geschichte und Begriff eines Phänomens, In: Kieler Geographische Schriften 84. Kiel.
PIECHOCKI, R. (2007): Heimat- Begriffsentstehung und Begriffswandel. In: Naturschutz und Biologische Vielfalt 47, Bonn-Bad-Godesberg, S.19-41.