Der Begriff „Heimat"

Ethnologische und siedlungsgeografische Wandlungen unseres Heimatraumes

Hubert Pitzen, Stadtkyll

Heimat - das ist ein Begriff, der nur schwer zu definieren ist. Erst mit Hilfe diverser Heimatbezüge lässt sich das Wort wie ein Mosaik zusammenfügen und somit einer genaueren Bedeutung zuführen. Etymologisch hat der Begriff „Heimat" seine Wurzeln im indogermanischen Wort „haima" bzw. im althochdeutschen Begriff „heimo-ti", was soviel wie „Heim" oder „Heimstatt" bedeutet. Heimat ist also da, wo der Mensch durch Geburt oder Lebensumstände verwachsen ist. Das englische Suffix „-ham" wie in Birmingham hat dieselbe Bedeutung. Heimat besitzt, wenn man so will, fünf Komponenten. Zunächst ist der Mensch in einer bestimmten Region „beheimatet" oder „heimisch". Man ist dort sozusagen verwurzelt. Heimat ist die Landschaft, in die man hineingeboren wurde, wo man aufgewachsen ist. Manch einer sieht die Heimat in der Eifel, der andere in der Vulkaneifel und ein Dritter lediglich im Heimatdorf. Dann wäre die soziale Komponente zu nennen. Gemeint sind die Menschen, mit denen man in Verbindung steht: die Eltern, Geschwister, Verwandte, Freunde und Bekannte sowie die Vorfahren. Es folgt die emotionale Dimension: die Bindung an die Heimat, die eigentlich nie endet. So mancher empfindet ein kaum zu unterschätzendes „Heimweh", auch wenn er seine „Wahlheimat" gefunden hat. Hinzu gesellt sich die kulturelle Seite, die besonders in den 50-er und 60-er Jahren des letzten Jahrhunderts aufkam. Es war die Zeit der Heimatfilme und Heimatabende, der Gründung von Heimatvereinen und Heimatmuseen. Auch lagen hier die Anfänge der Heimatjahrbücher und -kalender. Edgar Reitz setzte seiner Heimat, dem Hunsrück, durch die Filmtrilogie „Heimat" ein Denkmal. Möglicherweise existiert auch eine virtuelle Heimat, wenn jemand beispielsweise in einem Verein oder in einer Firma seine Heimat gefunden hat.

Die kelto-römische Mischbesiedlung

Kernpunkt allen menschlichen Lebens ist die Naturlandschaft, die sich durch geomor-phologische Prozesse bildete und an die sich die Menschen anpassten. Schon der Mensch des Paläolithikums hielt sich durch sporadische Jagdzüge in unserem Raum auf, wovon archäologische Funde in der Buchenlochhöhle bei Gerolstein und in den Höhlensystemen des Kartsteins bei Weyer Zeugnis geben. Die erste dauerhafte Besiedlung unserer Heimat geschah im Neolithikum (4000-2000 v. Chr.), in dem allerdings nur die Randlandschaften der Eifel dünn besiedelt wurden. Innerhalb einer großen Völkerbewegung drangen Bauern (Bandkeramiker) aus dem Donauraum in unsere Region vor. Die neolithische Revolution wurde geprägt durch das Sesshaftwerden des Menschen, die Domestikation der Wildtiere und einen primitiven Getreideanbau, der in der Vulkaneifel bereits 2500 v. Chr. belegt ist. In der jüngeren Bronzezeit wurden die höher gelegenen Eifel-gebiete besiedelt, insbesondere die fruchtbaren Kalkmulden, die Relikte des flachen Devonmeeres darstellten. Diese Kalkmulden erstrecken sich in einer Nord-Süd-Zone. Insgesamt lassen sich für die Eifel acht Mulden nennen: die Sötenicher, Blankenheimer, Rohrer, Dollendorfer, Ahrdorfer, Hillesheimer, Gerolsteiner und Prümer Kalkmulde. Um 1000 v. Chr. siedelten sich, von Süden vorstoßend, die „Urnenfelderleute" in unserem Raum an. Ihr Name stammt von ihrer Bestattungspraxis. Seit etwa 700 v. Chr. traten die ebenfalls von Süden kommenden Kelten in unserem Raum in Erscheinung. Mit ihnen verbunden ist die Eisenverarbeitung (Hunsrück-Eifel-Kultur; 750-250 v. Chr.). Gleichzeitig drangen germanische Stämme von Norden vor, sodass die Eifel eine kelto-germanische Mischbevölkerung aufwies.

Modell einer typischen Keltensiedlung, Zeichnung des Verfassers

Der römische Feldherr Caesar berichtet in seinem „Gallischen Krieg" von den in der Eifel ansässigen Stämmen. So lebte ein großer keltischer Stammesverband im Trierer- und Moselraum, die Treverer, von dem sich der Name Trier ableitet. Ihr Siedlungsgebiet dehnte sich nach Norden über die Wittlicher Senke bis zum Bitburger Gutland aus. Siedlungsgeografisch ist es jedoch schwierig festzustellen, wo genau keltische Wohngebiete entstanden, vor allem, weil ihre Siedlungen aus Naturmaterialien gebaut waren, die mit der Zeit verrotteten. Hinzu kommt, dass die Kelten keine schriftlichen Zeugnisse hinterließen. Was wir über sie wissen, stammt meist aus ihren Gräbern. Jedenfalls existierten keine stadtähnlichen Siedlungen, wie sie allerdings im süddeutschen Raum nachweisbar sind. Hier kann man die Relikte der Keltenstädte „Heuneburg" auf der Schwäbischen Alb und „Manching" bei Ingolstadt besichtigen. Viele Zeugnisse aus keltischer Zeit sind aber auch bei uns erhalten geblieben. Der bedeutendste Fund ist ein Eisenverhüttungsplatz bei Hillesheim, den man 1928 entdeckte. Er gehört zu den frühesten Anlagen dieser Art nördlich der Alpen. Eine ebensolche Sensation war die Ausgrabung eines Wagengrabes in einem Totenhaus an gleichem Ort. In einer Grabgrube befanden sich Überreste eines keltischen Kriegers oder Fürsten. Neben diversen Beigaben kam ein zweirädriger Streitwagen zutage, mit dem der Krieger/Fürst die Reise ins Totenreich begann. Weitere keltische Spuren sind die Fliehburgen, in die sich die Bevölkerung bei germanischen Überfällen zurückziehen konnte. Solche Fliehburgen sind auf der „Dietzenley" zwischen Gerolstein und Büscheich, auf dem Hochkelberg, auf der „Steineberger Ley" und dem Weinberg zwischen Kerpen und Berndorf nachweisbar. Inwieweit diese Anlagen ihren Zweck erfüllten, wissen wir nicht. Im Nordeifelraum siedelten kleinere germanische Stammesverbände wie die Condrusen, Caeroser und Paemanen. Die ersten vorrömischen Germanenstämme, die nach Süden vordrangen, folgten wiederum den Kalkmuldenzonen, die ehedem schon als Leitlinien gedient hatten. Das Ausbreiten der Germanenstämme resultierte aus dem zwischenzeitlich erworbenen Besitz an Eisenwaffen. Verwirrung über die Zugehörigkeit der verschiedenen Stämme, ob sie nun germanischer oder keltischer Abstammung waren, kam unter den Ethnologen Anfang der 70er Jahre auf. Nach dem Saarbrücker Historiker Hochmann zu schließen, waren viele Stämme, die seit den Römern für germanisch gehalten wurden, keltischer Herkunft. Sogar die Kimbern wurden von Caesar den Germanen zugeordnet, die vor allem den Westeifelraum bei ihrem Zug nach Süden tangierten. Jedenfalls wird durch archäologische Funde und früheste schriftliche Quellen erhärtet, dass unser Heimatraum zunächst eine germanisch-keltische Mischbevölkerung beherbergte. Später erfolgte eine Vertreibung oder Überlagerung der Kelten durch die Germanen, sodass beim Auftauchen der Römer nur noch der keltische Stamm der Treverer im Südeifel- und Moselraum anzutreffen war.

Rekonstruktionszeichnung des Hillesheimer Wagengrabes, Quelle: Hillesheim - Die schöne Eifel

Die römische Fremdherrschaft

Mit dem Vordringen der Römer endete die schriftlose Zeit. Caesar eroberte (58 - 51 v. Chr.) Gallien und somit den Eifelraum. Detailliert beschrieb er die Kriegsereignisse. Letztendlich musste die keltisch-germanische Mischbevölkerung die militärische Überlegenheit der Römer anerkennen. Die Römer waren trainierte Berufssoldaten. Das kelto-germanische Heerwesen hatte wenig mit der römischen Kriegsmaschinerie mit ungeheurer Disziplin, den effektiven Befehlsketten, den eingeübten Marsch- und Gefechtsformationen sowie der Waffen- und Belagerungstechnik zu tun. In römischer Zeit änderte sich das Siedlungsbild unserer Heimat gewaltig. An der Peripherie der Eifel entstanden die ersten Städte wie Trier, Koblenz, Bonn oder Köln. In der Eifel selbst legten die Römer an den Militärstraßen Herbergs- und Umspannorte (Mansionen und Mutationen) an. Für unseren Raum werden auf römischen Straßenkarten Ausava (Oos/Büdesheim), Icorigium (Jünkerath) und Marcomagus (Marmagen) genannt. Eine fast flächendeckende Besiedlung mit Gutshöfen (villa rustica) scheint festzustehen. Spuren von industriellen und handwerklichen Betrieben finden sich an vielen Stellen: Kalkbrennereien, Töpfereien, Eisenschmieden, Glasbläsereien und Ziegeleien. Nicht zu vergessen sind die Kultstätten, wo Legionäre ihre Götter verehrten, sowie die Wasserleitungssysteme von der Eifel nach Köln. Ein fantastisch ausgebautes Straßennetz verband die Metropolen und überzog auch unseren Heimatraum. Mit der ansässigen Bevölkerung standen die römischen Besatzer in guten wirtschaftlichen Beziehungen. So lieferte die Landbevölkerung Nahrung, Kleidung und Waffen, wodurch auch die Eifel einen wirtschaftlichen Aufschwung erlebte.

Die fränkische Landnahme

Bereits während der römischen Besatzungszeit kam es zu gelegentlichen Germaneneinfällen in das linke Rheingebiet. In den Jahren 275/76 überfielen fränkische Krieger den Eifelraum, wobei ihnen viele Vici (Straßensiedlungen, meist mit Marktrecht) und Gutshöfe wegen ihrer Bevorratung von Lebensmitteln und Gerätschaften zum Opfer fielen. Eine stärkere Befestigung der Rheingrenze, die Anlage des Limes und die Ummauerung der Vici zu Kastellen vermochten nur für wenige Jahrzehnte für relative Ruhe zu sorgen. Doch als die große Völkerwanderung mit dem Hunneneinfall (375) Europa erneut in Aufruhr versetzte, war es um die Römerherrschaft geschehen. Nun drückte der Germanenstamm der Franken unserer Heimat seinen Stempel auf. Am Niederrhein waren im fünften Jahrhundert aus vielen kleineren Volksgruppen die Ripuarier (Rheinufer-Franken) und Salier entstanden. Durch massive Eroberungszüge rückten diese in die Eifel vor, wobei sie auf den hervorragenden Römerstraßen bequem ins ehemalige römische Gebiet einfallen konnten. Die kelto-römische Bevölkerung setzte sich nach Süden ab. Villen, Gutshöfe und Kastelle waren nun der Verödung preisgegeben. Nur Reste der niederen einheimischen Volksschichten blieben zurück, die dann von den fränkischen Grundherrschaften aufgesaugt wurden. Erst mit dem siebten und achten Jahrhundert begann eine systematische Ansiedlung unserer Heimat durch die Franken, die man als „fränkische Landnahme" bezeichnet. Bedeutungsvoll ist, dass sich seit der Inbesitznahme der Eifel durch die Franken die Volkstums-lage unserer Vulkaneifelheimat kaum noch verändert hat. Da die Franken die römischen Steinbauten nicht nutzten, legten sie neue Siedlungen an. Dörfer, Weiler und Einzelhöfe in Fachwerkbauweise prägten nun unser Landschaftsbild. Wie die Kelten wählten die fränkischen Bauern zunächst die fruchtbaren Kalkmulden. Das übrige Eifelland muss man sich immer noch als großes Waldgebiet vorstellen. An wasserreichen Bächen und Flüssen, in windstiller Lage und in der Nähe von Quellen entstanden die fränkischen Siedlungen. Archäologisch sind im Gegensatz zur Römerzeit keine fränkischen Wohnplätze nachweisbar. Jedoch gehen unsere heutigen Dörfer und Städtchen in ihren Ursprüngen auf diese zurück. Eine spätere Bebauung derselben Siedlungskerne über Jahrhunderte hinweg hat die Spuren der fränkischen Wohnbereiche verwischt. Nur mit Hilfe der Ortsnamen-Endungen ist eine Datierung der Entstehung der fränkischen Dörfer zu bewerkstelligen. Die frühesten fränkischen Dörfer erkennt man an den einsilbigen Ortsnamen. In den Kalkmulden häufen sich die Ortsnamen auf -heim, -ingen und -dorf, die im achten Jahrhundert entstanden. Erst seit dem neunten Jahrhundert begann man mit der Besiedlung der Schieferund Grauwackenzonen. Die Ortsnamen-Endungen jener Siedlungsepoche sind die auf -berg, -tal, -bach, -born und -feld. Erst im zehnten und elften Jahrhundert begann man, bedingt durch einen Bevölkerungsanstieg, Siedlungsflächen durch Rodungen zu erschließen. Diese Rodungsgründungen sind durch die Endungen auf -rath, -reuth, -roth, -scheid und -schlag zu identifizieren.

Modell des „Vicus Icorigium", Schülerarbeit der Graf Salentin Schule, Jünkerath

Von Dörfern zu „Städten"

Zwischen dem zehnten und 13. Jahrhundert entstanden in unserer Heimat größere Ansiedlungen, die bereits einen stadtähnlichen Charakter aufwiesen. Man bezeichnet sie als „Minderstädte", wobei sich ihre Einwohnerzahl auf 300 bis 400 Menschen schätzen lässt. Hillesheim und Stadtkyll zählen hierzu. Voraussetzung für diese Stadtentstehungen war ein Bevölkerungsanstieg, der verschiedene Ursachen hatte. Zunächst einmal gab es eine Zeit relativer Kriegsruhe und die tödlichen Epidemien gingen zurück. Entscheidend aber war eine Klimaveränderung durch einen Temperaturanstieg. Die Temperaturen waren damals höher als heute. Nun fielen die Ernten üppiger aus, sodass Hungersnöte eingedämmt werden konnten. Die Ernährungslage ist generell immer ein Maßstab für die Bevölkerungsentwicklung. Hinzu kam, dass die landwirtschaftliche Produktion durch verbesserte Anbaumethoden (Dreifelderwirtschaft) und technische Innovationen (Räderpflug, Kummet, Hufeisen) erheblich gesteigert werden konnte. Die meisten Stadtrechtsverleihungen sind zwischen dem zehnten und 13. Jahrhundert nachweisbar. Zunächst bildeten sich größere Ansiedlungen im Bereich einer Burganlage (Daun und Gerolstein). Anhand diverser Attribute kann man heute noch die Stadtrechte nachweisen. Da ist zunächst die Stadtbefestigung mit Mauer, Toren und Türmen zu nennen. Sie bot den Einwohnern nicht nur Schutz vor Überfällen, sondern sie markierte die Grenze zwischen Stadt und Nicht-Stadt. Das alte Sprichwort „Bürger und Bauer scheidet nichts denn die Mauer" fängt diese Trennung ein, wobei die Mauer zwei Lebenswelten und Rechtsräume zerteilte. Hinzu kam die Ansiedlung von Handwerkern und Kaufleuten, die durch die Ausstellung von sogenannten „Freiungsurkunden" durch die Grundherren geschah. Diese Urkunden enthielten meist bestimmte Privilegien. Vor allem das Marktrecht gestaltete sich als wirtschaftliche Voraussetzung einer Stadtverwaltung. Für Handel und Handwerk wurde ein besonderer Friedensund Rechtsbereich nötig, was sich im Standort eines Gerichtes (Vogtei) ausdrückte. Hiermit einhergehend erließen die Feudalherren auch Bürgerordnungen, wie sie für Stadtkyll noch überliefert sind. Alle Bürger waren verpflichtet, sich mit „Kost und Lohn" am Bau der Stadtmauer zu beteiligen. Bei Baufälligkeit hatten die Bewohner für schnelle Reparatur zu sorgen. Dies traf auch auf marode Schornsteine zu. Wegen der großen Feuergefahr war das Bierbrauen auf dem Kochherd untersagt. Die Bürgerordnung regelte auch die Zusammensetzung des Stadtrates mit Schultheiß und Schöffen. Mit Beginn der ersten Pestpandemie von 1347 bis 1351 endete der Bevölkerungsanstieg und somit auch die Stadtrechtsverleihungen. Unsere Eifeler Städtchen erhielten als Folge eines Bevölkerungsschwundes die inoffizielle Bezeichnung „Flecken".

Fremd(e) in unserer Eifelheimat

Dörfer und Flecken wiesen eine festgefügte Bevölkerungsstruktur auf, vor allem durch die noch fehlende Mobilitätsmöglichkeit. Fremde oder Migranten waren eine Seltenheit. Innerhalb der Dörfer und Städte lebten allerdings jüdische Mitbürger, die in größeren Städten eigene Wohnbereiche zugewiesen bekamen. So ist beispielsweise in Trier eine Judengasse bekannt. Ghettoisierung und eine Kleiderordnung zeugen bereits von einer gesellschaftlichen Diskriminierung. Jüdische Familien erhielten von den Feudalherren das Privileg, sich ansiedeln zu dürfen. Meist waren sie Kaufleute oder Viehhändler, die für ihren Schutz den „Judentribut" zu entrichten hatten. So bezahlte der Jude Moyses in Stadtkyll einen Reichstaler pro Quartal. Am 11. November 1698 stellte der Blankenheimer Graf Franz Georg dem „Judt" Löw samt Weib und Kindern einen „Schutz- und Geleidtsbrieff" aus und gewährte ihnen „Schirm und Protection". Die Familie erhielt die Erlaubnis, sich im Flecken Stadtkyll oder „anders wohin in unßerem Land sich häußlich aufzuhalten und wohnen zu können, hantieren und nahrungs zu treiben, in unserem Land frey, sicher und ungehindert zu gehen und zu stehen". Dies geschah nicht kostenlos, denn die Familie hatte jährlich sechs Reichstaler an die Rent-meisterei nach Gerolstein zu bezahlen. Nach Ablauf von sechs Jahren musste Löw einen neuen Schutzbrief erbitten. Der Graf befahl dem Schultheißen und dem Gericht zu Stadtkyll, den anderen Gerichten seiner Grafschaft sowie allen Untertanen, die jüdische Familie vor Gewalt zu schützen. Doch nicht immer war es leicht, die sechs Reichstaler Schutzgeld aufzubringen. In einem undatierten Schreiben bittet Löw, ihn „wiederumb gnädig aufzunehmen". Doch „ durch diesen betrübten Krieg ist es unmöglich deß Schutzgeldt zu gewinnen, darnebens alle bürgerliche Beschwernuße und Schatzungen unß helffen abtragen und so mir bey diesen betrübten Zeiten schwer fallen thut... " Erhielten die Juden kein oder nur ein zeitlich limitiertes Niederlassungsrecht, trifteten sie häufig ins vagabundierende Betteljudentum ab. Aufgezwungene Beschränkungen auf wenige Erwerbszweige sowie der Judentribut schwächten ihre Wirtschaftskraft. 1780 war ein Drittel der jüdischen Eingesessenen in der kurkölnischen Eifel ohne gültige Schutzbriefe und somit von Ausweisung und Verlust der Habe bedroht. Während der Zeit des Merkantilismus versuchten die Feudalherren, Neubürger durch Gewährung von Privilegien und Befreiung öffentlicher Dienste anzulocken. Der Blankenheimer Graf Salentin Ernst ordnete an, dass ein „Ausländer" (Nichtangehöriger seiner Grafschaft) einen Bauplatz geschenkt bekommen sollte. Zuwanderer aus anderen Regionen sollten die Wirtschaft ankurbeln. Hierzu zählten Spezialisten wie die aus der Wallonie (Südbelgien) stammenden Leinen- oder Wollweber. Die vom Grafen erlassene Zunftordnung förderte ihr Handwerk. Ebenfalls wallonischer Abstammung war Johan de L'Eau, der erste Hütten- oder Reitmeister der Jünkerather Eisenhütte, die durch die Initiative Salentin Ernsts 1687 gegründet wurde. Johan de L'Eau hatte bereits auf der Ahrhütte fungiert und brachte als Hüttenmeister viel Erfahrung mit. Die wallonischen Reitmeister waren bekannt für ihre genauen Kenntnisse der Schmelzprozesse und der Weiterverarbeitung des Eisens. Von Zeit zu Zeit erschienen in unseren Heimatdörfern Vaganten, die sich aber nur kurz in der festgefügten, bäuerlich geprägten Dorfstruktur blicken ließen. Wandernde Handwerker, die saisonal entfernte Arbeitsmärkte aufsuchten, und wandernde Verlegersysteme wie die Nerother Mausfallenkrämer gehörten ebenso dazu wie die Dienstanbieter der Kesselflicker und Scherenschleifer. In der Eifel lag die Zahl der Vagabundierenden in „normalen" Zeiten bei drei bis vier Prozent der Bevölkerung. Der Prozentsatz stieg in Notzeiten auf zehn bis 20 Prozent. Seit dem Spätmittelalter gehörten folgende Gruppen zur vagabundierenden Armenpopulation: Sinti und Roma, die in Familienverbänden reisten und Hausierund Bettelwesen betrieben; Scharfrichter und Abdecker; Spielleute, Schausteller, Zauberer sowie Nekromanten (Wunderheiler und Wahrsager). Durch das Abtriften in die Kleinkriminalität waren Vagabunden in unseren Dörfern meist nicht willkommen. Fremde erschienen besonders in Kriegszeiten. Durchziehende oder einquartierte Kriegsvölker stellten eine große Gefahr für Leib und Leben dar, denn Plünderungen und Brandschatzung waren an der Tagesordnung. Zu der allgemeinen Armut gesellte sich der Verlust von Hab und Gut und somit der Existenz. Vor allem zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges und der Napoleonischen Expansionskriege litt die Ei-felbevölkerung. Einquartierungen bedeuteten eine große Belastung. Man war froh, wenn die „Gäste" wieder von dannen zogen. Während der beiden Weltkriege kam es zu Einquartierungen von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern hauptsächlich auf Bauernhöfen. Nach dem Ersten Weltkrieg erschienen Besatzungstruppen. Zum ersten Mal sah man farbige französische Soldaten, die aus den afrikanischen Kolonien stammten. Während des Ruhrkampfes (1923) bewachten hauptsächlich marokkanische Soldaten die Gleisanlagen, um Anschläge zu verhindern. Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörten viele Afroamerikaner zu den US-Besatzungstruppen, die uns Kindern und Jugendlichen in den 50er und 60er Jahren wie Exoten erschienen. Neben den Besatzungstruppen zogen viele Vertriebene und Flüchtlinge aus den ostdeutschen Gebieten in die Eifel. Die Wohnungsnot wurde durch Neubauten der Gemeinden abgefedert. Auch in unserer Heimat halfen Gastarbeiter aus den südeuropäischen Ländern beim Wiederaufbau. Ein weiterer Migrantenzuzug durch Russlanddeutsche aus der ehemaligen Sowjetunion begann verstärkt Anfang der 90er Jahre. Heute kommen Flüchtlinge aus den Krisengebieten Afghanistans, Syriens und dem Irak sowie aus den armen Ländern Afrikas. Man kann nur hoffen, dass eine Willkommenskultur zur Integration dieser Menschen beitragen kann. Im Laufe der letzten 150 Jahre verließen aber auch viele Menschen unsere Heimat, um in der Ferne ein neues Leben zu beginnen - aber das ist eine andere Geschichte.

Modell der „Stadt an der Kyll", Schülerarbeit der GS Stadtkyll