Landei oder Großstadtpflanze?

Andrea Götten, Düsseldorf

Freitagnachmittag auf der Al bei Köln. Nur im Schneckentempo geht es vorwärts. Eigentlich wäre ich in weniger als zwei Stunden von Düsseldorf aus in Udersdorf, doch das weiß der dichte Verkehr in der Regel zu verhindern. Sobald ich die Autobahn bei Tondorf verlasse, rieche ich schon den vertrauten Geruch der Eifel. Böse Mäuler würden jetzt behaupten, dass es Kuhduft ist, aber das stimmt nicht! Die Luft wirkt gleich sauberer, frischer, nicht mehr so überladen wie in der Stadt. Außerdem entspannt mich alleine der Blick in die unverbaute Landschaft sofort, wenn ich über die verhältnismäßig ruhige Landstraße von der nördlichen Eifel in die Vulkaneifel fahre. Die Großstadt mit ihrem lebhaften Trubel, ihren Parkplatzproblemen, Hunderten von Ampelanlagen und Staus in der Innenstadt, Menschen, wo man auch geht und steht ... ist augenblicklich weit weg!
Und erst „zuhause" bei meiner Familie angekommen, wird mir bewusst, wie viele Reize unter der Woche ständige Aufmerksamkeit verlangen und mich unter Strom setzen. Morgens geht es schon vor sieben Uhr los: Die Straßenreinigung fährt laut mit blinkendem Warnlicht an meinem Schlafzimmerfenster vorbei. Selbstverständlich gibt es in meiner Erdgeschosswohnung keine Rollläden, da dies laut meinem Vermieter zu viel Ärger und Kosten verursachen würde. Leider fährt der Bus an der Haltestelle gegenüber für mich in die falsche Richtung, denn er steht schon kurz nach fünf Uhr in der Früh abfahrbereit, den ganzen Tag über. Denn kaum startet der eine Fahrer, rollt garantiert wenige Minuten später der nächste an. Dann höre ich noch vor dem Frühstück das Klirren der fallenden Flaschen im Glascontainer draußen, das laute Niesen meines Nachbarn weit über mir und an manchen Tagen klingelt tatsächlich der Briefträger frühmorgens, um Einlass ins Treppenhaus zu finden und die Post zu verteilen. Später am Tag ist es der laute Fernseher meiner schwerhörigen Nachbarin (bis Mitternacht!) oder der Türsummer, der von allen Parteien im Haus betätigt wird und leider auch nach dem heimlichen Auswechseln nicht leiser wurde. Daran habe ich mich jedoch schnell gewöhnt, schließlich lebe ich am Rande der Stadt, mit viel Grün und deutlich ruhiger als mitten in der City. Unser Haus hat nur neun Parteien, somit fernab vom anonymen Wohnbunker. Außerdem schätze ich es sehr, dass sich niemand im Haus beschwert, wenn es bei mir mal lauter wird, egal zu welcher Tageszeit. Wenn ich morgens um sieben von der Eifel zurück nach Düsseldorf kehre, habe ich oft das Glück, schon die ersten Gespräche mit den Nachbarn zu führen, die auch hier immer Zeit für ein paar nette Worte haben und gerne auch mal ein Paket annehmen oder mir beistehen, wenn ich mich aus meiner Wohnung ausgesperrt habe.
Es gibt natürlich auch Zeiten, in denen ich wochenlang nicht in die Eifel fahre. Dann passiert Folgendes: Erst genieße ich das unkonventionelle Stadtleben, Frühstück im überfüllten Café, abends spontan in die Einkaufsarkaden, zu einem Konzert oder zur Rheinkirmes, mit Freunden mal eben in den Zoo nach Wuppertal oder Krefeld, witzige Situationen in der S-Bahn. Doch plötzlich gibt es ganz unerwartet jenen Moment, wo ich die Stadt nur noch hässlich finde! Wenn ich mich gerade mit dem Auto tapfer zur besten Feierabendzeit durch die vielen Straßen manövriere, einem Krankenwagen Platz mache, an der grünen Ampel im letzten Moment wegen eines Kamikaze-Fahrradfahrers bremse, innerhalb von fünf Minuten an sechs Ampeln halte und dreimal die Spur wechseln muss, um den parkenden Autos in der zweiten Reihe auszuweichen. Und dann drei Straßen weiter parken muss, nur um „mal eben" etwas abzuholen und ich für die Strecke von ein paar Kilometern eine halbe Stunde brauche. Dann sehe ich plötzlich nur noch das Elend: die Säufer am Kiosk, die Obdachlosen auf ihrem provisorischen Lager, heruntergekom mene Bauten, besprühte Straßenbahnen, der viele Müll, gehetzte Menschen und, und, und. Das sind dann jene Momente, in denen auch die schöne Rheinpromenade nichts mehr wett machen kann, auch nicht das gigantische Gefühl, über die Theodor-Heuss-Brücke zu fahren mit Blick auf den modernen Medienhafen und den Rheinturm. Auch mein französisches Lieblingscafe, die herrliche Auswahl an internationalen Restaurants, der samstägliche Trödelmarkt mit Live-Musik, der spontane Besuch in kleinen originellen Boutiquen, die Einladung zur Party mit wahnsinnig interessanten Leuten, das Künstlerviertel, abends Altbier trinken und mit der Bahn nach Hause fahren zu können ... all diese Dinge sind mir dann schlicht egal! An solchen Tagen packt mich die Sehnsucht nach der ruhigen und bodenständigen Eifel, dann will ich nur noch heim! Durch Wälder streifen, ohne einer Menschenseele zu begegnen, eher mal ein Reh oder einen Fuchs aufscheuchen. Morgens früh den Ofen anzünden und zuschauen, wie der Nebel über der grünen Landschaft nach und nach verfliegt. Draußen auf der Terrasse alleine einen Kaffee trinken, während das Dorf noch schläft, gemütlich und ohne Termine einen Samstag zuhause verbummeln. Nichts verpassen, spontan im Maar schwimmen, bis die Sonne untergeht, ohne an den langen Schlangen eines überfüllten Schwimmbades anstehen zu müssen. Bei schönem Wetter grillen, ohne extra jemanden einladen zu müssen, einfach weil es sich so ergibt. Nicht immer groß verabreden, sondern darauf vertrauen, dass man sich sowieso über den Weg läuft. Sich einfach ungeplant ins Wochenende fallen zu lassen, ganz unkompliziert eben! Ob ich nun ein kurzes Wochenende oder einen längeren Urlaub in der Eifel verbringe, der Abschied fällt mir erst mal schwer. Doch montags morgens um halb sechs auf der Autobahn freue ich mich wieder auf das pulsierende Stadtleben, auf die beruflichen und privaten Möglichkeiten, die es jedem bietet. Im Grunde möchte ich jedem Eifeler empfehlen, mal eine gewisse Zeit woanders zu leben. Weil es offener macht. Und weil man danach das Leben in der Eifel mehr zu schätzen weiß und auch ein wenig stolz darauf ist. Ich merke auch hier, welches unterschiedliche Bild die sogenannten „Städter" von uns haben. Als ich vor siebzehn Jahren von zuhause wegging, hatte ich den Eindruck, dass andere die Eifel eher langweilig, etwas verschroben und provinziell fanden, sich am Dialekt störten und wenig Interesse für die Gegend vorhanden war. Das hat sich meiner Meinung nach jedoch in den letzten Jahren grundsätzlich geändert. Mein Nummernschild „DAU" verrät mich des Öfteren und so hatte ich schon einige spontane Begegnungen, bei denen mir fremde Menschen freudig erzählen, wo sie bereits im Kreis Vulkaneifel waren und was sie dort kennen. Bei Familien ist die Jugendherberge sehr beliebt, andere nutzen mit Vorliebe ein verlängertes Wochenende, um mal in Daun oder in einem der Dörfer Kurzurlaub zu machen, manche finden es hier auch tatsächlich zu ruhig. Andere kommen regelmäßig wegen der schönen Landschaft und den freundlichen Menschen wieder. Es gibt noch diejenigen, die zum Studium in Trier waren oder bei der Bundeswehr, welche die herzliche Seite der Eifeler zu schätzen wissen. Und ich bin überrascht, wie viele Menschen ich hier treffe, die eine Weile im Kreis Daun gelebt haben, Verwandte hier haben, eine Ferienwohnung oder einen gewissen Bezug zur Gegend haben. Inzwischen erzähle ich ausgesprochen gerne, wo meine Wurzeln liegen . Der größte Luxus, den wir vermutlich in der Eifel haben: viel Platz zum Wohnen und Leben! In Düsseldorf ist es schwierig, bezahlbare Wohnungen zu finden. Wer gar ein Haus sucht, braucht oft über zwei Jahre, um eines zu finden und sollte sich vor versteckten Baumängeln hüten. Es ist normal, dass eine Familie mit zwei Kindern auf 77 Quadratmetern wohnt, ohne Garten; raus geht es nur in den Park oder zum Spielplatz. Tageslichtbad hat Seltenheitswert, ebenso der Stellplatz am Haus. Als ich mal eine Weile mitten in der Stadt wohnte, hatte ich zweimal im Monat schon früh morgens ein Knöllchen aufgrund Falschparkens - es gab einfach keinen einzigen freien Parkplatz mehr! Unter den Platanen konnte ich mein Auto im Frühjahr wegen des ganzen Vogelkots kaum noch erkennen und eines Nachts randalierte ein Betrunkener im Hausflur, weil er von seiner Frau nicht in die Wohnung gelassen wurde. Morgens war er immer noch da und ich traute mich im vierten Stock nicht aus meiner Wohnung. Mit solchen Dingen braucht sich in der Eifel wohl kaum jemand in seinem geräumigen Einfamilienhaus mit Garage, Terrasse und Privatwiese herumzuschlagen. Kinder haben es auf dem Land auch jetzt noch leichter, weil sie sich freier bewegen können (warum sie dann trotzdem von ihren Eltern mit dem Auto in die Schule gebracht werden, werde ich wohl nie verstehen), da es weniger gefährliche Straßen gibt und mehr Möglichkeiten zum unbeobachteten Spielen.
Persönliches Fazit: Beides hat seine Vorteile, das Leben in der beschaulichen Eifel und in der lauten Großstadt. Ich möchte keines von beiden mehr missen. Das Schöne ist, dass die Eifel ja auch wunderbar zentral liegt, und selbst aus München kehrt eine Freundin immer wieder gerne zurück in die Heimat. Aber das Wichtigste sind eben doch immer die Menschen in der Umgebung. Und davon gibt es sowohl auf dem Land als auch in der Stadt viele, die fröhlich und gut gelaunt, gelassen, verständnisvoll und hilfsbereit sind, die interessante Lebensgeschichten zu erzählen haben und in deren Nähe man sich einfach wohlfühlt, weil sie mit sich und ihrem Leben zufrieden sind.
Jetzt, in diesem Moment, bin ich wieder unheimlich gerne in meiner Stadtwohnung, denn in meinen Balkonkasten ist ein Vogelpärchen eingezogen. Ein Rotkehlchenweibchen brütet geduldig sieben Eier, während das Männchen immer wieder Futter einfliegt. Mit der Eifel verbinde ich vor allem ganz viele wunderbare Naturerlebnisse und diese halten manchmal auch bei mir in der Stadt Einzug. Dann schenken sie ein gutes Gefühl von Geborgenheit. Einen kleinen Heimatschatz!