Helmut W. Ganser, Hamburg
Die Begriffe Heimat und Heimatgefühl haben viele Facetten und werden
heute sehr unterschiedlich verstanden. Für mich ist Heimat mit der
vertrauten Gegend meiner Kindheit und Jugendzeit in der Vulkaneifel
verbunden, für andere ist es ein nicht geografisch gebundener Begriff
der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder Sprache, vielleicht im
Sinne eines zu Hause seins oder einer Wahlheimat, einer „Anderen
Heimat". Wie auch immer, Heimat hat immer etwas mit einem Gefühl der
Zugehörigkeit, der Erdung, Verwurzelung und Vergewisserung zu tun.
Immer wenn mich jemand im Laufe der Jahrzehnte seit meinem Weggang im Jahre
1967 gefragt hat, wo ich herkomme, habe ich ganz bewusst geantwortet:
„aus der Vulkaneifel". Wohl weil ich damit die mit der Geologie der
Eifellandschaft verbundene Kraft und Energie zum Ausdruck bringen
wollte. Natürlich habe ich dann „Gerolstein" hinzugefügt. „Aha", war
meistens die Antwort, „also wo das Mineralwasser herkommt". Immerhin
konnte ich manchen Gesprächspartnern das Wissen vermitteln, dass Gerolstein in der Eifel
und nicht in irgendeinem anderen Teil Deutschlands liegt.
Was bedeutet mir die Vulkaneifel, insbesondere Gerolstein und das Kylltal mit meinem Geburtsort Densborn heute, was macht meine persönliche Erinnerungskultur aus? Es sind vor allem die prägenden Jahre der Jugendzeit inmitten der beginnenden Aufbruchstimmung der 1960er Jahre. Es ist die Schulzeit von 1955 bis 1967 in der Josefschule und im St. Matthias-Gymnasium in Gerolstein. Es sind ganz wesentlich wohltuende Jugendfreundschaften und die neue, damals revolutionäre Beatmusik, die das Lebensgefühl dieser Jahre stark mitbestimmt hat. Musikstücke der Beatles, Rolling Stones, Beach Boys, Rattles, von Musikern, die nur ein paar Jahre älter waren als wir, bestimmten das beschwingte Lebensgefühl mit. Als Schlagzeuger und Sänger der ersten Gerolsteiner Beatband und Schulband am St. Matthias-Gymnasium - „The Footwarmers" - erlebte ich zusammen mit den anderen Bandmitgliedern bei vielen Auftritten im Gerolsteiner Pfarrheim, in Daun, Prüm, Kyllburg und Bitburg und vielen kleineren Eifelorten, wie begeistert die Leute waren, wenn sie die neue Gitarrenmusik live hörten. Viele hatten bis dahin Elek-trogitarren nur im Schwarz-Weiß-Fernsehen gesehen und standen begeistert und staunend vor der Bühne.
Es war natürlich nicht alles gut in Gerolstein in den 1960er Jahren,
sondern es gab auch Schattenseiten. Ich erinnere mich an das noch zaghafte Auflehnen
gegen die alte, erzkonservative Erziehung mit den
überkommenen Konventionen in Elternhaus, Schule und bei vielen
Gerolsteiner Honoratioren dieser Zeit. Dies gilt besonders für die
Kirche, die damals das Leben der meisten Leute noch stark prägte.
Dechant und Kapläne haben in dieser Zeit durch ungute Haltung und
Verhalten viel zur religiösen und spirituellen Entfremdung von der
Kirche beigetragen und mit bewirkt, dass sich nicht wenige in den
Erwachsenenjahren für immer von der katholischen Kirche entfernt haben.
Auch manchen älteren Lehrern ging es in erster Linie um die Bewahrung
des überkommenen, traditionellen Erziehungsmodells und die Einordnung
und Unterordnung in die alten gesellschaftlichen Hierarchien. Immerhin
gab es am Gerolsteiner St. Matthias-Gymnasium Mitte der sechziger Jahre
bereits einige junge, modern eingestellte Pädagogen, die auch heute noch
in guter und dankbarer Erinnerung geblieben sind. Es ist ein großes
Glück, dass bei den jährlichen Klassentreffen des Abiturjahrganges 1967
unsere Klassen- und Englisch-Lehrerin, Studiendirektorin a.D. Clara
Schu, immer noch in unserer Mitte ist und damit auch die positiven
Erinnerungen an die Zeit im Gymnasium lebendig hält.
Ich erinnere vor allem die vertraute, beeindruckende und manchmal ergreifende karge Mittelgebirgslandschaft der Vulkaneifel und ganz besonders die Natur in und um Gerolstein mit dem Kylltal und den
Dolomitenfelsen. Von der Schriftstellerin Ulrike Draesner habe ich in
einer Hamburger Diskussion über Heimatgefühle den Begriff „Musik der
Landschaft" gehört. Eine treffende Beschreibung meiner Empfindungen,
wenn ich heute durch die Vulkaneifel streife.
Es zieht mich immer wieder zurück in diese Vulkaneifel, zum Ort der ersten prägenden Jahre, zu Verwandten, die in der Eifel geblieben sind, zu den Gräbern der Eltern, Verwandten und Bekannten. Auch in meinen Geburtsort Densborn im Kylltal, dessen alten Dorfdialekt ich immer noch einigermaßen beherrsche und wo auch das von meiner Mutter geerbte kleine Waldgrundstück zu meiner Eifel-Erdung gehört. Auch wenn die Eifel seit 1967 nicht mehr mein Lebensmittelpunkt gewesen ist, sondern Städte wie München, Bonn, Koblenz, New York, Berlin und Brüssel und jetzt endgültig Hamburg, so ist sie doch immer die Heimat geblieben. Ich hatte im Gegensatz zu vielen anderen Menschen das Glück, 18 Jahre lang ununterbrochen in Densborn und Gerolstein und der umgebenden Natur behütet aufgewachsen zu sein, mit Eltern und Vorfahren, die über Jahrhunderte auch schon Eifeler waren. Eine solche Herkunft und Geschichte macht Heimat aus und schafft bleibende Verbundenheit.