Unvergessene Heimaten

Die Geschichte von Heinrich B.

Hiltrud Theisen, Hörschhausen

Bevor ich die Geschichte erzähle, möchte ich kurz die politische Situation von Litauen vor und nach dem Krieg schildern. Bis zum Krieg waren Litauen, Estland und Lettland eigene Staaten. Als diese im Krieg Deutschland helfen wollten, wurden sie von Russland besetzt und ihre Grenzen geschlossen. Nach dem Krieg bekamen sie ihre Eigenständigkeit wieder und öffneten ihre Grenzen.
Heinrich wurde in einem kleinen Eifeldorf geboren. Er besuchte die Schule und wurde mit 17 Jahren zum Kriegsdienst eingezogen. Er kam nach Russland, wo er auch später in Kriegsgefangenschaft geriet. Heinrich versuchte immer wieder zu fliehen, aber jedes Mal wurde er aufgespürt und natürlich hart bestraft. Aber einmal gelang ihm die Flucht und er konnte untertauchen.
Als Deutscher konnte er sich nicht mehr ausgeben, aber da Heinrich gut französisch sprechen konnte, tauchte er als Franzose wieder auf. Heinrichs Eltern hatten auf ihrem Hof einen französischen Strafgefangenen, von ihm hatte er die französische Sprache gelernt, und das kam ihm jetzt zugute. Er änderte seinen Namen und nannte sich fortan Henry Besere. Er fand Arbeit in der Kolchose und wohnte bei einem netten älteren Ehepaar. Weil sie in der Kolchose sehr zufrieden mit seiner Arbeit waren, wurde er zum Traktorist befördert. Er erhielt ein Stück Land, das er für sich selber bewirtschaften konnte, und ein Schwein. Dann lernte er Lena kennen. Da Heinrich immer Arbeit und Geld hatte, heirateten sie und bekamen vier Kinder. Die Kinder waren schon groß, als sie sich später trennten. Danach lernte er Katharina kennen und lebte mit ihr in Litauen. Als Litauen seine Grenzen öffnete, konnte Heinrich öffentlich seine wahre Identität preisgeben. Seine Eltern besorgten ihm eine Geburtsurkunde, damit er für sich ein Visum beantragen und endlich nach all den Jahrzehnten seine Eltern wiedersehen konnte. Er bekam das Visum und blieb auf Drängen seiner Eltern in Deutschland. Später wollte er auch seine Familie zu sich holen, aber sie bekamen keine Ausreisegenehmigung. Heinrich war zwar jetzt endlich bei seinen Eltern, aber seine Familie musste er zurücklassen.
Die ganzen vierzig Jahre in Russland und Litauen hatte Heinrich Briefkontakt zu seinen Eltern gehalten, was nur über Umwege möglich war. Er lernte einen Mann kennen, der Kontakt zum Roten Kreuz in Frankreich hatte, er erzählte ihm seine Geschichte und konnte fortan seine Briefe ans Rote Kreuz nach Frankreich schicken und von dort wurden sie weiter an seine Eltern geleitet. Wenn seine Eltern ihm schrieben, gingen die Briefe den umgekehrten Weg.
Hier in der Eifel lebt er schon über 25 Jahre mit Resi zusammen, und frage ich ihn heute: „Wo ist deine Heimat?", so antwortet er: „Eine Heimat? Ich habe drei, Russland, Litauen und Deutschland. Das alles ist Heimat für mich, denn dort habe ich gute Menschen kennengelernt, die mir Heimat gaben. Als ich in Russland und Litauen war, hatte ich Heimweh nach Deutschland und heute habe ich Heimweh nach Litauen."
Heinrich war schon öfter mit Resi in Russland und Litauen, auch seine Kinder besuchen ihn, und auch Katharina, die ehemalige Lebensgefährtin, schreibt ihm immer noch. Heinrich hat durch seine bewegte Lebensgeschichte überall eine Heimat gefunden, musste aber auch immer liebe Menschen zurücklassen.