Roswitha Gräfen-Pfeil, Mosbach
Der sechsjährige Habib ist seit über einem Jahr in Deutschland. Er
erinnert sich nicht gerne an die schlimmen Dinge in seiner Heimat:
Häuser wurden zerstört, Menschen verschwanden, manchmal musste sich die
Familie im Wald verstecken. Habib durfte nicht auf der Straße spielen.
Einmal schrie in der Nacht ein Mensch sehr laut. Vater hatte keine
Arbeit, das Essen reichte selten, um satt zu werden.
Damals erzählten seine Eltern von Deutschland, einem freundlichen
Land, in dem nicht geschossen werde. Vater würde wieder arbeiten und sie
in einem Haus mit Garten leben. Dort wurde viel Fußball gespielt, die
waren Weltmeister! Seine Eltern versprachen Habib einen richtigen
Lederfußball in Deutschland.
Die Angst vor der fremden Welt aus dem
Fernsehen war groß. Aber er wollte natürlich einen Fußball, anstatt mit
luftleeren Plastikbällen zu kicken! Vorher musste die Familie eine lange
und gefährliche Reise machen. Sie fuhren mit einem alten Lastwagen an die Küste. Von dort ging es auf
einem Schiff mit vielen anderen Menschen über das Meer. Später
versteckten sie sich in einem anderen Lastwagen hinter Gemüsekisten und
fuhren eine ganze Nacht. Bis sie in Karlsruhe ankamen, waren sie viele
Tage unterwegs und litten großen Durst und Hunger. Es war eng und stank schrecklich.
Im Übergangslager wurde es besser, Habib wohnte mit seiner
jüngeren Schwester Emine und den Eltern in einem schönen Zimmer. Sein
Vater Ali erzählte, dass sie bald in eine größere Wohnung umziehen
würden. Ali durfte nicht arbeiten, erst müssen die Papiere in Ordnung
sein, berichtete er. Dabei war er doch stark! Menschen aus allen Teilen
der Erde kamen in die ehemalige Kaserne, es gab Lärm und Streit. Immer
wieder kauerte Habib mit angezogenen Knien hinter den Etagenbetten und
träumte von seiner fernen Heimat, den Freunden, der Großmutter und den
Verwandten. Manchmal weinte er dabei. Lange lebten sie schon in diesem Zimmer. Arbeit hatte Vater nicht. Er spielte im
Aufenthaltsraum mit anderen Männern Karten, die Eltern stritten häufig.
Mutter beklagte sich und war manchmal krank. Sie hatten noch eine kleine
Schwester bekommen, die weinte viel. Obwohl sein Vater hartnäckig
versprach, bald gebe es eine Wohnung und Arbeit, hatte Habib die
Hoffnung verloren. Nur wenige Menschen aus diesem Deutschland kannte er,
die Jungen beim Fußballspiel waren Flüchtlinge wie er. Nach dem Sommer
würde er endlich in die Schule gehen und deutsche Kinder kennenlernen.
Er hatte noch nicht gefrühstückt, als die Polizei kam. Sie brachten die
Familie zum Flughafen und setzten sie in ein großes Flugzeug. Mutter
liefen Tränen übers Gesicht, sie hielt still das Baby. Der Vater
schimpfte zuerst, verstummte aber bald.
Habib und seine Schwester saßen dicht aneinander gedrängt auf einem Sitz. Einen echten Lederfußball hatte Habib nicht bekommen.