Heimat, I can't feel you

Svenja Grafen, Stuttgart

Manchmal beneide ich Menschen, die in Städten aufgewachsen sind, weil sie Herkunftsfragen (scheinbar) so viel einfacher beantworten können. Bei mir ist es eine gefühlt ewige Erklärung. Woher ich komme? Aus Rheinland-Pfalz. Aus der Nähe von Koblenz. Nee, schon so achtzig Kilometer weiter weg. Nürburgring, Bitburg, Gerolstein. Kennste? Da irgendwo liegt ein Dorf namens Darscheid. You don't know? Well, nobody does. Als ich kürzlich in der Landesschau Rheinland-Pfalz zu Gast war, wurde ich als »Poetry Slammerin, Dichterin und Autorin aus Darscheid in der Eifel« angekündigt. Das leuchtet ein, denn erstens stimmt es ja, eigentlich, und zweitens ist so ein Rheinland-Pfalz-Bezug in einer Rheinland-Pfalz-bezogenen Sendung ganz schön sinnvoll. Ich habe mich damit dennoch ein bisschen unwohl gefühlt. Ich identifiziere mich nicht (mehr) mit Darscheid in der Eifel. Ja, klar ist das der Ort, in dem ich aufgewachsen bin. Dort gibt es das Wohnzimmer, in dem ich ferngesehen, die Küche, in der ich zum ersten Mal gekocht habe (zu weiche Nudeln), und den Garten, in dem ich einst im Plantschbecken plantschte und später mit Freunden und Freundinnen gegrillt habe. Im weiteren Umfeld gibt es irgendwo den Wald, durch den ich joggte, die Schule, an der ich mein Abitur gemacht habe, und all die Dörfer, in denen MitschülerInnen wohnten. Neunzehn Jahre lang hatte ich ein und dieselbe Adresse. Aber abgesehen davon, dass meine Eltern noch immer dort leben, existiert für mich keine Verbindung zu diesem Ort. Es ist nicht so, dass ich ihn verabscheue. Genauso wenig möchte ich Menschen, die dort leben, verurteilen. Oder generell Menschen, die sich mit ihrem Herkunftsort verbunden fühlen. Ich bin davon überzeugt, dass es hierfür gute Gründe gibt. Der/die Kindheitsfreund/in wohnt noch immer nebenan. Geschwister haben Kinder gekriegt. Man ist noch immer Mitglied im Musik-/Sport-/ Umweltverein. Man kann sich aufrichtig für irgendetwas in/um den Heimatort begeistern. Man ist schlicht nie weggezogen, weil man sich ebendort verwirklichen kann/konnte. Ich für meinen Teil weiß nicht, wie sich das anfühlen soll, mit dem »Heimatort« verbunden zu sein. Ich kriege keine nostalgische Gänsehaut, wenn ich alte Schulwege entlangfahre. Ich bin einfach bloß froh, dass ich sie nicht mehr fahren muss. Es gibt Orte in der Eifel, an denen ich gerne bin. Landschaftlich ist es wunderbar, fahrt bitte alle dorthin in Urlaub, geht in den Maaren schwimmen. Aber mit all diesen Orten fühle ich mich nicht verbundener als mit Orten in Berlin, Köln, Stuttgart und gefühlten hundert anderen Städten. Und wenn ich meine Eltern besuche, dann besuche ich - meine Eltern. Und nicht den Ort, in dem ich aufgewachsen bin. Früher habe ich mir oft gewünscht, woanders zu leben. Die ganze Pubertät lang war das mein großes Ziel: ausziehen, wegziehen, Großstadt. Mittlerweile kann ich selbstverständlich sagen, dass ich vom Dorf komme. Dass ich in der Eifel aufgewachsen bin. Das ist ja nix, wofür man sich schämen oder was verleugnet werden müsste. Ebenso würde ich mich niemals von meiner Herkunftsfamilie distanzieren wollen. Das ist Glück, das ist ein Privileg; meine Herkunftsfamilie ist ziemlich dufte. Aber ich gebe zu, ich würde sie manchmal ganz gern an einen anderen Ort verfrachten. (Auch das hat weniger mit scheinbarer Abscheu gegenüber Darscheid zu tun als vielmehr mit sehr, sehr, sehr viel besseren Zuganbindungen andernorts.) Mein Vater hat sich mal darüber geärgert, dass in irgendeiner Poetry-Slam-Ankündigung stand, ich käme aus dem »rheinland-pfälzischen Nirgendwo«. »Du verleugnest deine Heimat«, sagte er. Nun ist das Ding mit dieser Heimat ja häufig, dass sie Menschen definiert/definieren kann. Ob Heimat zwangsläufig ein Ort sein muss und ob man Menschen durch eine(n) Heimat(ort) definieren oder charakterisieren sollte (please don't), darüber könnte man nun sinnieren; ich jedenfalls definiere mich nicht über Orte. Ich bin in den letzten fünf Jahren fünf Mal umgezogen und habe dadurch gemerkt, wie willkürlich das alles letztendlich ist. Überall gibt es Häuser und Wohnungen und überall kann ich dann meine Sachen auspacken und Bilder an die Wände hängen, fertig. Hätte ich mich also in den letzten fünf Jahren über Wohnorte definiert, ich wäre vermutlich wahnsinnig geworden. Ich leide nicht darunter, dass ich nicht aufrichtig sagen kann: Darscheid in der Eifel, I feel you. Und es mangelt mir auch keinesfalls an schönen Kindheits- und Jugenderinnerungen. Die sind aber eben nicht in erster Linie mit einem Ort, sondern vielmehr mit Erlebnissen oder Menschen verknüpft. Wenn ich jetzt also irgendwohin gehe und als »Svenja Gräfen aus Darscheid in der Eifel« vorgestellt werde, dann fühlt sich das für mich falsch an. Weil es erst einmal nichts mit mir als Person zu tun hat. Weil Orte, in denen Menschen aufwachsen, nicht zwangsläufig etwas mit ihnen zu tun haben müssen. Weil »Heimat« eben für jede/n etwas anderes bedeutet. Und weil das jede/r ganz für sich allein festlegen dürfen sollte.