HEIMAT - eine Annäherung

Roswitha Gräfen-Pfeil, Mosbach

Erinnerungen: Ostern 1978, Theaterfestival in Avignon. In der wogenden Menschenmenge schrie plötzlich eine Frau meinen Vornamen, begeistert fielen wir uns in die Arme. Sie war wie ich aus Daun! Fast an der spanischen Grenze sah ich ein Auto mit Dauner Nummer, meine Freude war groß, ich winkte bis hinter den Horizont. Warum freute ich mich über ein Auto mit unbekannten Kreisbewohnern? Warum umarmte ich eine Frau, von der ich kaum mehr wusste als ihren Namen und wo sie wohnte? Ich spürte „Heimatgefühle", spürte Verbundenheit mit fremden Menschen, weil sie aus der gleichen Gegend wie ich kommen! Für mich ist dies eine seltsame Entdeckung gewesen. Es hatte nichts mit Rationalität zu tun. Die „Heimatfilme" meiner Kindheit und Jugend, die meine Mutter liebte, waren für mich der Gipfel des Kitsches. Das Liedgut meines sangesbegeisterten Vaters war mir früher verdächtig, erinnerte mich an das Tausendjährige Reich. Meist völlig zu Unrecht, wie ich später feststellte! Irgendwann war ich mit einer Jugendgruppe zu einem internationalen Treffen in Frankreich. Abends am Lagerfeuer sang jede Gruppe ein Lied aus ihrer Heimat. Es war wunderbar, bis unsere deutsche Gruppe singen sollte. Sie wollten nicht, begannen dann verhalten, von den im Wald rasenden Affen zu singen. Das Lied wurde am Ende gegrölt - ich schämte mich. Ich gehöre zur ersten Generation der „nach dem Krieg" Geborenen, der Heimatbegriff war uns lange suspekt. Wir wollten Weltbürger, zumindest Europäer sein! Was ist es, das mich Heimat fühlen lässt? Vertrautheit mit der Sprachmelodie? Warum freue ich mich in der Ferne, wenn jemand die Eifel als schöne Landschaft lobt? Weshalb gelingt mir der Umgang mit dem rheinischen Temperament soviel müheloser als mit bayrischen oder westfälischen Landsleuten? Alles ist mir von Geburt an vertraut! Inzwischen bin ich dafür, dass der Dialekt auch als Kurs gelehrt wird (damit er nicht ausstirbt), dass Kinder Volkslieder lernen sollten (und nicht nur die erste Strophe!) und dass wir bei ihnen ein Selbstverständnis fördern, welches einen Platz für Freude an der Herkunft aus einer bestimmten Region Europas lässt. Wir haben allen Grund zur Freude. Es gibt viel weniger angenehme Gegenden in der Welt als dieses Fleckchen Erde in Mitteleuropa!