Heimat

Brigitta Westhäusler, Hillesheim

„Wohl oft fand ich, was Aug' und Herz ergötzte, doch nie, was meine Heimat mir ersetzte" (Bodenstedt, Tausendundein Tag im Orient). Der Begriff ,Heimat' begegnet einem zurzeit all überall, und man hat den Eindruck, die Menschen suchten nach einem Schutz, einem Halt angesichts von Globalisierung und world wide net. Die große „Verbrüderung" - ist sie nur Illusion statt Vision? „Alle Menschen werden Brüder, wo dein sanfter Flügel weilt", dichtete Friedrich von Schiller, und wir fühlen uns berührt, wenn Beethovens Musik dazu erklingt. Aber täglich hören wir von Gefahren, Übergriffen, Neid und Hass und Ungerechtigkeit, und sogar das Wort ,Krieg' ist wieder in europäische Nähe gerückt. Flüchtlinge, Einwanderer oder Zuwanderer rufen Misstrauen hervor und verbreiten sogar Angst. „Was wird aus unserem Land, aus unserer Stadt?", fragen einige und bilden sogar Demonstrationsgruppen. ,Heimat' rückt auf einmal wieder verstärkt ins Bewusstsein, ein Begriff, dem noch bis vor kurzem der Mief der Spießigkeit anhaftete. Enge und Beschränktheit wurden damit verbunden. In den 70er Jahren wurde an den Grundschulen das Wort Heimatkunde durch Sachkunde ersetzt. Fakten, Pseudo-Wis- senschaftlichkeit sollte .Gefühlsduselei' ersetzen. Das Singen von Volksliedern z.B. galt und gilt immer noch als retro und uncool und wird beinahe in eine .rechte Ecke' gerückt. Dabei sind es häufig Texte von Mörike, Claudius, Uhland oder Wieland und anderen unserer vielgerühmten deutschen Dichter und Denker. Aber auf anderer Ebene spürt man, dass das Bedürfnis nach Nähe oder Identifikation wieder bedeutend wird. Da liest man, dass die Fernsehserie „Heimat" von Edgar Reitz aus den 80er Jahren durch neue Techniken wieder sehbar gemacht werden konnte. Tim Mälzer nennt sein neues Kochbuch „Heimat" und beschreibt Gerichte, die uns an .früher' oder an bestimmte Ereignisse oder Abläufe in einem Jahr erinnern. „Es schmeckt wie bei Mutter oder Oma!" Nicht zu vergessen, die vielen Regional-Krimis, die wie Pilze aus dem Boden sprießen. Wie freut man sich, wenn Schauplätze die Gegenden beschreiben, die man kennt! Wenn der Ermittler in Cafes oder Kneipen verkehrt, in die man auch geht! Der Erfolg solcher Literatur liegt auf der Hand. Viele erkennen, dass dieses Hier-bin-ich-zu-Haus von unschätzbarem Wert ist. Eine gemeinsame Sprache, eine gemeinsame Kultur, ein Aufwachsen mit anderen in einer bestimmten Gemeinde bilden ein stärkeres Band als man für gewöhnlich denken möchte. Ein Weggehen ist oft nötig, um seine Wurzeln wiederzufinden. Und erst die Berührung mit Fremdem zeigt einem, wo man hingehört. Viele finden aber auch anderswo ihre Heimat. Persönliches Schicksal, wirtschaftliche Not, Krieg und Vertreibung, aber auch die Suche nach dem Glück jagen Menschen in Gegenden, wo sie sich neu finden müssen. Menschen passen sich an, finden Seelengefährten und die Möglichkeit, auch nach ihren Vorstellungen eine neue Existenz zu gründen, eine neue Heimat zu finden. „Home is where you make it", sagt der Brite, und Goethe träumte von dem Land, in dem die Zitronen blühen. Wer kann es ihm nicht nachempfinden? Die moderne Entwicklung hat es möglich gemacht, dass wir uns „unserer Heimat" nicht mehr schämen müssen. Anders als unsere Vorväter können wir Grenzen ohne größere Anstrengungen überwinden. Wir lernen fremde Sprachen und können uns so mit anderen verständigen. Wir haben zu starre Vorschriften abgeschafft und sind nun eine offene Gesellschaft, die viel toleranter als früher ist. Noch nicht perfekt, aber auf gutem Wege. Wir können also wegfliegen, aber auch wieder nach Hause kommen und neue Eindrücke in unseren Alltag mit einfließen lassen. Wir können aber auch Respekt vor dem Alten gewinnen und einen Sinn entwickeln, das Bewahrenswerte zu schützen. Heimat - ein Wort mit Wohlklang. Seien wir uns unserer Herkunft bewusst und stehen wir zu unserer Geschichte und Kultur. Aber lassen wir auch zu, dass ein paar bunte Schmetterlinge sich in unseren Auen tummeln und unsere Fauna bereichern.