Heimat in der Ferne

Auswanderungen aus dem ehemaligen Amt Dockweiler-Sarmersbach

Friedbert Wißkirchen, Daun

Angeregt durch verschiedene Aufsätze über Auswanderungen in den Heimatjahrbüchern des Kreises Vulkaneifel (Daun), befasste ich mich mit einer Akte der ehemaligen Bürgermeisterei Dockweiler-Sarmersbach (mit Sitz in Dreis) über die Auswanderungen im 19. Jahrhundert. Schnell stellte ich fest, dass eine Vielzahl von Auswanderern nicht im Verzeichnis der Auswandererdatei des Kreises Daun auf der Homepage der Ortsgemeinde Kradenbach „www.kradenbach.de" enthalten sind. Diese Datei stützt sich hauptsächlich auf die Forschungen von Josef Mergen1. Oft gibt es auch Abweichungen oder fehlende Angaben bei den bereits erfassten Auswanderungen. In einem Verzeichnis sind die Personen aufgeführt, die aus den Ämtern Dockweiler und Sarmersbach in der Zeit von 1841 bis 1901 auswanderten und bisher nicht, fehlerhaft oder unvollständig erfasst wurden. Eine wertvolle Hilfe waren die Familienbücher der Pfarrei Dockweiler und von Sarmersbach, in denen Vermerke über ausgewanderte Personen aus Betteldorf2, Brück, Dockweiler, Dreis und Hohenfels3 und aus dem Amt Sarmersbach enthalten sind oder aus denen Angaben zu ausgewanderten Familien ergänzt und vervollständigt werden konnten, weil in den Auswanderungslisten oft nur der Name des Familienoberhaupts mit dem Zusatz „Ehefrau und 3 Kinder" eingetragen war. Durch die Beschlüsse des Wiener Kongresses am 5.4.1815 kam der jetzige Kreis Daun zu Preußen und gehörte zur sogenannten „Rheinprovinz". 98 Gemeinden wurden in 14 Bürgermeistereien aufgeteilt, darunter auch die Bürgermeistereien Dockweiler und Sarmersbach. Zur Bürgermeisterei Dockweiler gehörten im Jahre 1816 die Dörfer Brück, Dockweiler, Dreis, Kirchweiler und Waldkönigen mit insgesamt 1634 Einwohnern. Die kleine Bürgermeisterei Sarmersbach - mit nur 1152 Einwohnern - umfasste die Gemeinden Beinhausen, Boxberg, Gefell, Hörschhausen, Katzwinkel, Kradenbach, Neichen, Nerdlen, Sarmersbach, Schönbach und Utzerath. Zu Beginn der Verwaltungsneuaufteilung (1815) noch selbständig, wurden die Bürgermeistereien Dockweiler und Sarmersbach mit dem Amtssitz in Dreis ab etwa 1828 gemeinsam und ab 1870 vom Bürgermeister des Amtes Daun mitverwaltet. Noch heute, in einer Zeit, in der Entfernungen kaum noch eine Rolle spielen, Nachrichten, Bilder und Informationen via Internet, Telefon und Satelliten in Sekundenbruchteilen weltweit übertragen werden, überkommt viele Reisende vor Antritt ein beklemmendes Gefühl, wenn sie ein Flugzeug oder Schiff besteigen, um neue Urlaubsziele und Länder zu erkunden. Um wie viel schlimmer war es bei denjenigen, die sich seinerzeit zur Auswanderung entschlossen hatten. Die Verwurzelung der Menschen in ihrer Heimat war durch die damals fehlende Mobilität und die Großfamilien sehr stark ausgeprägt. Manche hatten ihre dörfliche Umgebung noch nie verlassen, gaben langjährige familiäre Bindungen, Haus und Hof, Vieh und Einrichtungen, lieb gewordene Gewohnheiten auf, hatten kaum Vorstellungen, was sie in ihrer neuen Heimat erwartete. Informationen über die neue Welt kamen spärlich und waren oft auch sehr unterschiedlich und subjektiv gefärbt. Allein der Weg per Fuhrwerk, Mosel- oder/ und Rheinschiff oder Bahn zu einem Seehafen, die wochenlange Überfahrt mit einem Segelschiff, das Zurechtfinden in einer völlig neuen Umgebung, die fremde Sprache, die Ungewissheit stellten unglaubliche seelische Belastungen dar. Welche Sorgen und Nöte müssen die Menschen bedrückt haben, dass sie ihr Hab und Gut verkauften und sich zur Auswanderung entschlossen? Vor allem waren es wirtschaftliche Gründe und die Verarmung großer Bevölkerungsschichten, die zu dem Entschluss, in die neue Welt aufzubrechen, beitrugen. Aussagen von Auswanderern wie „Er fände sich außerstande, sich mit seiner Familie in der Gemeinde ...zu ernähren. Deshalb habe er beschlossen, mit seiner Familie sich nach Nord-Amerika zu begeben"4 waren keine Seltenheit. Hinzu kam, dass sie bei ihrem Ausreiseantrag auch einem psychischen Druck ausgesetzt waren, weil folgende Erklärung abgegeben werden musste: „Dem Nebengenannten (Name des Auswanderers) wurde durch den unterzeichneten Bürgermeister eröffnet, dass er im Falle der wirklichen Auswanderung die Rechte eines preußischen Staatsangehörigen verliert und wenn er etwa mit der Zeit verarmt wieder zurückkehren sollte, unnachsichtlich an der Grenze zurück gewiesen und bei einem etwaigen Einschleichen als Landstreicher behandelt werden würde. Auch wurde auf die vielen Gefahren und Beschwernisse der Übersiedelung nach Amerika sowie auf den notwendigen Nachweis der Reisemittel hingewiesen. „Nach gehöriger Verwarnung erklärte er bei seinem Vorhaben zu verharren und hat nach Vorlesung unterschrieben." 5 Seit etwa 1844 wurde in den preußischen Ämtern eine Auswanderungsstatistik geführt, die aber ohne genaue Personenangabe erfolgte. Die Auswanderungszahlen aus dem Kreise Daun waren sehr hoch. Allein von 1851 bis 1860 werden durch Josef Mergen6, der vermutlich die Akten des Landratsamtes als Grundlage nahm, 1161 Personen erfasst. 1852 waren es 293 Einwohner, die den Kreis verließen, wobei eine hohe Dunkelziffer anzunehmen ist. 1846 verließen laut Angaben der Bürgermeisterei Dockweiler-Sarmersbach 57 Personen über 14 Jahren und 27 Kinder unter 14 Jahren die Eifel und nahmen ein Vermögen von geschätzt 7810 Reichstalern (Rt.) mit. 1853 wanderten acht Personen mit einem Vermögen von 900 Rt. nach Nordamerika aus. 1854 werden sieben Kinder unter 14 und 33 Personen über 14 Jahren mit einem Vermögen von 3.770 Rt. als Auswanderer registriert. 1857 wanderten 13 Personen aus Schönbach, sechs aus Utzerath, vier aus Nerdlen, insgesamt 26 Menschen aus dem Amt Dockweiler-Sarmersbach aus; 1856 waren es sogar 36. Ein besonders starkes Auswanderungsjahr war 1865 mit 26 Menschen, wobei der Älteste 43, der Jüngste ein Jahr alt war. 1867 sind noch fünf Personen in der Auswanderungsliste angegeben. Die Zahl der Auswanderer muss auch in Relation zur Einwohnerzahl betrachtet werden: 1830 hatte Dockweiler 270, Brück 267 und Dreis 540 Einwohner. Die Auswanderungen aus den Orten Dockweiler und Kirchweiler waren überproportional hoch. Nicht nur Nordamerika war Ziel von Auswanderungen. Auch Algerien und Brasilien zählten zu den Ländern, in denen sich die Ei-feler eine gute und neue Zukunft versprachen. Josef Bell (32) aus Dockweiler, seine Ehefrau Margaretha geb. Radermacher (24) und sein zweijähriger Sohn Heinrich wollten nach Brasilien und erhielten am 21.3.1846 die Urkunde über die Entlassung aus dem preußischen Staatsverband. Josef Kerstgen (40) mit seiner Frau Magdalena geb. Schmitz (50) und seinem Sohn Jakob (12) aus Sarmersbach wollte genauso dorthin auswandern wie Matthias Schneider (34) aus Dockweiler mit seiner Frau Anna Katharina Neis (44) und den Kindern Adam (12), Maria Elisabeth (10) und Jakob (6). Auch sie hatten am 21.3.1846 die Auswanderungserlaubnis der Königlich Preußischen Regierung in Trier nach Südamerika erhalten, ebenso wie 1868 der Krämer Adam Müller aus Dockweiler mit seiner Familie. Dennoch blieben einige in ihrer angestammten Heimat, wie der Schreiber der Bürgermeisterei Dreis als „nicht ausgewandert" mit Bleistift auf den Urkunden vermerkte. Fehlte es an den notwendigen Reisemitteln oder waren andere Gründe für den Rücktritt von der Reise ausschlaggebend? 1846 grassierte in Brasilien das Gelbfieber und raffte viele Auswanderer dahin. Vielleicht hatte sich diese Nachricht auch bis in die Eifel herumgesprochen und zum Bleiben beigetragen. Manche Auswanderungen waren auch darin begründet, dass junge Männer nicht zur damals verhassten Preußischen Armee wollten oder sich auch durch Auswanderung einer polizeilichen oder gerichtlichen Untersuchung entzogen. Bürgermeister Meyer (Amt Dreis) schrieb im Falle des Josef S. aus Waldkönigen an den Landrat: „...dass sich in meinem Amtsberinge niemand der Verleitung zur Auswanderung schuldig gemacht hat als der Josef S. von Waldkönigen, welcher sich aber der gegen ihn eingeleiteten Untersuchung durch die Flucht entzogen hat". Das Verleiten oder Werben zur Auswanderung war unter Strafe gestellt. Peter Thome, am 15.12.1825 in Dockweiler geboren, war 1852 nach Amerika ausgewandert. Im Amerikanischen Bürgerkrieg von 1862/63 kämpfte Peter Thome als Soldat der Unionsarmee, wurde schwer verwundet und verlor das linke Bein, „so dass er seither auf Krücken gehen muß"7. Noch zeitlebens, aber schon durch Krankheit geschwächt, beauftragte er seinen Bekannten Adolf Krueger aus St. Louis, bei dem er scheinbar wohnte, sich nach seinen Verwandten in Dockweiler zu erkundigen. Dieser schrieb am 24.3. und 29.6.1905 an das Bürgermeisteramt in Daun und bat um Mitteilung über die noch lebenden Verwandten. „Wie bereits in meinem ersten Schreiben bemerkt, hat sich Peter Thome, hierselbst, von seiner Pension durch sparsame Einteilung seiner Ausgaben ein kleines Vermögen erspart und will schon jetzt an seine Verwandten davon abgeben..."8 Der Briefschreiber stellt es frei, ob eine gleichmäßige Verteilung oder nach der Bedürftigkeit erfolgen soll. Die Verwandten in der Eifel werden durch den Bürgermeister übermittelt - scheinbar aber zu spät. Das Amerikanische Konsulat in Köln teilt am 13.2.1906 mit, dass Peter Thome verstorben ist und bittet nochmals um Angaben über die noch lebenden Angehörigen und regelt das Erbe. 1866 wandert Bernhard Jenner aus Dockweiler nach Amerika aus; 1901 verstirbt er im Alter von 68 Jahren in der neuen Heimat. Sein Neffe Johann und seine Nichte Agnes Jenner wandern 1901 ebenfalls nach Amerika aus, vermutlich um das Erbe ihres verstorbenen Onkels anzutreten. Viele Eifelaner fanden im 19. Jahrhundert in Amerika ein neues Zuhause. Auch wenn viele Auswanderer in Amerika ein besseres Auskommen und Wohlstand erreichten, eines blieb ihnen ein Leben lang erhalten - die Sehnsucht nach dem Ort ihrer Geburt und Jugend, nach den Eifelbergen, der kargen, aber so prägnanten Landschaft, die sich in ihren Herzen tief eingeprägt hatte, wie viele Briefe beweisen. Für die meisten blieb die Eifel „Heimat in der Ferne". Der Dauner Auswanderer Leo Jakob Jung, der den Eifelverein Chicago mit begründete und seine Heimatverbundenheit in vielen Gedichten niederschrieb, drückt in einer Strophe seines Gedichts „Eifelers Heimweh"9, das er 1897 verfasste, diese Sehnsucht nach der Heimat aus: „Nur einmal noch in meinem ganzen Leben Lass mich oh Herr die Eifelberge sehn! Dann will ich gern zur Ruhe mich begeben, Dann will ich gern für ewig schlafen gehen!" Sein sehnlichster Wunsch sollte sich nicht erfüllen. Er starb 1944 in Chicago, ohne seine geliebte Eifel wiedergesehen zu haben. Anmerkungen
1 Josef Mergen: Die Amerika-Auswanderung aus dem Kreise Daun 2/3 Die Gemeinden gehörten zum Amt Gerolstein, aber zur Pfarrei Dockweiler
4/5 Auswanderungsakten Bürgermeisterei Dockweiler - Archiv Verbandsgemeinde Daun
6 Aufsatz: Von der Eifel nach Nord-Amerika - HJB Daun 1973, S. 99
7 Auswanderungsakten Bürgermeisterei Dockweiler
8 Aufsatz: Von der Eifel nach Nord-Amerika - HJB Daun 1973, S. 99
9 HJB Daun 1977, S. 40