Wie viel Erde braucht der Mensch?

Florian Schulten, Gerolstein

Nach dem Kriege war es in Berndorf schon fast Tradition, dass Mitglieder des Kirchenchores am 2. Weihnachtstag im Tanzsaal des Gasthauses Hermes Theater spielten.

Meistens wurden dramatische Stücke wie Schuld und Sühne, Verwechslungen, Wildereien und auch Liebschaften mit sehr vielen Emotionen dargeboten und von den Besuchern gut und gerne angenommen.

Irgendwann Anfang der 50er Jahre hatte es sich herumgesprochen, dass im Nachbarort Wiesbaum die Messdiener unter Leitung ihres Herrn Pastor Karl Pia mit großem Erfolg ein Theaterstück aufgeführt hatten. Das hatte uns Berndorfer Messdiener aber sehr inspiriert und bald wollten auch wir uns auf der Bühne darstellen. Aber woher sollten ohne Geld die Texthefte kommen? Wer sollte mit uns einüben und Regie führen? Unser Herr Pastor, Johannes Martiny, war ein frommer und kluger Mann, aber ihn in dieser nichtkirchlichen Angelegenheit anzusprechen, dazu fehlte uns der Mut. Wir, die schon etwas älteren Messdiener, darunter auch ich, beschlossen spontan den Wiesbaumer Pastor in unserer Sache zu kontaktieren. Vier von uns fuhren mit den Fahrrädern nach Wiesbaum. In der Nähe der dortigen Kirche musste, wie überall in den Dörfern, das Pfarrhaus sein. Als wir dem erstaunten Pastor unser Anliegen vortrugen, war er doch überrascht und fragte unter anderem, ob unser Pastor hierüber informiert sei. Betretenes Schweigen unsererseits, brachten wir schließlich doch zum Ausdruck, dass dieses nicht der Fall sei. Er versprach sich Gedanken über unser Vorhaben zu machen, wir würden von ihm Nachricht erhalten.

Am folgenden Tag in der Schule hatten wir wie jede Woche dienstags und freitags, jeweils von 11-12 Uhr, Religionsunterricht. Am Ende der Stunde sagte der Pastor, wenn wir irgendwelche Anliegen hätten, wie zum Beispiel, dass wir einmal Theater spielen wollten, sollten wir ihn ansprechen, er würde uns gerne helfen. Ich glaube heute noch, dass wir vier rote Köpfe bekommen haben, schauten den Pastor nicht an und schämten uns. Er hatte uns jedoch nicht verraten und das fanden wir sehr nett von ihm. Schon bald sagte er uns, dass er bereits Texthefte besorgt hätte und wir sollten zusammen kommen um Weiteres zu besprechen. Gesagt-getan! Die Regie übernahm mein Opa Hilarius Hoffmann, der mit dem Kirchenchor in dieser Hinsicht mehrfach erfolgreich war. Die Rollen wurden verteilt, es wurden Leseproben abgehalten und Übungsstunden festgesetzt. In der Adventszeit sollte die Premiere stattfinden.

„Wie viel Erde braucht der Mensch?" so lautete die Parabel auf eine meisterliche Erzählung des russischen Schriftstellers Leo Tolstoi. Das ist die Geschichte des russischen Bauers Pachom, dessen immer währendes Streben nach Reichtum und Gewinn darin bestand, dass er ständig Ackerland hinzu kaufte, immer größer, immer mehr. Die Baschkiren hatten ihm gegen Vorkasse soviel Land zugesagt, wie er an einem Tag in einem großen Bogen zu Fuß abschreiten könnte. Bei Sonnenaufgang ging er los, wollte er doch ein riesiges Stück umgehen und somit viel gutes Land erwerben. Aber der Tag wurde sehr heiß, die Kräfte ließen nach und Pachom wurde müde und das Gehen fiel ihm immer schwerer. Nach Sonnenuntergang stellte er fest, dass die Mühe umsonst war, seine Beine knickten ein, er starb ehe er sein gestecktes Ziel erreicht hatte. Somit ist die Eingangsfrage beantwortet. Soviel Erde braucht der Mensch, dass sie seinen irdischen Leib aufnimmt und abdeckt.

Das war unser dramatisches Laientheaterspiel. Wir spielten am 1. Adventssonntag um 14 Uhr die Generalprobe für die Kinder und abends für die Erwachsenen. Der große Applaus hat uns gut gefallen. Danke, ihr Wiesbaumer Ministranten, ihr hattet uns auf eine neue, gute Spur gebracht.

Einige Tage später erhielten wir Darsteller und die Helfer eine Einladung für Sonntag den 28.Dezember zum Kaffee im Pfarrhaus. An diesem Tag war, wie jedes Jahr, das Fest der Unschuldigen Kinder. In der sonntäglichen Andacht war die Kindersegnung und anschließend im Pfarrhaus im Arbeitszimmer des Herrn Pastor eine festliche Kaffeetafel gedeckt.

Am wunderschön geschmückten Weihnachtsbaum brannten die Kerzen und die Krippe war bunt eliminiert. Der Herr Pastor spielte auf dem Harmonium seine Lieblingsweihnachtslieder: „Es ist ein Ros' entsprungen" und „Lasst uns das Kindlein grüßen, o Jesulein süß". So kannten wir unseren Herrn Pastor noch nicht und dass er ein eigenes Harmonium hatte, war Niemandem bekannt. Nach dem gemütlichen Nachmittag im Pfarrhaus hatte unser Theaterspiel einen sehr erfreulichen Abschluss gefunden. Der finanzielle Überschuss aus Eintrittsgeldern wurde, so der Herr Pastor, als Spende zur Mit- bzw. Restfinanzierung des neuen Kirchenportals verwendet. Die Kirchentüre wurde von dem Berndorfer Schreinermeister Jakob Thelen und nach Plänen von Frau Yvonne Weiand hergestellt. In der Türe sind vier holzgeschnitzte Tafeln mit Motiven aus dem Leben des Heiligen Petrus, des Patrons der Kirche und der Pfarrgemeinde integriert.

1. Himmelsschlüssel mit der Tiara
2. Ehe der Hahn zweimal kräht, wirst du mich dreimal verleugnen
3. Der reiche Fischfang
4. Wappen des Trierer Erzbischofs FranzRudolf Bornewasser (1922 -1951)

Im Jahre 2015 wurde die Kirche in Berndorf aufwendig und großzügig renoviert. Am 25. Oktober erstrahlte das Gotteshaus in neuem Glänze. Die Eröffnung wurde mit einem feierlichen Gottesdienst mit festlichem Gesang und viel Musik begangen. Beim anschließenden Empfang und der genauen Betrachtung der einzelnen Renovierungsabschnitte ist mir das wunderschöne überarbeitete Kirchenportal besonders aufgefallen. In diesen Momenten ist mir die Theaterspielerei zu Gunsten des Kirchenportals wieder in Erinnerung gekommen und reifte das stille Versprechen dieses im Jahrbuch festzuhalten.