Die Waldschule von Mannebach

Ein traumhafter Ort aus seliger Kindheit - ihr Anfang und ihr Ende

Helmut Müller, Mannebach

In der Volksschule von Mannebach hatte ich im zweiten und dritten Schuljahr Ende der 1960er Jahre eine junge Lehrerin aus Daun Namens Mechthild Willems, deren erste Stelle es war. Ich empfand zu ihr eine große Zuneigung. Sie fuhr mit uns Kindern einmal in die Aula nach Daun, um mit uns das Theaterspiel „Schneeweißchen und Rosenrot" anzusehen. Im Frühling und im Sommer machte sie mit uns oft eine Morgenwanderung und wir pflückten Blumen in den noch vom Tau glänzenden Wiesen und stellten sie auf die Tische in unserer Schule. Oder wir gingen in die nahe Waldschule auf dem Geißberg, wo wir in einem kleinen idyllischen Wäldchen Unterricht unter freiem Himmel wie in der „Hasenschule" abhielten. Wir Kinder konn-

ten es kaum erwarten, wenn die Lehrerin bei schönem Wetter sagte: „Heute gehen wir in die Waldschule!" Wir liefen schon voraus, während der Duft von frisch gemähtem Gras in der Luft lag und die Vögel hoch in den Lüften jubilierten. Das Wäldchen mit seinen beiden uralten Eichen war für uns wie ein verzauberter, verwunschener Ort aus den Märchen, welche die Lehrerin uns vorlas. Ihr Platz war auf einer kleinen Bank unter einer alten Eiche, während unsere selbstgezimmerten Bänke im Halbkreis um sie herum standen. Wir haben Lieder gesungen wie „Alle Vögel sind schon da", „Im Frühtau zu Berge" oder „Wem Gott will rechte Gunst erweisen".

Die kleine Waldlichtung oberhalb des Dorfes wirkte so geheimnisvoll, weil sie von dichtem

Waldschule von Mannebach Ende der 1950er Jahre. Foto: Nikolaus Hermann, Mannebach

Gebüsch rings umschlossen war und nur vereinzelte Sonnenstrahlen durch das dichte Blätterdach der alten Eichen fielen. Manchmal raschelte es in den Büschen, weil ein Bauer oder eine Bäuerin aus unserem Dorf zu uns herantraten. Sie waren in den angrenzenden Fluren bei der Arbeit und von unserem Gesang angelockt worden. Manchmal war es aber auch nur ein Reh, ein Hase oder ein Vogel, die in ihrer Ruhe gestört waren. Als ich die behütete und so beschauliche Volksschule in Mannebach verlassen musste, um mit dem Bus die Hauptschule in Kelberg zu besuchen, war dies für mich eine große Umstellung. Ich fand mich zuerst nur schwer zurecht in dem riesigen Gebäude mit den scheinbar unendlichen Korridoren und den vielen Türen und auf dem Schulhof mit den vielen fremden Kindern, die ich nicht kannte. So bin ich noch oft in unsere kleine Waldschule auf dem Geißberg zurückgekehrt und habe wehmütig nach dem Platz der Lehrerin unter der alten Eiche geschaut, der nun leer war. Die Vögel sangen noch genauso schön wie damals, und ich glaubte an diesem romantischen Ort auch noch einen Hauch meiner seligen Kindheit zu verspüren. Aber die Vergangenheit ließ sich nicht mehr zurückholen. Mitte der 1970er Jahre wurde dort eine äußerst hässliche Schutzhütte für das Mannebacher Dorffest errichtet. Sie steht auf einer großen gegossenen Betonplatte. Zuvor hatte ein riesiger Bulldozer das Bild des sonst so stillen Ortes völlig verändert, und es wurde dem nachdenklichen, Natur liebenden Besucher vorexerziert, wie schnell und rücksichtslos der Mensch des 20. Jahrhunderts das Antlitz der Erde zu verändern vermag. Aber die alte Eiche mit einem Durchmesser von 1,30 Meter blieb erhalten, bis heute ...

Um das Jahr 2012 hat unsere Dorfjugend, die dort den ersten Mai feierte, etwas leichtsinnig und unbedacht ihr Lagerfeuer direkt neben diesem Mannebacher Wahrzeichen gemacht und den etwa 350 Jahre alten Baum, der so vieles über unsere Vorfahren berichten könnte, gründlich angesengt. Der Baum wurde von einem Schwemmpilz befallen, den Stefan Kill als Kenner und Naturfachmann aus unserem Dorf ganz gut behandelte. Im Jahr 2016 soll

die alte Schutzhütte als Schandfleck beseitigt und durch eine neue, schönere und stilgerechtere ersetzt werden. Deshalb wurde im Dezember 2015 die Verkehrssicherheit der alten Eiche mit einem geometrischen Verfahren geprüft und festgestellt, dass der Baum zu zwei Drittel hohl ist. Der Platz musste sofort abgesperrt werden. Der mehrere hundert Jahre alte Baum soll noch vor dem ersten Mai 2016 entfernt werden, damit die Dorfjugend dann wieder ungefährdet ihre Walpurgisnacht dort feiern kann.

Es erfüllt mein Herz mit Wehmut, dass der alte Baum den kommenden Frühling und die Rückkehr der Singvögel aus dem warmen Süden nicht mehr erleben wird. Zum Schluss möchte ich noch den Dorfschullehrer Johannes Friedrich Luxem, den unvergessenen Begründer der Waldschule, zu Wort kommen lassen. Er war am ersten November 1947 im Alter von 23 Jahren aus Satzvey an die Katholische Volksschule Mannebach gekommen als ein Pädagoge, der den ihm anvertrauten Kindern die Liebe zur Heimat und zur Natur vermitteln konnte. Zu seinen Aufgaben gehörte es auch, die Schul- und Dorfchronik zu führen. Seinen Charakter und seine Mentalität erkennt man, wenn man seine Worte vom 20. August 1953 in der Chronik liest. Sie lauten:

Erfahren wir aus den Worten des Lehrers auch, wie es 1952 zur Entstehung der Waldschule kam. Er schreibt:

„Der Sommer ist in diesem Jahre besonders heiß. Zeitweise ist Wasserknappheit. Die Heuernte war ausgesprochen schlecht. Die Kinder haben wie immer fleißig in der Ernte geholfen. Einer Anregung, die ich im Unterricht gegeben habe, sind alle Kinder mit Begeisterung gefolgt: eine Waldschule zu bauen. Viele Ideen, Pläne und Vorschläge wurden gemacht. Als erstes machten wir gemeinsam mit der Schule Kolverath, mit Herrn Rektor Harnau eine Wanderung nach Arbach, wo wir die dortige Waldschule besichtigen wollten. Im romantischen Arbachtälchen, kurz vor der uralten Franzenmühle wurde auf einer Waldseite Rast gemacht. Herr Rektor Harnau hielt eine Naturkundestunde, mitten im Grün der sommerlichen Waldesruhe. Thema: Blumen und

Gräser der Sommerzeit. In Arbach empfing uns Herr Rektor Kusenbach und gemeinsam ging es mit den Klassen auf einen nahe gelegenen Berg in die Waldschule.

Es war alles so schön und zugleich vorzüglich durchdacht angenehm, dass wir alle erstaunt waren. Herr Kusenbach hielt eine Unterrichtsstunde und nun erst sahen wir, wie harmonisch sich eine Waldschule einfügt in den Rahmen des Sommerunterrichts einer kleinen, ein-klassigen Landschule. Frohe Lieder und Spiele beschlossen den schönen Besuchsmorgen und fröhlich wanderten wir heimwärts. Nun gab es nur noch die eine Alternative: selbst eine eigene Waldschule bauen! Welcher Platz war dafür wohl geeigneter als der nahe gelegene Geißberg? Von ihm überblickt man das Tal und das Heimatdorf, er ist nur drei Minuten von der Schule entfernt und im Nu zu erreichen! Unsere nächste Naturkundestunde fand auf dem Geißberg statt. Die Kinder suchten sich einen passenden Platz aus und nahmen sich vor, am nächsten Tag schon mit den Vorarbeiten zu beginnen.

Zunächst planierten sie eine höher gelegene Stelle am Hang zwischen wuchtigen alten

Eichen. Es wurde die Waldbühne. Darunter errichteten sie zwei halbmondförmige Terrassen für die Zuschauer. Eine kleine Feier, vom dritten Schuljahr veranstaltet, weihte die Waldbühne ein. Zum Schluss spielte eine Gruppe der Mittelstufe ein lustiges Kasperlestück.

Dann begannen die Kinder Holz zu sammeln für Bänke und Tische, doch es kam leider nicht viel zusammen. Für dieses Jahr ist es auch schon fast zu spät für unser Projekt, doch sobald das nächste Frühjahr naht, geht es mit doppeltem Eifer ans Werk!

Ein Gutes hatte aber unser Bemühen in diesem heißen Sommer: Ein gemeinschaftliches Interesse war geweckt bei allen Schülern, bei Groß und Klein. Eine Aufgabe, ein Ziel, das nur in unserer Gemeinschaftsarbeit bewältigt und erreicht werden kann. Für die Lehrer aber soll die entstehende Waldschule außer hygienischen und modernen Gesichtspunkten einer großen Aufgabe dienen, deren Wert am besten in zwei Worten ausgedrückt wird: HEIMAT und NATUR."

Diese Worte des Lehrers, der 2012 in Ramersbach an der Ahr verstarb, sollten wir als Mahnung in unseren Herzen bewahren!