Klimaanomalien und Wetterextreme in der Erd- und Menschheitsgeschichte

Hubert Pitzen, Stadtkyll

Heutige Wetterextreme

Es vergeht fast kein Tag, an dem die Medien nicht über Extremwetterlagen weltweit berichten. Das Erdklima scheint aus den Fugen geraten zu sein. Allein im vergangenen Winter las man von Dürren in Afrika, Horrorblizzards in den USA, einem Kälterekord in China, einem schwersten Zyklon seit Menschengedenken auf den Fidschi-Inseln. Die Liste könnte man noch beliebig ergänzen. Hinzu kommen Meldungen über das Jahr 2015, das wärmste seit Wetteraufzeichnungen. In allen Wintermonaten wurden die wärmsten Temperaturen gemessen. Meteorologen und Klimaforscher kennen den Grund für die gehäuft auftretenden Wetterkapriolen: Es ist der vom Menschen verursachte Klimawandel. Die Temperatur auf der Erde soll sich seit dem vorindustriellen Zeitalter um 1 Grad Celsius erhöht haben und in den kommenden Jahrzehnten weiter ansteigen. Die Klimakonferenz von Paris im Dezember 2015 beschloss, den globalen Temperaturanstieg auf zwei Grad zu begrenzen, um die allseits bekannten Folgen und Horrorszenarien zu verhindern. Als un-zweifelbare Wahrheit gilt in klimapolitischen Debatten, dass man „keine Zeit" habe, da der finale Kollaps des Klimas unmittelbar bevorstehe. Meteorologen und Klimaforscher sind zu den prominentesten Erben der Apokalyptiker der 70er Jahre geworden. Hauptverursacher des Klimawandels, so die Klimaforscher, ist die Verstärkung des natürlichen Treibhauseffektes durch anthropogene Treibhausemissionen, hauptsächlich CO2, die

Kalksteinformationen der Dollendorfer Kalkmulde in der Nähe von Glaadt. Aufnahme d. Verf., 1972

sich verstärkt auf das Erdklima auswirken. Allerdings ist die Wissenschaft der Messung der Wetterelemente (Meteorologie) eine verhältnismäßig junge Wissenschaft. Erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts wurde die Instrumentenmessung sporadisch gebräuchlich. 1880 begannen regelmäßige Wetteraufzeichnungen, auf die sich die Wetterkundler heute bei Temperaturvergleichen beziehen. Aber woher wissen wir, wie sich das Erdklima in den vorhergehenden Jahrhunderten und Jahrmillionen dargestellt hat?

Die „Archive der Erde"

Die sogenannten „Archive der Erde" geben Auskunft über Klimaveränderungen von Jahrmillionen der Erdgeschichte. Hierzu zählen Ablagerungen, aus denen sich mit naturwissenschaftlichen Methoden Schlüsse über

das Klima ziehen lassen. Jedem sind aus der Schule die Wechsel von Warm- und Kaltzeiten (Eiszeiten) noch in Erinnerung. Seit Jahrmillionen war das Klima ständigen Schwankungen unterworfen. Statistisch gesehen sind eher die Warmzeiten charakteristisch für das Erdklima, in denen es viel wärmer war als heute. Hauptantriebsmotor des Klimas war und ist die Sonne als Energiequelle, die ihre Strahlungsintensität ständig verändert. Im 17. Jahrhundert wurde der Zusammenhang von Wärmebilanz und Sonnenflecken entdeckt. Veränderungszyklen von 500 und 1000 Jahren sowie von lediglich neun Jahren sind nachgewiesen. Weitere Klimafaktoren sind die Erdatmosphäre, die über die Wirkung der Sonnenstrahlung entscheidet; die Plattentektonik (Verschiebungen der Erdplatten); der Vulkanismus, der durch Extremausbrüche globale Klimawirksamkeit erreichen kann; die Veränderung der Erdachsenneigung und kosmische Ereignisse wie der Einschlag von Meteoriten. Heute rücken die globalen Klimaphänomene „El Nina" und „La Nina" in den Fokus, die für Starkregen und Dürrekatastrophen im pazifischen Raum Verantwortung tragen sollen. Inwieweit der Mensch innerhalb von 200 Jahren das Klima zu beeinflussen vermag, wird derzeit heftig diskutiert. Für das erdgeschichtliche Klima nutzt man die Erkenntnisse der Paläoklimatologie, die man in folgende Bereiche einteilen kann: Dendrologie, Sedimentationsanalyse, Paläobotanik und -zoologie, Tiefsee- und Eiskernbohrtechnik. Dendrologen ziehen aus den Jahresringen der Bäume Rückschlüsse auf Klimabedingungen, die bis zu 12.000 Jahre zurückreichen. Jahresringe mit guten Wachstumsbedingungen sind breiter als solche mit schlechteren Voraussetzungen. Die Sedimentationsanalyse liefert Erkenntnisse über die Zusammensetzungen von Ablagerungen, die auf das Vorzeitklima schließen lassen. Paläobotanik und -zoologie bestimmen das Klima durch pflanzliche und tierische Sedimenteinlagerungen. Die Tiefbohrtechnik gibt Auskunft über das „Gedächtnis der Meere" und somit über die Beschaffenheit des Wassers und seiner Lebensformen und gleichzeitig über das damals herrschende Klima. In den Eisbohrkernen der Polargebiete und

Gebirgsgletscher finden Forscher Hinweise auf die Zusammensetzung der Luft oder Vulkantätigkeit durch eingelagerte Stäube und Gase, die dann mit Hilfe der Radiokarbonmethode zeitlich bestimmbar sind. Auch für die Eifel im Allgemeinen und den Vulkaneifelkreis im Besonderen haben die „Archive der Erde" die Erkenntnis offenbart, dass auch unser Raum größeren Klimaschwankungen in den älteren erdgeschichtlichen Zeiten unterworfen war. Warm- und Kaltzeiten sowie Vulkanismus haben in unserer Landschaft Spuren hinterlassen. Die ältesten Schichten unseres Kreisgebietes stammen aus dem Unterdevon (450 Mio. Jahre). Schiefer und Grauwacke entstanden durch Schlamm- und Sandablagerungen der Flüsse. Dann änderte sich das Klima. Im Mitteldevon (400 Mio. Jahre) überdeckte ein warmes Meer die gesamte Eifel und hinterließ die fruchtbaren Kalkmuldengebiete, unsere ältesten Siedlungszonen. Im warmen Meer wuchsen Seelilienwälder, lebten Muscheln und Arm-füßler und Korallen bauten Riffe auf. Aus dem Oberdevon (350 Mio. Jahre) stammen z.B. die Gerolsteiner Dolomiten. Das Erdmittelalter, insbesondere die Trias-Zeit (250 Mio. Jahre), bescherte unserem Raum ein arides, also ein trocken-heißes Wüstenklima, von dem die Buntsandsteinflächen von Birgel, des Oberbettinger Grabens und des Salmwaldes Zeugnis geben. Mit der Erdneuzeit setzte im Tertiär (65 Mio. Jahre) und Quartär (2,6 Mio. Jahre) die spektakuläre Vulkantätigkeit ein. In der Kaltzeit des Pleistozäns bedeckten dann wieder Gletscher große Teile des heutigen Deutschlands. Das Klima war wesentlich kälter als heute. Mit dem Holozän (ab 12000) begann ein Klimaumschwung zu einer Warmzeit.

„Archive der Gesellschaft" -Historische Klimatologie

Die „Archive der Gesellschaft" sind bewusst angelegte Quellen, die in privaten, klerikalen oder öffentlichen Archiven aufbewahrt werden. Zu den ältesten Dokumenten zählen Tontafeln mit Keilschrifttexten wie z.B. das altbabylonische Gilgamesch-Epos, das bereits wie die Bibel von einer „Sintflut" berichtet. Insbe-

sondere Klöster horteten Urkunden, Verzeichnisse und Briefe oder legten eigene Chroniken an, die auch über Wetterereignisse informieren. Wetterkatastrophen finden ebenso Erwähnung in Gebäudeinschriften, Gedenksteinen und Wegekreuzen. Für Klimahistoriker sind Witterungsbücher unentbehrlich. Darin finden sich direkte Beobachtungen von Wetterereignissen wie etwa der erste Schneefall, die Dauer der geschlossenen Schneedecke, die Vereisung von Seen und frühe oder späte Fröste. Berichte über Extremereignisse wie Dürren oder starke Frostperioden können selten anhand einer Quelle bewertet werden, da nicht sicher ist, ob es sich um lokale Besonderheiten handelt. In Klosterchroniken sind die Wetterextreme eine Folge der menschlichen Sündhaftigkeit, die von Gott durch diese Ereignisse sanktioniert wird. Eine Besserung tritt oft nur ein, wenn der Allmächtige durch Gebete, Prozessionen, „Hagelfeiern" oder Sündenbekenntnisse eine Besänftigung erfährt.

Aufgrund der genannten Quellen sind wir gut über das Klimageschehen der letzten 2000 Jahre informiert. Für den Zeitraum von 100 v. Chr. bis 500 n. Chr. spricht man vom „Optimum der Römerzeit", womit das warme Klima in Zusammenhang mit dem Aufblühen des Röm. Reiches durch wirtschaftliche, politische und militärische Stärke gebracht wird. Um 550 n. Chr. trat eine weltweite Störung des Klimas ein, möglicherweise durch vulkanische Tätigkeit. Das Klima kühlte sich ab (= Pessimum der Völkerwanderungszeit), wodurch wahrscheinlich die Völkerwanderung in Gang gesetzt wurde. Germanenstämme an Nord- und Ostsee setzten sich in Bewegung, um ihren unwirtlich gewordenen Lebensverhältnissen zu entfliehen und weiter südlich eine neue Bleibe zu finden. Das Weströmische Reich fand durch diese Völkerzüge sein Ende.

Ab 800 n. Chr. setzte eine Warmzeit ein und begründete die spätere kulturelle Blüte des Hochmittelalters. Ernteüberschüsse und technische Innovationen in der Landwirtschaft lassen die Bevölkerung ansteigen. Auch bei uns entstanden zwischen 1000 und 1300 die sogenannten „Minderstädte" wie Stadtkyll und Hillesheim.

Daran schloss sich die „Kleine Eiszeit" (15.-17.

Jh.) mit extrem kalten Wintern an. Die Tagestemperatur lag 1-2 Grad niedriger als heute. Als Ursache wird eine geringere Sonnenaktivität vermutet. Politische, ökonomische und soziale Erschütterungen waren die Folge. Die Hexenverfolgung, die Ende des 16. Jahrhunderts und während des 30-jährigen Krieges auch im Vulkaneifelkreis ihr Unwesen trieb, ist unter anderem ein Ergebnis des Klimawandels. In Kooperation mit dem Teufel sollen „Hexen" Schadenzauber begangen haben. Dazu gehörten vor allem die von ihnen produzierten Hagelunwetter, die die Ernten vernichteten und die Menschen hungern ließen. Die vorindustrielle Gesellschaft hatte Sündenböcke ausgemacht und zog sie auf grausamste Art zur Verantwortung.

Beispiele wetterbedingter Extremereignisse

Überflutungen in Münstereifel

Heute erinnert das sogenannte „Johanniskreuz" an eine der größten Flutkatastrophen im Eifelraum, die sich 1416 in Münstereifel ereignete und 150 Menschen in den Tod riss. In der „Koelhöffschen Chronica der hilligster Stat zo Coellen" heißt es 1499: In dem selben jair quam bynnen naichts dae die lude slieffen eyn altzo groiss wasser vur Munster Eyffel (...)" In der Nacht des 6. Juli 1416 entwickelte sich ein gewaltiger Wolkenbruch (heute Extremniederschlag). Das Städtchen war mit Mauern, Toren und Türmen geschützt. Die für den Ein- und Austritt der Erft gelassenen Öffnungen verstopften sich durch das von den Wassermassen weggeschwemmte Heu der oberhalb gelegenen Wiesen, wodurch das Wasser anstieg. Das Unglück vergrößerte sich durch den Umstand, dass die Stadttore nachts geschlossen blieben. Als die Einwohner ihre schlimme Lage erkannten, war es schon zu spät. Da das Werthertor den Wassermassen nicht mehr standhalten konnte, strömten die Fluten mit voller Kraft in die Stadt. Die Bilanz der Katastrophe: 150 Menschen und 300 Stück Vieh ertranken elendig; 100 Häuser wurden unbewohnbar.

Mehrmals hieß es in Münstereifel „Land unter": 27. Mai 1393, 11. Juni 1402 und 2. Mai 1818. Aufgrund von Augenzeugenberichten

sind wir über den 2. Mai 1818 gut informiert. Die Kölnische Zeitung vom 3. Mai 1818 berichtet: „Der gestrige Tag bleibt für dieses Städtchen unvergeßlich. Gegen zwei Uhr des Nachmittags vereinigten sich in der Nähe drei Gewitter zu dessen Verderben. Ein anfangs sanfter und erquickender Regen nahm dergestalt zu, daß er um vier Uhr den höchsten Grad der Stärke erreicht hatte. Nun fielen solche Regen- und Hagelgüsse, daß der durchfließende Erftfluß nicht nur bald seine Ringmauern überschritt, sondern auch zu den drei oberen Toren der Stadt große Ströme hereinstürzten, und sich mit diesem Flusse vereinigten. Jetzt war die Kommunikation der Stadt unterbrochen; ein Nachbar konnte nicht mehr zum andern kommen, jeder mußte sich den Fluten preisgeben..." An der Werkbrücke ertranken sechs Menschen. Auffallend ist, dass die Hochwasser ausschließlich in den heißen Monaten auftraten. Durch Extremregenfälle, die auf trockenen Boden trafen und somit schnell abflossen, schwoll die Erft gewaltig an. Das letzte Hochwasser vom 29. Mai 1956 richtete hohen Sachschaden an.

Die Niedereher Klosterchronik

Für den Vulkaneifelraum sind die Aufzeichnungen der Niedereher Klosterchronik eine zuverlässliche Quelle. Sie berichtet über besondere, vom normalen Wettergeschehen abweichende, Wettererscheinungen. In den Jahren 1766/67 muss eine große Trockenheit mit extremem Wassermangel geherrscht haben: „Von August des vergangenen Jahres bis Anfang Februar dieses Jahres herrschte in unserer Gegend eine große Trockenheit. Während dieser Monate fiel kein nennenswerter Niederschlag. Dies hatte zu Folge, dass die meisten Brunnen und Quellen in den Dörfern und Städten kein Wasser mehr lieferten, sodass das Wasser für Mensch und Vieh aus Rhein und Mosel und von vielen anderen Stellen von weit her herbeigeschafft werden musste. Dadurch standen auch die Mühlen überall still. Deshalb herrschte bei den Mühlen, die sich noch ein wenig drehten, ein gewaltiger Andrang, sogar aus entfernten Orten. Die Menschen klagten, sie müssen trotz der reichen Fülle des Getreides, das im vergangenen Jahr gewachsen war, fast Hunger leiden. Im Januar

herrschte dann nach ergiebigen Schneefällen die große Kälte, sodass der Rhein bei Köln und Koblenz ebenso wie die anderen Flüsse zufror und viele Tage lang von Wagen und Pferden auf seinem Eis überschritten werden konnte. In unserer Mühle konnten wir ab Oktober bis Anfang Februar unter großen Schwierigkeiten das für unser Haus unbedingt notwendige Getreide mahlen. Unsere Nachbarn sahen sich gezwungen, auf andere Mühlen in oder bei Ahrhütte auszuweichen. Wie allgemein bekannt, hat es so

Ehemalig Niedereher Klosterkirche. Aufnahme d. Verf., 1997

etwas seit Menschengedenken noch nicht gegeben. Der Herr Bischof von Köln hat wegen dieser Not, die jedermann betraf, ein 13-stündiges Bittgebet angeordnet. Endlich, am 2. Februar fing es an zu regnen, so schmolzen allmählich Eis und Schnee und Gott setzte in seiner großen Güte diesem Elend ein Ende." Aus dem Jahr 1768 werden gewaltige Stürme verzeichnet: „In diesem Jahr wüteten am 27. Juni gegen Abend hier bei uns und in den

Nachbarorten so schreckliche Stürme und Gewitter, dass einige Scheunen und schwächliche Gebäude hier, in Walsdorf, in Nohn und in den anderen benachbarten Orten zusammenfielen. Auch Bäume brachen entweder ganz oder zum Teil ab; das passierte auch innerhalb der Mauern unseres Klosters(...)" 1769 beobachteten die Astronomen des Jesuitenordens in Köln einen Kometen. Nach damaliger Auffassung waren Kometen Vorboten göttlicher Strafen. Und prompt setzten am 7. und 8. Oktober heftige Schneefälle ein, sodass in den Wäldern viele Äste unter der Last des Schnees zusammenbrachen. An vielen Stellen wurde noch unreifer Hafer zu Boden gedrückt. Die Klosterchronik berichtet weiter: „Dass der Komet (...) nichts Gutes ahnen ließ, das erwies sich als berechtigte Befürchtung: Die Niederschläge hielten ununterbrochen an bis in den Mai dieses Jahres (1770, d. Verf.). Daraus ergab sich die Notwendigkeit, die Schafe und das übrige Vieh lange Zeit im Stall zu halten. So entstand ein erdrückender Mangel an Heu und Stroh. Der Mangel war so groß, dass das Vieh überall nur so gut gehalten werden konnte, wie es eben ging. An verschiedenen Orten ging das Vieh sogar ein. Um das Überleben unserer Herden zu sichern, musste ich (der Abt, d. Verf.) Anfang Mai Heu zu einem erhöhten Preis einkaufen, weil vor Mitte Mai kein Gras wuchs. Zwei Monate lang musste unser Vieh, weil kein Stroh mehr vorhanden war, auf bloßem Stallboden liegen; die gleiche Widerwärtigkeit mussten unsere Schweine erdulden, die deshalb die ganze Nacht grunzten. Dieser Mangel an Stroh herrschte gleichermaßen hier wie auch im unteren Teil unserer Heimat (.) Schließlich gab Gott für das Vieh neues Futter und schuf damit Abhilfe. Als aber der Mai sich seinem Ende näherte, quälte auch die Menschen eine entsetzliche Hungersnot, sodass viele Arme ihr Leben fast nur mit Gemüse oder eher mit gekochtem Unkraut von den Feldern fristen mussten. Dieser Zustand hielt bis zu den Erntemonaten an. Infolge dieser Umstände nahm die Zahl der Bettler aus unserer Pfarrei und aus den benachbarten Bezirken, die Tag für Tag zu unserem Kloster eilten, derart zu, dass jeden Tag vier Laib Brot und mehr an unserer Pforte verteilt wurden."

Diese Auszüge aus der Niedereher Klosterchronik geben Zeugnis vom harten Leben der Menschen, die in hohem Maße durch die Selbstversorgungswirtschaft auf gute Witterung und Ernten angewiesen waren.

1816 - Das „Jahr ohne Sommer"

So etwas hatten die Menschen vor genau 200 Jahren seit Menschengedenken noch nicht erlebt. Im Jahre 1816 schien das Wetter verrückt zu spielen. Die zeitgenössischen Chronisten berichten von extremer Witterung und kommen zu der Erkenntnis, dass das Jahr ein „Jahr ohne Sommer" war.

Dr. Peter Blum berichtet 1925: „1816 war ein nasser Sommer, der eine große Mißernte im Gefolge hatte. In dem letzten vergangenen Jahr 1815 verursachte eine außerordentliche Menge Regen nicht nur große Überschwemmungen, sondern sie verhinderte auch die Fruchtbarkeit der Erde und verminderte die Erzeugnisse derselben."

Erst Ende September brachte man das Heu ein; das Getreide reifte spät im Oktober; Kartoffeln erfroren unter einer Schneedecke. Teuerung und eine Hungersnot von bisher unbekanntem Ausmaß setzten den Menschen zu. Die Getreidepreise stiegen ins Unermessliche. In einem Aufruf von 1817 schrieb der Herausgeber des „Rheinischen Merkur" Josef Görres: „Der größere Teil der Bevölkerung der tiefen Eifel schleicht umher mit eingeschwundenen kleinen Augen, hohlen, eingefallenen Wangen, gelber, an den Knochen klebender Haut, unfähig zur Arbeit und zum Erwerb, den Seuchen entgegenharrend. Man hat ihnen (.) kein taugliches Saatgut gegeben, und sie haben es sich selbst nur zum Teil zu verschaffen gewußt, somit das schlechte, unreife Getreide des vorigen Jahres ausgesät, und nun stehen sie für die Zukunft hilflos da, indem die Nässe die Wintersaat ersäuft."

Josef Jansen ergänzt: „Man aß Kartoffelstaub, Wurzeln, Futterkräuter, man kochte Schnecken, um etwas Kräftiges zu genießen. Wolfsfleisch war sehr begehrt, Nesseln und Hahnfuß waren schmackhafte Genüsse." Hilfsleistungen setzten von überall ein. In Hamburg und Berlin sammelte man für die notleidende Eifel. Der Jünkerather Hüttenmei-

ster J.T. Peuchen kaufte für seine Belegschaft und ehemaligen Mitarbeiter Roggen in Köln auf, der unter seiner Kontrolle vermahlen und verbacken wurde.

Bis vor etwa 40 Jahren war die Ursache der Wetteranomalie unbekannt. Heute weiß man, dass eine gewaltige Vulkanexplosion die Katastrophe verursacht hatte. Im April 1815 explodierte der Vulkan Tambora auf der indonesischen Insel Sumbawa und emittierte bis zu 100 Kubikkilometer Lava und Asche bis in 43 Kilometer Höhe. Die in die Stratosphäre gelangten Schwefelgase verbanden sich mit Feuchtigkeit und festen Schwebeteilchen zu geschätzten 200 Megatonnen Schwefelaerosolen. Große Mengen Aerosolwolken zogen um den Globus und absorbierten teilweise die Sonneneinstrahlung. Daraufhin setzte eine globale Abkühlung von 1-3 Grad Celsius ein. Dass Vulkanausbrüche das Erdklima abkühlen lassen können, beweist die Eruption des Toba auf Sumatra vor 76 000 Jahren, die in den folgenden Jahren die Erdtemperatur um 8-10 Grad sinken ließ und somit sogar eine globale Eiszeit verursachte. Grönländische Eisbohrkerne stützen diese Vermutung.

„Preußisch Sibirien"

Eine Landtagskommission beschrieb im Jahre 1853 das Eifelklima folgendermaßen: „Das Klima der Eifel ist im allgemeinen kalt und auf den öden und steinigen Höhen unwirthlich und rauh (...) So bezeichnete man unseren Landstrich, der seit dem Wiener Kongress (1814/15) Preußen zugeschlagen wurde, als „Preußisch Sibirien" und beschrieb damit das kalte Klima, die isolierte Lage, die bittere Armut und den Kampf mit den Naturgewalten. Wie ein roter Faden begleiteten die Eifeler Hungersnöte, Überschwemmungen und Hagelschläge. Viele Eifeler/Vulkaneifeler kehrten der ihnen unwirtlich erscheinenden Eifel den Rücken und wanderten hauptsächlich im 19. Jahrhundert nach Nordamerika aus. Nach den Notjahren 1816/17 folgten die Hungerjahre 1847/48. Am 9. April 1847 legte man in Schleiden den Menschen nahe, Froschschenkel statt Brot zu verspeisen, da gerade eine Froschplage herrschte. Die Unterstützung der Bevölkerung geschah durch Roggenspen-

den, die in verschiedenen Militärmagazinen der Rheinprovinz eingelagert worden waren. Die Gemeinde Oberehe verbürgte sich, den Preis des zu erwerbenden Roggens und die Transportkosten von den Magazinen an die königliche Kasse zu zahlen. Wegen der schwierigen Verhältnisse hielten sich viele Bürger nicht an gesetzliche Ordnungen. Holzklau stand auf der Tagesordnung. Mangel an Brennmaterial führte zum eigenmächtigen Fällen von Bäumen. Am 8. Februar 1847 bemerkte der Wiesbaumer Gemeinderat, dass durch die anhaltende strenge Kälte das ausgegebene Holz bereits verbrannt sei, wodurch notgedrungen Waldfrevel geschehe. „Bei dem obwaltenden Holzmangel würde der Zeit ein unberechenbarer Schaden im Wald angerichtet (...), so würde der Wald noch in diesem Winter gänzlich ruiniert, denn tagtäglich kamen die Leute in Haufen mit gesammeltem Holz ohne Scheu ins Dorf (.) Geht man aber in den Wald, so stellen sich die geschehenen Frevel der Art vor Augen, daß man sagen sollte, die ganze Gemeinde frevele tagtäglich."

Um die Not in Wiesbaum zu lindern, ließ man 47 Baueichen fällen und verkaufte sie zum Preis von 130 Talern. Im November 1847 musste sich der Gemeinderat erklären, wie er die Kosten von 26 Talern aufbringen wolle, die durch das Verbacken des vom Kreis aufgekauften Roggens entstanden waren. Zur Deckung sollte ein gemeindeeigenes Beneficium in Auel von 250 Talern herangezogen werden, das so für die Linderung der allgemeinen „Brodtnoth der armen Klasse" dienen sollte. Auch in den Jahren 1879/80 kam es zu einer Frost- und Schneekatastrophe. Der Stadtkyller Pfarrer hielt fest: „In meiner Pfarrei sind keine 20 Familien, die in diesem Winter zu den alten Schulden nicht noch neue machen müssen. Vielfach konnten die Kartoffeln nicht ausgemacht werden, weil Frost und Schnee kamen, ehe alles reif geworden war." Schlimme Folgen für die Straßen hatten massive Wolkenbrüche. Ein Solcher Extremniederschlag zerstörte am 29. Juni 1891 die Verbindungswege von Wiesbaum nach Birgel und Feusdorf, die unbefahrbar beschädigt wurden. Die Gemeinde Wiesbaum erbat zur Wiederher-

Stellung der „Kommunikationswege" Beihilfe aus dem Provinzialfonds. Der Zustand der Straßen war im 19. Jahrhundert meist katastrophal. In der feucht-kalten Jahreszeit verkamen die meist mit Kies hergerichteten Straßen zu morastigen Schlammwegen. Als dann noch Gummireifen in Mode kamen, saugten sie das Füllmaterial auf, sodass der Straßenbelag aufbrach. Starker Frost und Wolkenbrüche vollendeten das Werk der Zerstörung. Bis ins 20. Jahrhundert geschah die Herstellung des Kiesbelags durch „Kiss-klöpper" in Fronarbeit. Familien hatten ein bestimmtes Quantum zu produzieren, sodass die Herrichtung der Kommunikationswege eine gemeinschaftliche Aufgabe war.

Die Unwetterkatastrophe von 1924

Am 7. August 1924 brach über den Kreis Daun eine Unwetterkatastrophe herein. Ungeheuer starke Gewitter und in ihrem Gefolge Hagelschlag wüteten in der Eifel. Besonders die Bürgermeistereien Üdersdorf-Weidenbach; Gillenfeld und Sarmersbach wurden heimgesucht. Monatelange landwirtschaftliche Arbeit wurde in knapp zwei Stunden vernichtet. Ein Orkan fegte Dächer weg. In einigen Dörfern konnten die Bewohner sich und ihr Vieh nur unter Lebensgefahr in Sicherheit bringen. Diplom-Landwirt Viktor Baur schreibt über die Zerstörungen:

„ Die Haferernte ist vollkommen vernichtet. In der Gemeinde Udersdorf allein sind 400 Morgen Hafer völlig eingestampft, der Roggen ist vom Hagel ausgedroschen, und die Kartoffel-, Gemüse-, Rüben- und Kleefelder teils fortgespült, teils niedergeschlagen. Von den hängenden Feldern ist die Ackerkrume in die Tiefe geschwemmt, kahl starrt der felsige Grund in die Höhe, die Wiesen sind von Schlamm und Geröll durchsetzt, und die vielverheißende Grummeternte ist vernichtet. Auf Straßen, Feldwegen und Fluren gähnen, vom Wasser gerissen, metertiefe Spalten und Löcher -ringsher ein Anblick, der das Herz erschauern macht. Manche Felder bedürfen jahrelanger Arbeit, ehe sie wieder in den alten Kulturzustand zurückversetzt sind." Zu den schlimmen Folgen konstatiert Baur: „Nach vorsichtiger Schätzung durch die Bür-

germeisterämter beträgt der Gesamtschaden im Kreis Daun 250.000 M. Entsetzt steht die Bevölkerung vor diesem Unheil, das all ihre Hoffnungen zunichte gemacht hat. Es sind zum überwiegenden Teil Kleinbauern, die sich gerade anschickten, die reichliche Ernte einzubringen. Durch Versicherung ist nichts gedeckt (...) Nun ist alles dahin! Die armen Leute sind der Verzweiflung nahe. Die meisten von ihnen sind heute bereits so verschuldet, dass sie neue Schulden nicht mehr aufnehmen können. Soll ein großer Teil der Eifel von der Katastrophe bewahrt bleiben, so ist schnelle Hilfe nötig (...)" Dass Orkane oder sogar Tornados in der Eifel in letzter Zeit gehäufter auftreten, zeigen die Wetterextreme „Vivian" (25.2.1990), „Wibke" (28.2.1990) und „Kyrill" (18.1.2007), die ungeheure Schäden, besonders in den Wäldern, anrichteten. Die Aufräumarbeiten dauerten Jahre.

Bleibt zum Schluss die Erkenntnis: Auch der moderne Mensch vermag trotz fortschreitender Wissenschaft gegen Naturgewalten, Wetteranomalien und Klimaumbrüchen kaum etwas auszurichten und verkommt gleichsam zu ihrem „Spielball".

Quellenangabe:

Arntz H.D., Naturkatastrophen und Notstände in der Eifel. In:
Eifel-Jahrbuch, 1986
Baur V., Vernichtete Hoffnungen. In: Eifelvereinsblatt, Nr. 8/9,
1924
Behringer W., Kulturgeschichte des Klimas. München 2007
Blum P., Entwicklung des Kreises Daun. Daun1925
Gemeindebeschlussbücher von Stroheich-Oberehe und Wiesbaum
Janssen J., 100 Jahre Kreis Schleiden 1829-1929, Schleiden
1929
Klosterchronik Niederehe
Kölnische Zeitung vom 3.5.1818
Pitzen H., Ortschronik Stroheich-Oberehe 2007 (nicht veröffentlicht)
Schleidener Wochenblatt Nr. 15, 1847
Vahrenholt F., Die kalte Sonne. Warum die Klimakatastrophe
nicht stattfindet. Hamburg 2012
Wirtz L., Überschwemmungen in Münstereifel. In: Eifelvereins
blatt Nr.1, 1932
Wisskirchen F., 1816/17- Hunger und Notjahre. In: Jahrbuch
Kreis Daun 1982