Alter Volksglaube - nicht nur zur Weihnachtszeit

Werner Schönhofen, Leutesdorf

Unsere Gesellschaft ist weitgehend im Begriff sich vom Christentum abzuwenden. Man spricht schon von einer nachchristlichen Gesellschaft, Neuheidentum, Missionsgebiet Europa und wie dergleichen Schlagworte immer heißen mögen. Auch wenn diese Entwicklung so weitergehen sollte, kann man nicht außeracht lassen, dass Europa vom Christentum geprägt ist. Wie das Christentum in einer weitgehend säkularisierten Welt noch lange prägend sein wird, so hatte sich der alte Volksglaube unserer Vorfahren noch lange erhalten, ja er feiert manchmal eine regelrechte Wiedergeburt. Das Christentum hat den alten Volksglauben oft nur in seinem Sinne überlagert. Er wurde Jahrhunderte lang in Sagen, Legenden, Bräuchen, Meinungen usw. weitergegeben. Die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr war früher für die bäuerlich geprägte Lebenswelt eine Ruhezeit, aber nicht immer von ruhiger Witterung. In den Winterstürmen glaubte man das wilde Heer Wotans, des höchsten germanischen Gottes, zu hören. Am Himmel tobte sich dann die götterhafte Jagdgesellschaft mit Geheul und Sturm aus. Vielerorts wurde vom wilden Jäger - ein Bild für Wotan - erzählt, der mit riesiger Gestalt einsame Wanderer im nächtlichen Walde erschrecke. Es hieß dann sich selbst ruhig zu verhalten und möglichst im Hause zu bleiben und keine Überlandgänge zu machen. Bestimmte Tätigkeiten durften zwischen Weihnachten und Neujahr, wenn die Heiligen Nächte waren, nicht durchgeführt werden, so z.B. das Wäschewaschen.

Frauen spielten in der alten Religion eine besondere Rolle als Heilkundige und Zukunftsdeuterinnen. Eine solche Konkurrenz konnte sich die christliche Kirche nicht leisten; sie wurden verteufelt. Hier liegt eine Wurzel für das Phänomen der Hexenverbrennungen am Ausgang des Mittelalters und zu Beginn der Neuzeit. Viele Figuren der alten Mythologie fanden Eingang ins Märchen, so ist z.B. wohl in Frau Holle Freia die Beschützerin von Haus und Herd zu sehen. Auch der Baum Frau Holles, der Strauch des Schwarzen Hollunders, war immer wieder im häuslichen Bereich zu finden. Aus heidnischem Zauber wurde unter christlichem Einfluss das Gesundbeten, das bei gewissen Hautausschlägen bei Mensch und Tier bis heute angewandt wird - oft mit unerklärbarem Erfolg! Ähnlich wie die Indios Südamerikas hingen unsere Vorfahren noch lange der alten Religion insgeheim an. Für sie war die Welt voller Geister - guter wie böser, großer Riesen wie kleiner Zwerge, mit denen man sich gut stellen musste, konnten sie einen doch belohnen oder einem böse Streiche spielen. Zwerge galten als Hüter der Bodenschätze; zahlreich sind die Sagen, in denen Zwerge von ihren Schätzen ausgewählten Menschenkindern etwas abgaben. An besonderen Orten hausten Riesen oder gar der Teufel, die den Menschen nicht so gut gesonnen waren, wie es meistens bei den Zwergen der Fall war. Sicherlich sind hier uralte, vorchristliche Kultplätze gemeint. Manches christliche Höhenheiligtum, Kirche oder Kapellchen auf einem weithin sichtbaren Berg, hat einen heidnischen Vorläufer. Manche Quelle galt auch in vorchristlicher Zeit als heilig, und oft stellt sich bei näherem Prüfen heraus, dass es sich tatsächlich um eine Heilquelle handelt. Quellwasser, in der Heiligen Nacht ohne Reden geschöpft, galt als besonders heilkräftig. Unter dem christlichen Mantel manches Heiligen verbergen sich durchaus heidnische Züge. Die vielerorts früher verehrten drei heiligen Marien oder die Heiligen Jungfrauen Fides, Spes, Caritas (Glaube, Hoffnung, Liebe!) sind nichts anderes als die christlich verbrämten Matronen, Mutter-, Fruchtbarkeits- und Stammesgottheiten des kelto-germanischen Rheinlandes, die sogar bei römischen Soldaten sehr beliebt waren. Sie wurden oft als Dreiergruppe dargestellt, wobei eine jüngere mit Fruchtkorb, Hasen o. ä. Fruchtbarkeitssymbol in der Mitte saß. Reste solcher Matronenheiligtümer finden wir z.B. in der Nordeifel.

Auch die Marienfrömmigkeit mit ihren zahlreichen Wallfahrtsorten, wie das Wallfahren überhaupt, entsprach vorchristlicher Mentalität. An vielen Stellen des Rheinlandes findet man auch heute noch sogenannte Bilderbäume. Das sind Waldbäume mit einem Heiligenbildnis, meistens einer Mariendarstellung oder einem Kreuz. Dabei dürfte es sich um die christliche Überlagerung des alten germanischen Kultes handeln, der ja heilige Bäume und Haine kannte. Immer wieder treten Missionare auf, die die Axt an diese heiligen Bäume legen und dafür ihr Leben lassen müssen. Das bekannteste Beispiel ist der Heilige Bonifatius.

Märchen und Sagen und andere Volksliteratur sowie Bräuche des täglichen Lebens stecken oft voll alten Volksglaubens. Gott sei Dank ist vieles davon bereits im 19. und 20. Jahrhundert festgehalten worden in einschlägigen Büchern. Auch an vielen Universitäten erforschen Institute für Volkskunde diese alten Dinge. Ein Versuch durch das Dritte Reich „den alten Germanenglauben" - den es so gar nicht gab, er war wesentlich vielschichtiger - wieder lebendig zu machen hat letztlich gezeigt, wie unpassend und unhistorisch das im 20. Jahrhundert ist. Eines könnte jedoch in jedem Falle für uns von Bedeutung sein: Unsere Vorfahren lebten viel stärker mit der Natur, lebten ihren Glauben in der Natur - christlich ausgedrückt: Die Achtung vor der Schöpfung sollte für uns wieder einen höheren Stellenwert bekommen. In dem biblischen Auftrag, sich die Schöpfung untertan zu machen, liegt auch die Aufforderung, sie zu bewahren!