Beerdigung mit Verspätung

Uli Diederichs, Manderscheid

Vor langer, langer Zeit - so Mitte des letzten Jahrhunderts - gab es in der Eifel ein Hotel, dem auch eine Gastwirtschaft und eine Metzgerei angeschlossen waren. Der Besitzer, ein Hotelier 'alter Schule', war gleichermaßen bei Einheimischen und "de Frimmen" - wie man damals die Gäste in der Eifel nannte - sehr angesehen und beliebt. Zapfte er doch ein sehr gepflegtes Bier und schenkte guten Wein aus. Und die Speisen, die er servierte, waren schmackhaft, reichlich und wohlbekömmlich. Auch als Arbeitgeber war er bei seinen Beschäftigten gut gelitten. Für seine Metzgerei hatte er einstmals auch einen Lehrling eingestellt, der aus einem Dorf in der Nähe kam. Dieser Lehrling brachte regelmäßig frische Waren - Leber-/ Blut-/ Fleisch-/Jagdwurst usw. - mit nach Hause. „Mit einem schönen Gruß vom Meister". Eines Tages wollte der Vater des Lehrlings mit dem Bus nach Hause fahren, und weil bis zur Abfahrt noch etwas Zeit war, verbrachte er diese in besagter Gastwirtschaft. Als er dort saß, kam der Wirt in den Schankraum. Kurzerhand fasste der Vater des Lehrlings den Entschluss, sich beim Wirt für die vielen guten Wurstwaren, die sein Sohn immer mit dem schönen Gruß vom Meister mitbrachte, einmal herzlich zu bedanken. Der Wirt staunte nicht schlecht über diesen völlig unerwarteten Dank und erwiderte, der Dankende solle mit an die Theke kommen, denn er könne sich noch einmal eine Portion 'Wurst vom Meister' mitnehmen. Und seinen Sohn gleich mit. Denn dem Wirt war ob des Danks des Vaters vom Lehrling klar geworden, dass die Wurst stets ohne sein Wissen „abgezweigt" worden war.

Der Beliebtheit des Hoteliers tat auch seine sprichwörtliche Unpünktlichkeit keinen Abbruch. Er war unpünktlich, egal zu welchem Anlass oder Termin! Bei der Verabredung zum Kartenspiel: Er kam zu spät. Wenn er die Hl. Messe besuchte: Er kam zu spät. Bei der Sitzung des Gewerbevereins: Er kam zu spät. Zur Gesangsprobe: Er kam zu spät, usw., usw. ... Deshalb bekam er mehr als nur einmal den Satz zu hören: "Enes Dares kiß dau noch zo deijna ejena Beerdijung ze spät!" ("Eines Tages wirst du noch zu deiner eigenen Beerdigung zu spät kommen!")

'Eines Tages' war es dann soweit; er verstarb. Die Nachricht von seinem Tod verbreitete sich schnell. Anteilnahme und Trauer waren groß. Nach dem Beerdigungsgottesdienst - bei dem viele Besucher hatten stehen müssen - versammelte sich eine große Trauergemeinde auf dem Friedhof. Familienangehörige, Honoratioren, Kollegen, Nachbarn, Freunde, Schulkameraden, Musik- und Gesangverein. Die 'halbe Eifel' also. Als der Dechant mit der langen Zeremonie fertig war, die Grabreden alle gehalten und die Trauermärsche gespielt waren, begannen die Friedhofsarbeiter, den Sarg langsam in die Grube hinab zu lassen. Doch dann war plötzlich von irgendwo weiter hinten ein lautes „Haltet ein! Halt!" zu hören.

Was war passiert? Damals gab es noch keine Leichenhalle auf dem besagten Friedhof. Stattdessen nutzte man dazu eine große Garage, die sich in der Nähe der Kirche befand. Und just als der Sarg mit dem Wirt in dieser 'Leichenhalle' stand, befand sich noch ein weiterer Sarg dort. Die Leichenkutscher verwechselten die Särge und verfrachteten den falschen zum Friedhof. Was vielleicht unentdeckt geblieben wäre, hätten nicht die Angehörigen des anderen Verstorbenen diesem noch einen letzten Besuch abgestattet und dabei bemerkt, dass der von ihnen ausgesuchte Sarg nicht mehr dort stand. Schnell 'alarmierte' man den zufällig vorbei kommenden Kaplan. Gott sei Dank erfasste dieser die Situation und rannte sofort in Richtung Friedhof. Gerade noch rechtzeitig!

Der falsche Sarg wurde wieder hoch gezogen, auf die Kutsche geladen, zur Leichenhalle gefahren und gegen den „ richtigen" Sarg getauscht. Da das Ganze beinahe eine Stunde dauerte, kam unser Gastwirt tatsächlich - wie ihm schon zu seinen Lebzeiten immer prophezeit worden war - zu seiner eigenen Beerdigung zu spät.