„Hasse niemanden, sonst wirst du dich selbst hassen!"

Franz Blonigen, Daun (7.11.1892 - 20.10. 1977)

Siegfried Czernohorsky, Daun

Auch heute, fast 40 Jahre nach dem Tod ihres Vaters, hat Wiltrud Wendels (geb. 1938) die Erinnerung an ihn noch deutlich vor Augen: „Er war ein sehr sensibler Mensch, der immer ein Herz für seine Mitmenschen hatte. Er war eher ein Schöngeist und hätte lieber studiert als sein Leben als Bauer, Gärtner und Transportunternehmer in der Eifel zu fristen." Seinen Lebensunterhalt bestritt Franz Blonigen zunächst als Bediensteter im Telegrafenamt in Daun. Nach Schließung des Telegrafendienstes blieb er in Daun und gründete einen kleinen bäuerlichen Betrieb mit Gärtnerei, den er in den 30er Jahren um ein Taxi- und Transportunternehmen erweiterte. Mit seiner Frau Maria aus Laubach-Müllenbach und den Kindern Agnes, Franz, Karl Heinz, Erika (Becker-Blonigen) und Wiltrud (Wendels) lebte er im Philosophenweg in Daun. Bei seinen geschäftlichen Fahrten nach Köln schnupperte der „Schöngeist" auch mal ein wenig Großstadtluft und besuchte Galerien und Gemäldeausstellungen und -versteigerungen. Den 1. Weltkrieg überstand er zum Glück körperlich unverletzt als Soldat an der Ostfront.

Im Dienst von Max Grünbaum

Das Holzhaus gegenüber dem Haus der Blonigens am Philosophenweg 1 hatte Max Grünbaum, Generaldirektor der Leonhard Tietz AG, Köln, später Kaufhof AG, 1909/10 als Sommerwohnung für seine Familie errichten lassen. Es war nicht verwunderlich, dass Franz Blonigen bei der häufigen Abwesenheit des Eigentümers mit der Verwaltung des Anwesens und auch der Jagdhütte in Weiersbach betraut wurde. Als Direktor der Firma Tietz ließ Max Grünbaum 1910/11 für die Angestellten und Mitarbeiter dieser Firma das Eifel-Erholungswerk im Liesertal errichten. 1929 gründete er auch das Kohlensäurewerk Dauner Burgbrunnen.

Kurz nach der Machtübernahme durch das NS-Regime 1933 sollte Max Grünbaum - er war Jude - verhaftet werden. Ihr Vater, so Wiltrud Wendels, sei vom Beamten Nikolaus Mengelkoch bei der Kreisverwaltung heimlich darüber informiert worden. Ihr Vater habe Max Grünbaum und seine Frau noch in der gleichen Nacht mit dem Auto nach Luxemburg gebracht. Hierauf sei ihr Vater von der Gestapo verhaftet, verhört und ihr Haus zweimal durchsucht worden. Den intensiven Geruch der schwarzen Ledermäntel, der Schuhe und Gamaschen der breitbeinig vor der Haustür stehenden Männer habe ihren Vater und auch sie selbst nie mehr losgelassen. Auch die Anfeindungen als „Judejung" und „Volksverräter" durch Dauner Mitbürger hätten Franz Blonigen tief getroffen.

Max Grünbaum kehrte nach erfolgreicher Flucht nach England nach Daun am 13.12. 1934 zurück und entging der erneuten Verhaftung wiederum durch rechtzeitige und mutige Warnung. In der Reichspogromnacht am 9. November 1938 wurde die Jagdhütte Max Grünbaums in Weiersbach verwüstet. Franz Blonigen traf sich erneut mit Max Grünbaum in Luxemburg und versteckte persönliche Gegenstände Max Grünbaums bei sich zuhause. Grünbaums restliches Vermögen wurde zwangsversteigert. Am 24.11. 1941 kauften Freunde um Max Grünbaum die Jagdhütte Grünbaums nebst Grundstück und betreuten sie bis zu seiner Rückkehr nach dem Krieg und retteten sie so vor weiterem Verfall. Dies waren Franz Blonigen, der Bücherrevisor und Kegelbruder Friedrich Hartmann und Karl Fries, angestellt beim Wasserwerk der Stadt Daun und langjähriger Freund der Familie Blonigen. Vor allem er hatte immer wieder auf den Kauf und die Erhaltung der Hütte gedrängt.

Die Nachkriegszeit

Max Grünbaum und seine Frau überlebten die NS-Zeit in einem Versteck auf einem Dachboden in Brüssel. Nach dem Tod seiner Frau kehrte er 1949 nach Daun zurück. Die Immobilien wurden dem rechtmäßigen Besitzer zurückgegeben. Gegen die drei „Besitzer" der Jagdhütte wurde zunächst der Vorwurf erhoben, sich unrechtmäßig am Vermögen Grünbaums bereichert zu haben.

Franz Blonigen als Soldat im 1. Weltkrieg

Die umfassende Erstattung der Auslagen der drei „Treuhänder" bei der RückÜbertragung der Immobilie, die durch die Vereinbarung vom 5.12. 1951 vor der Wiedergutmachungskammer in Trier geschlossen wurde, darf als Ausdruck dafür gewertet werden, wie Max Grünbaum diesen Vorwurf persönlich beurteilte. Am 17. Mai 1949 wurde Max Grünbaum zum Ehrenbürger der Stadt ernannt. Er starb in Daun am 5. Dezember 1952 und wurde auf seinem Anwesen im Philosophenweg bestattet.

Der lebensfrohe Franz Blonigen versuchte nach der Befreiung vom NS-Regime zu einem normalen Leben zurückzukehren. Gerne erinnerte er sich daran, dass nicht wenige Dauner während der Bombenangriffe auf die Innenstadt in der Scheune seines Hofes Zuflucht gefunden hatten. Die Anfeindungen einiger Mitbürger während der NS-Zeit konnte er jedoch nicht vergessen.

Neben der täglichen Arbeit auf dem Hof und im Fuhrbetrieb engagierte er sich in vielen Bereichen. Er war Mitbegründer des Gewerbe- und Verkehrsvereins, des Obst- und Gartenbauvereins und des Karnevalsvereins und Stadtratsmitglied von 1964-1969. „Hasse niemanden, sonst wirst du dich selbst hassen!", so sein Motto, das ihn in den Nachkriegsjahren wieder neuen Lebensmut fassen ließ, ihn in seinem Engagement für seine Familie, seinen Betrieb und „seine" Stadt Daun" bestärkte und bis zu seinem Tod 1977 begleitete.

V.l. Maria und Franz Blonigen, Kinder Wiltrud und Erika