Eine Städterin in der Eifel

Renate Wittkuhn-Ring, Schutz

Es war einmal ein kleines Mädchen, ungefähr acht Jahre alt. Das lebte in einer Stadt am Rhein. Eines Tages durfte es auf dem Rücksitz in einem großen Auto mitfahren. Ein erhebendes Gefühl war das, denn damals gab es nur wenige große Autos. Das kleine Mädchen guckte aus dem Autofenster in die Landschaft. Wie schön sah sie aus! Ihre Felder und Wiesen, Waldstücke, Berge und Hügel, so neu, so anders als in der Stadt am Rhein und doch so nah. Seitdem hatte das kleine Mädchen das Wunder der Eifel immer im Rücken.

Viele Jahre später - das kleine Mädchen war Städterin geblieben und so wollen wir es von jetzt an auch nennen - ging die Eifel dieser Städterin noch immer nicht aus dem Kopf. Und ein leiser Wunsch begann zu rumoren, eines der ehrwürdigen, alten Bauernhäuser, die so oft verfielen, vor eben diesem Verfall zu retten. Als das, noch einmal Jahrzehnte später, wirklich und wahrhaftig gelungen war, musste die Städterin mit der Verwandlung in eine Dörflerin zurechtkommen. Was sie zunächst begeistert versuchte.

Ihr Interesse für die dörfliche Welt war groß. Lieder und Gedichte, Sagen, Histörchen, Hausnamen, genau oder ungenau überlieferte Familiengeschichten, sogar eine 200 Jahre alte Schauergeschichte, wurden zu Papier gebracht. Für das Kennenlernen der Lokalgeschichte sorgte die ebenso kluge wie liebenswerte Nachbarin, die zur älteren Generation gehörte und die noch vieles wusste. Über Vulkanismus und die Eifler politische und soziologische Geschichte fand die Städterin reichlichen Lesestoff.

Auch mit Sitten und Gebräuchen machte die Städterin bald Bekanntschaft. Mit der Hexennacht, mit Kinnes und Karneval, mit Helau statt Kölschem Alaaf. Was die Klapperkinder vor Ostern riefen, die „Betglock", musste sie sich erst einmal übersetzen und erklären lassen. Für andere, eher moderne Sitten: Motor- und Fußballsport, Grillen und Biertrinken konnte sie sich bis heute nicht recht erwärmen. Noch weniger für privat erzeugten Lärm in der Mittagspause, Radioberieselung, Qualm aus zweifelhaft beheizten Öfen, auch nicht für eine ziemlich neue, beispielgebende Sitte, aus praktischen Gründen den Straßenrand dauerhaft mit Mülltonnen zu dekorieren. Sie müsste sich und ihre Herkunft verleugnen. Sie dürfte nichts sehen, nichts sagen, nichts hören,

nichts riechen. Das kann sie nicht und konnte es in zwanzig Jahren nicht lernen. Deshalb wünscht sie sich und erwartet von den Alteingesessenen und den integrierten Neubürgern ein kleines Etwas an Verständnis für ihre Eigenheiten und Anpassungsschwierigkeiten. Denn: Die Jahre vergehen, die Uhren bleiben nicht stehen. Auch die Struktur der Dörfer hat sich im 21. Jahrhundert anerkanntermaßen weitgehend verändert. Die Dörfer, immer noch als „Mischgebiete" ausgewiesen, sind oft zu reinen Wohnorten geworden, wo Nachbarrechte beachtet werden dürfen. Ein frommer Wunsch? Nein, ein einfacher Wunsch nach Selbstverständlichkeiten im Zusammenleben, liebe echte und unechte Eifler!