Alois Mayer, Daun
Der Großvater des berühmten Feldmarschalls und Fürsten Leopold von Daun war Wilhelm Anton von Daun (1671-1706). Als junger Mann hatte er die Burg seiner Ahnen inmitten der Kreisstadt Daun verlassen und sich in österreichische Dienste begeben. Dort gelangte er rasch zu Macht und Ansehen, zu Ruhm und Ehre. Er erhielt für sich und seine Kinder den vererbbaren Titel Reichsgraf. Von ihm ist u.a. eine Urkunde erhalten, in der er seinem Sohn Heinrich väterliche Reiseanweisungen erteilt, die einen interessanten Einblick in höfisches Verhalten und gräfliche Erziehung bietet. Heinrich Josef Martin Dietrich wurde am 1. September 1678 in Wien geboren. Er war das achte Kind von zwölfen. Kurz vor seinem 20. Geburtstag und vor dem Beginn seines Studiums bekam er von seinem Vater Wilhelm Anton eine Europareise geschenkt, die ihn auch in die Heimat seiner Vorfahren führen sollte. Solche standesgemäßen Kavaliersreisen, besonders ins Ausland, waren zur damaligen Zeit quasi ungeschriebenes Gesetz und galten als unerlässlich für die Bildung eines jungen adligen Mannes. Wie diese Reise vonstatten zu gehen hatte, wurde vertragsgemäß festgelegt. In diesem Vertrag gab der Vater sowohl seinem Sohn Heinrich Josef Martin Dietrich als auch dessen Begleitern, dem Hofmeister Herrn Franz von Eib und dem Kammerdiener (= Pagen) Johannes Bidennas, genaue Anweisungen, wie adlige Etikette zu handhaben war und wie sie sich auf dieser Reise zu verhalten und bei Gastgebern aufzutreten hatten Die Urkunde (hier in moderner Zeichensetzung und mit Anmerkungen in *) wurde am 26. Mai 1698 in Prag verfasst. Auffallend in ihr sind viele französische Wörter. Im Sprach- und Schriftgebrauch des kommenden Jahrhunderts nehmen diese noch stärker zu. Es galt im deutschen Kaiserhaus, an den Königs- und Fürstenhöfen als „schick" und vornehm, französisch zu sprechen, zu lesen und zu schreiben, auch wenn Frankreich als Nation abgelehnt und von den meisten als Feindesland betrachtet wurde. Deutsch wurde als eine minderwertige Sprache angesehen.
* Dies zeugt zum einen von dem frommen und katholischen Charakter der Familie Daun, über die sich später der preußische „Alte Fritz" häufig lächerlich machte, und zum anderen ist es Hinweis auf die damals übliche Beicht- und Kommunionpraxis.
* Hinweis auf das Einhalten des 4. Gebotes „Du sollst Deine Eltern ehren" und die strenge Hierarchie einer patriarchalisch ausgerichteten Familie.
* Heinrich Josef war noch nicht volljährig und daher vom beauftragten Hofmeister abhängig.
* Spürbar die Befürchtung des Vaters vor Ehr- und Prestigeverlust im Umgang mit niederen Ständen und sein Ehrgeiz, durch freundschaftliche Beziehungen zu ranghöheren Ständen größere persönliche Anerkennungs- und Aufstiegsmöglichkeiten zu gewinnen.
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Daun um 1840, Stich nach Winkles
* Eltern bestimmten und wählten für ihre Kinder einen Ehepartner bereits während derer frühesten Kindheit; hätte der Sohn ohne Wissen des Vaters einer Frau die Ehe versprochen, hätte er den väterlichen Segen verloren und wäre sofort enterbt und mit einem elterlichen Fluch belegt worden.
* Der Aufbau und das Verhalten innerhalb der einzelnen Stände ist erkennbar und war klar geregelt.
* Bühlen und Buhlen = mit niemandem ein Liebesverhältnis eingehen.
* Grundsätzlich sprach also nichts gegen ein Duell bei persönlichem Ehrverlust oder Rufschädigung; christliches Verzeihen oder Erdulden
1640 - Weinmarkt um Mainufer Foto: www. frankfurter-markthaendler.de
von Schmach und Kränkung wären fehl am Platz und als Feigheit angesehen gewesen, was einem die Karriere am Hofe verscherzt hätte.
*Die Duell-Gesetze waren in Frankreich, Holland und England sehr streng und wurden mit Haftstrafen verfolgt. Zudem hätte die Rechtsprechung in diesen Ländern, die nicht mit Österreich verbunden waren, zu großen politischen und diplomatischen Problemen geführt. Anders sah es natürlich in den spanischen Niederlanden aus, dem heutigen Luxemburg und Belgien, die unter österreichischer Regierung standen; das gleiche galt für das Reichsgebiet, in dem der österreichische Kaiser seine Rechtsprechung und schützende Hand über Adlige halten konnte.
* Dadurch war eine doppelte Kontrolle gegeben: Heinrich Josef konnte keine Geld ohne seinen Hofmeister, und dieser nichts ohne Wissen und Zustimmung des jungen Grafen ausgeben. Beide führten genaue Ausgabenlisten, die der Vater wieder kontrollieren konnte. Mit den Ausgaben von 5,5 Gulden pro Tag pro Person - 2000 Gulden für drei Personen und vier Monate - konnte gut gehaushaltet werden, erst recht, da Übernachtung und Essen bei vielen unterwegs aufgesuchten Freunden und Verwandten kostenlos war. Um 1700 besaßen die 2000 Gulden etwa die Kaufkraft von heute 80 bis 100.000 Euro. Um diese Zeit verdiente ein Arzt z.B. 110 Gulden im Jahr, eine Magd hingegen 7 Gulden. Der Jahressold eines Soldaten betrug rund 13 Gulden, der eines Unteroffiziers rund 74 Gulden.
* Es sollte ja eine Studien- und Vorstellungsreise sein, für die vier Monate ausreichend sind und nicht eine Vergnügungsfahrt auf Kosten der Daun-Familie.
* Die deutsche Sprache war verpönt; französisch galt als vornehm und standesgemäß.
15. Mueß Man sich nit überall Vor einen Graffen außgeben, auch nit sagen, daß Er ein Rittmeister seye, sonderlich in frankreich; sondern
kan den Nahmen gebrauchen Von einer meiner Herrligkeith alß: Monsieur de Herot.
* Vater hatte Angst, dass sein Sohn aufgrund seines hohen Standes als Reichsgraf, besonders in dem Österreich feindlich gesinnten Frankreich, möglicherweise beraubt, gefangen oder erpresst werden könnte.
* a) Marckschiff = Marktschiff, ein Schiff für den Personentransport an Markttagen oder mit Einrichtungen für den Warentransport und -verkauf. Zwei Marktschiffe verkehrten regelmäßig zwischen Frankfurt und Mainz. Daraus ist die Bedeutung der Wochenmärkte erkennbar, dass - im Gegensatz zu anderen Schiffsverbindungen, die wöchentlich einmal befahren wurden - täglich ein Marktschiff talwärts nach Mainz fuhr und eines in entgegengesetzter Richtung. Auf den Marktschiffen herrschte ein jahrmarktähnliches Treiben, Musiker spielten, und es wurden Wein und andere Waren angeboten.
Reisen Marktschiff auf dem Main, 1770 Foto: www.rheinneckarblog.de
b) Der Mainzer Kurfürst Lothar Franz von Schönborn war verwandt mit Heinrichs Großmutter; es bestanden ebenfalls enge freundschaftliche Beziehungen zu dem Geschlecht der Walpots von Bassenheim bei Koblenz (Schreibweise ab dem 17. Jahrhundert „Waldbott"). Aus dieser Familie sind zahlreiche Persönlichkeiten hervorgegangen, darunter hohe Offiziere, Bischöfe und Politiker; auch wenn es keine echten Blutsvetter waren, wurden und werden alle auch weiter entfernt Verwandten als „Herr Vetter" oder „Frau Base" bezeichnet; gemeint war hier: Casimir Graf Waldbott (1642-1730), Mainzer Domherr.
Lothar Franz von Schönborn (1655-1729), Kurfürst - Erzbischof von Mainz, war verwandt mit Heinrichs Großmutter.
* a) Johann Karl von Thüngen - * 1648; † 1709 - war kaiserlicher österreichischer Generalfeldmarschall; vom Mainzer Kurfürst Anselm Franz von Ingelheim zum Oberkommandanten für die Festung Mainz bestimmt und mit Vater Wilhelm Anton von Daun bekannt.
b) Reichsfreiherr Christoph Rudolf von Stadion (* 1638; † 1700) war Domdechant, -propst und Hofratspräsident im Kurfürstentum Mainz. Im Gegensatz zu Punkt 15 legt der Vater aber hier größten Wert auf Einhaltung von Rang und Namen: wenn im kurmainzischen Gebiet sein Sohn nicht als „Reichsgraf' vorgestellt würde, sollte er erst recht nicht zu Empfängen oder Festessen gehen; dahingegen muss er die Anstandsregel lernen, dass bereits ein Feldmarschall - selbst ohne Adelstitel - mit „Ihre Excellenz" anzureden ist.
* Gemeint ist der Erhaltungszustand des Schiffes bzw. die Zuverlässigkeit der Besatzung.
19. Deß Weintrinkens ist sich Zu enthalten, Undt selbiges Ihmer Zue depreciren (= schlecht machen; meiden), umb so Viel mehr, weil Er ohne dem der hitzigen Krankheit (= Typhus) unterworffen ist.
* Heinrich Josef scheint kränklich gewesen zu sein und unter Fieberanfällen gelitten zu haben. Desweiteren resultiert des Vaters Alkoholverbot aus der Angst, dass seinem trinkungewohnten Sohn im Rausch eher körperlicher oder sächlicher Schaden durch die Schiffsbesatzung zugefügt werden konnte.
* Die Reise wird auch weiterhin mit Marktschiffen fortgesetzt; in Koblenz residierte der Trierer Kurfürst Johann Hugo, zu dem keine verwandtschaftlichen Beziehungen bestanden. Aber als Lehnsherr über die Dauner Besitzungen war er eine einflussreiche Person, die aufzusuchen war, da von deren Wohlwollen die Dauner Grafen selbst in Österreich noch abhängig waren.
* a) Kölner Kurfürst und Erzbischof war der Wittelsbacher Josef Clemens von Bayern. Wegen ihm brach 1689 ein Krieg aus, in dessen Folge die Eifel und fast alle Schlösser und Burgen, wie Bonn, Brühl, Hillesheim, Mayen, Ulmen, Daun usw. total zerstört wurden.
b) Beim Grafen von Schellardt handelt es sich um den Grafen Franz Kaspar Schellart von Obbendorf (1628-1701). Er war - ebenfalls wie der Dauner Graf Wilhelm Anton - in den Reichsgrafenstand erhoben worden, erhielt seine militärische Ausbildung in Österreich, be-fand sich jetzt in Köln und wurde zwei Jahre später Kommandant der kaiserlichen Truppen in Köln. Obwohl keine Blutverwandtschaft zu den Dauner Grafen bestand, wurde er mit „Vetter', als übliche Anrede zwischen Standesgenossen, vor allem beim Hochadel, angesprochen.
* a) Johann Wilhelm, Herzog von Jülich-Berg, war Kurfürst von der Pfalz und residierte in Düsseldorf.
b) Oberhofmarschall war Graf von St. Maurice, der im Dezember des gleichen Jahres zum Obersthofmarschall befördert wurde.
c) bei der Familie Nesselrode-Reichenstein wird sich der junge Dauner bei zwei Personen vorgestellt haben, sowohl bei Vater Graf Franz und bei dessen Sohn Bertram Karl. Beide hatten in diesem Jahr die Ämter eines bergischen Erbmarschalls, Landesdirektors und kur-kölnischen Geheimen Rates, sowie des Statthalter von Recklinghausen inne.
d) Gräfin Anna Theresia Kinsky war ebenfalls
Palast der Familie Daun-Kinsky in Wien, Stich von Salomon Kleiner um 1750; Steinmetzmuseum Kaisersteinbruch, Österreich Foto: Archiv Alois Mayer
eine geborene Nesselrode-Ehreshofen; „Herrn Vattern als Vettern" weist nicht auf ein direktes Verwandtschaftsverhältnis hin, sondern bezeichnet hier ein enges, vertrauliches Verhältnis zu dem Grafenhaus der Dauner in Österreich.
* a) Maximilian II. Emanuel (* 1662; † 1726), seit 1679 Kurfürst von Bayern, war seit 1692 auch Generalstatthalter der Spanischen Niederlande und wohnte bis 1706 in Brüssel. b) Vater Graf Wilhelm von Daun hatte 1667 seine Grafschaft Falkenstein an Karl III., Herzog von Lothringen, verkauft, der sie seinem jüngsten Sohn Karl Heinrich (1649-1723), Prinz von Vaudemont, der zur Zeit in Brüssel lebte, zur Verfügung gestellt hatte.
* a) Anselm Franz von Thurn und Taxis (*1681; † 1739) war von 1714 bis 1739 Generalerbpostmeister und Leiter der Kaiserlichen Reichspost in Brüssel.
b) Da Graf Wilhelm von Daun mit dem übrigen kurfürstlichen Personen nicht persönlich bekannt war, wäre es ein Verstoß gegen höfische Etikette gewesen, ihnen von sich aus einen Gruß zu entbieten, da diese in der Standeshierarchie weit über einem Grafen stehen. Bei Hof hielt man artig den Kopf gesenkt, wartete, dass man vorgestellt wurde und antwortete den kurfürstlichen Personen nur, wenn diese persönlich fragten oder fragen ließen.
* Die Grafen Manderscheid-Blankenheim, hier: Franz Georg, Graf von Manderscheid-Blankenheim-Gerolstein (* 1669; + 1731) waren eng verwandt mit den Daunern; sie hatten Anteile an der Burg und dem Besitz im damaligen Amt
Daun; sie sollten aufgrund dieser engen Blutsbindung nicht mit „gnädiger Graf" o.ä. angeredet werden, sondern mit „Vetter" oder „Base".
* Bemerkenswert, dass der Vater ihm nicht empfiehlt, die Begräbnisstätte seiner Großeltern und Vorfahren in der Nikolauskirche Daun, oder seinen Geburtsort, die Dauner Burg, aufzusuchen. Aber Heinrich Josef wird sie, wenn er schon durch Daun fuhr, mit Sicherheit kurz besichtigt haben. Ich gehe davon aus, dass er eine Nacht dort geschlafen hatte, denn von Blankenheim nach Daun sind es rund 50 Kilometer, für Heinrichs Pferdekutsche etwa sieben bis acht Stunden Fahrzeit benötigte. Viel zu sehen gab es in Daun allerdings nichts mehr. Von der Familie wohnte keiner mehr in dem „zerfallenen Gehäuss", das neun Jahre vorher von den Franzosen stark zerstört worden war. Wahrscheinlich hat er dem trierischen Amtmann auf der Burg kurz „Guten Tag" gesagt, der ja immerhin noch Güter für die Familie betreute. Dass der Eifel im Allgemeinen nur wenig Interesse gewidmet ist, zeigt, dass die Loslösungsbestrebungen vom Heimatland bereits vollzogen sind und die Interessen der Familie Daun sich ganz auf Österreich und das Habsburger Land konzentrieren.
Prag, den 26. May Anno 1698 (Siegel und Unterschriften)
Heinrich Josef Martin Diederich war pünktlich zu Hause. Er hat dem Ruf und der Ehre seiner Familie nicht geschadet und infolgedessen weder die väterliche Gnade noch dessen Segen verloren. Ein Liebesversprechen ist er auch nicht eingegangen, denn er heiratete 16 Jahre später die Gräfin Wlassin, die nach zwanzigjähriger Ehe 1734 starb. 1724 erwarb er die Herrschaft Daleschitz und 1735 das Gut Slowetitz (beide heute in Tschechei). Nach Ablauf des Trauerjahres heiratete er erneut. Wie sein Vater, wurde er kaiserlicher Feldmarschall und Inhaber eines Regiments, das den Namen „Heinrich Daun" trug. Er war Stadtkommandant von Wien und leitete 1744 die Untersuchung der Übergabe von Freiburg an die Franzosen. Als alter Herr, der zu seinem Lebensende eine nicht allzu verantwortungsvolle Stelle eines Kommandanten der Trabantengarde am kaiserlichen Hof in Wien innehatte, starb er am 31. Januar 1761 im 83. Lebensjahr. Als einziger „Dauner" hatte er sechs Herrscher des Hauses Habsburg kennen gelernt.