Hundert Jahre Völkermord an den Armeniern

Helfer der Armenier in ihren schwersten Stunden

Bodo Bost, Temmels

Pfarrer Emmerich David (1882 - 1953) aus Gillenfeld begann 1916 als Pfarrer in Angora, dem heutigen Ankara, im Auftrag des Heiligen Stuhls, ein Rettungswerk für die katholischen Armenier Foto: Görres-Institut, Rom

Der 1905 in Köln zum Priester geweihte Emmerich David wurde 1882 als Sohn des Gillenfelder Bürgermeisters Anton David und dessen aus Schweich stammender Ehefrau Theresa Schmitz geboren und nach seinem Großvater mütterlicherseits, dem einstigen Schweicher Bürgermeister Emmerich Schmitz, benannt1. Nach der Priesterweihe in Köln und einer Tätigkeit am Gymnasialkonvikt Neuss begab sich David 1908 nach Italien, um an der Santa Maria dell'Anima, der Nationalkirche der deutschsprachigen Katholiken in Rom, als Kaplan zu wirken und daneben seine theologischen Studien fortzusetzen. Nach seiner Promotion an der Dominikanerhochschule Angelicum begleitete Dr. David von 1912 bis 1914 die Orientalisten Adolf Rücker und Andreas Evarist Mader vom Jerusalemer Görres-Institut auf deren Orientreisen und erwarb sich tiefgehende Kenntnisse über die Region und ihre Bewohner. Seit Kriegsbeginn 1914 wurde er Feldgeistlicher der kaiserlichen Truppen auf dem Balkan und in Palästina, die dort als Verbündete der türkischen Osmanen im 1. Weltkrieg kämpften. Um die Jahreswende 1915/16 wurde er Pfarrer für die deutschsprachigen Mitarbeiter der am Bahnbauprojekt Bagdadbau Beschäftigten mit Sitz in Angora. Dort diente Pfarrer David jedoch hauptsächlich als Seelsorger in geheimer Mission des Heiligen Stuhles, um den letzten katholischen Armeniern, die von den großen Deportationen im Jahre 1915 noch übrig geblieben waren, beizustehen2.

Die Deportation der katholischen Armenier

In Angora gab es zunächst Widerstand gegen die am 24. April 1915 von der osmanischen Zentralregierung eingeleitete Deportation und Ausrottung der Armenier. Der Vali (Landrat) Mazhar Bey, der Polizeichef und der Armeechef der Stadt glaubten, dass die Armenier für die Wirtschaft der aufstrebenden Kleinstadt von 50.000 Einwohnern, die Hälfte davon Armenier, unerlässlich seien. Erst als im Juli 1915 der Vali und Polizeichef der Provinz Angora durch Hardliner unter dem Kommando des Kommandeurs der Spezialeinheit Necati ausgetauscht wurden, der zunächst alle Armenier der Provinz registrieren ließ, kamen auch in Angora seit August 1915 die Deportationen sehr schnell in Gang3. Bevor jedoch die Deportationen begannen, wurden die Geschäfte und Häuser der Armenier ausgiebig geplündert4. Dank des Prozesses von Yozgat, der 1919 nach

der Niederlage des Osmanischen Reiches unter Alliierter Aufsicht durchgeführt wurde, kamen viele Einzelheiten ans Licht. Vor allem Sükrü Bey, ein die Deportationskonvois begleitender türkischer Offizier, hat bei diesem Prozess ausgiebig ausgesagt, „um sein Gewissen zu bereinigen". Nachdem Ende Juli der Mutesarif der Provinz durch den Kaimakam von Bogazlian, Ali Kemal, ausgetauscht worden war, begannen die Deportationen und Massaker. Die armenischen Männer wurden wie überall als erste deportiert. In Angora wurden sie am 30. August bereits am Rande der Stadt am Fluss Assi Yozgat ermordet. Zum Morden hatte der neue Polizeichef die Berufsgruppen der Metzger und Gerber zwangsverpflichtet5, die am besten mit einem Messer umgehen konnten, als Rache dafür, dass die türkische Bevölkerung zunächst die Armenier in Schutz nehmen wollte. Nach dem Morden durchsuchten türkische Soldaten die Toten und entwendeten Banknoten, die, oft mit Blut verschmiert und mit Messern durchstoßen, an den folgenden Tagen von diesen in den Banken eingelöst wurden6.

Am selben Tag, als die Katholiken abgeführt und ermordet wurden, wurden auch die Frauen deportiert. Diese wurden jedoch nicht zum Fluss Yozgat geführt, sondern zum Bahnhof der Stadt. Dort wurden sie in den Bahnhofshallen eingesperrt und ihrer Habseligkeiten beraubt. Nur die Frauen und Kinder, die bereit waren, zum Islam zu konvertieren, durften in die Stadt zurückkehren und wurden in türkischen Notabeln Familien oder in so genannten Waisenhäusern, welche im Grunde religiöse Umerziehungshäuser waren, untergebracht. Der Rest wurde nach Mesopotamien oder Syrien deportiert7.

Rom blieb angesichts dieses unvorstellbaren Terrors, der das Menschenfassbare überstieg, nicht untätig, zumal Angora das Zentrum der katholischen Armenier war und die katholischen Armenier gar keine Armenier mehr sein wollten. In Ihrer Mehrheit sprachen sie kein Armenisch und hatten auch mit den Russen keinerlei Verbindung. Dies war jedoch das bis heute vorgebrachte Argument der Türken für die Deportationen des gesamten Volkes. Am 10. September 1915 richtete Papst Benedikt XV. ein persönliches Handschreiben an das osmanische Staatsoberhaupt, Sultan Mehmet V., in dem er sich auch für die katholischen Armenier in Angora einsetzte. Es dauerte ganze sechs Wochen und bedurfte erst einer Intervention des deutschen Botschafters, bis der Apostolische Delegat, Msgr. Angelo Dolci, überhaupt vom Sultan empfangen wurde, um das päpstliche Handschreiben zu übergeben. Nach weiteren vier Wochen traf die Antwort ein, in der Sultan Mehmet V., der auch den Titel Kalif - also religiöses Oberhaupt aller Muslime - führte, versprach, dem Papst bis Weihnachten zumindest die armenischen Katholiken zurückkehren zu lassen. Dies erwies sich jedoch als offene Lüge, denn sie waren bereits tot. Danach bestand für Papst Benedikt XV. kein Zweifel mehr, dass „das unglückliche Volk der Armenier fast vollständig der Vernichtung zugeführt wird" - so sagte er wörtlich in einer Allokution (= offizielle päpstliche Verlautbarung) vor dem Konsistorium am 6. Dezember 1915. Bis zum Ende des Jahres, so musste Nuntius Dolci feststellen, war bereits die „unbeschreibliche Zahl" von rund einer Million gregorianischer Armenier, darunter 48 Bischöfe und 4500 Priester, ermordet worden. Die Katholiken verloren 7 Bischöfe, 140 Priester, 42 Ordensleute und 85.000 Gläubige, 87 % ihrer Gemeinde.

Emmerich David,
ein Helfer der bedrängten Armenier

Zur Jahreswende 1915/1916 waren von den einst 25.000 kath. Armeniern in der Stadt und im Kreis Angora noch 2000, zumeist zwangsislamisierte Frauen und Kinder, verblieben. Der Papst gab trotz des Wortbruches des Oberhauptes aller Muslime diese oft in erbärmlichen Verhältnissen lebenden Menschen, die ihre Priester und Bischöfe verloren hatten, nicht auf. Er ernannte persönlich den Priester Emmerich David, der seit seiner Zeit in Rom enge Kontakte zum Heiligen Stuhl hatte, zum Pfarrer von Angora. Angesichts des Abzuges aller französischen und italienischen Geistlichen aus der Türkei waren die deutschen und österreichischen Priester die einzigen, die noch offiziell im Lande arbeiten durften, allerdings nur als Militärpfarrer. Pfarrer David war seit Beginn des 1. Weltkrieges Militärpfarrer der deutschen Truppen im Osmanischen Reich, außerdem war er auch zuständig für die Betreuung des deutschen Zivilpersonals bei der Bagdadbahn, mit Sitz in Eski Schehir, in der Nähe von

Konstantinopel. Mit Beginn des Jahres 1916 wurde er unter Beibehaltung seiner Affektation nach Angora versetzt, obwohl dort kaum deutsche Soldaten und noch weniger deutsche Techniker tätig waren, denn die Bahn nach Angora war schon lange fertig. Dennoch begann Pfr. David sehr beherzt mit seiner schwierigen Mission. Als erstes widmete er sich den vielen verwaisten armenischen Kindern in Angora. Gleich in den ersten Tagen soll Pfr. David bereits 3-4 armenische Waisen um sich gesammelt haben.

Pfarrer David wusste, dass er seine schwierige Mission angesichts der komplexen politischen Gemengelage nur mit Hilfe der Politik erledigen konnte. Deshalb suchte er auch Kontakte zur Politik. Er kannte den einflussreichen deutschen Zentrumsabgeordneten Mathias Erzberger, der sich als einer der wenigen im Reichstag für die Armenier eingesetzt hat. Erzberger hatte im Februar 1916 einen Besuch in der Türkei genutzt, um sich für die Armenier einzusetzen. Am 10. Februar 1916 hatte er sich mit Enver Pascha und Talaat Pascha, den beiden Hauptverantwortlichen für den Völkermord, getroffen und von ihnen die Zusage erhalten, dass keine weiteren Maßnahmen gegen die Armenier mehr erfolgen würden; die Armenier würden in geschlossenen Ortschaften angesiedelt und ihnen würde religiöse Freiheit gewährt. Auch die Öffnung der Kirchen und Seminare wurde zugesagt. Beide Minister forderten Erzberger auf, in einer Denkschrift die von ihm gewünschten Maßnahmen darzulegen, obwohl sie beide wussten, dass zu diesem Zeitpunkt die meistern Armenier schon tot waren. Nach dem Motto „Die Hoffnung stirbt zuletzt" verfasste Erzberger umgehend, wohl in der Annahme weiteres Unheil verhindern zu können, die vereinbarte „Denkschrift über die Maßnahmen zugunsten der Christen in der Türkei". Darin schrieb er: „Man treibt die Menschen wie Viehherden wochen- und monatelang ihrem Bestimmungsort entgegen, für die notwendige Nahrung ist nur in den seltensten Fällen gesorgt. So erliegen die Armen massenhaft dem Hunger und den Seuchen. Sind sie am Bestimmungsort angelangt, so ist auch dort ihren Beliebens nicht, man treibt sie an einen neuen Bestimmungsort und von diesem wieder an einen anderen, sodass sie nie zur Ruhe kommen". Trotz verschiedener Erinnerungen, auch des deutschen Botschafters, wurden von der türkischen Regierung auf die von ihr selbst gewünschte Denkschrift keine Antwort erteilt. Dennoch ließ sich Erzberger nicht abhalten. Kurz nach seiner Rückkehr organisierte er ein „Liebeswerk für die bedrängten Armenier", dem sich der gesamte deutsche Episkopat mit einer Sonderkollekte 1916 anschloss8. In einem Brief vom 10 Mai 1916 an die deutsche Botschaft in Konstantinopel, beschwerte Pfr. David sich, dass seine „Haushälterin und zwei andere armenisch-katholische Frauen ins Gefängnis geworfen wurden und anscheinend noch Schlimmerem entgegengehen, weil sie in meinem Auftrage armen Familien Brot gebracht hatten". Ihm selbst wurde durch den Polizeidirektor „untersagt, kranken katholischen Armeniern die Sterbesakramente zu reichen, Kinder derselben zu taufen und Beerdigungen vorzunehmen". Pfr. David verlangte von dem deutschen Botschafter, dass „wenigstens dieses Verbot zurückgenommen wird".

Mit der Zeit scheint Pfr. David jedoch den Dienstweg aufgegeben zu haben. In diesem Schreiben wird deutlich, dass Pfr. David seinen militärisch-diplomatischen Schutz auch benutzt, um für die Armenier einzutreten. Er setzte das Schicksal der deutschen und armenischen Katholiken praktisch auf eine gleiche Ebene, allerdings nutzte auch dies nichts, denn die Türken versprachen weiter, wie gegenüber Erzberger, alles und taten gar nichts. Am 3. Juni 1917 schrieb Pater David direkt an Matthias Erzberger, dass „türkische Polizei den Armeniern die Teilnahme an meinem Gottesdienste untersagte, indem man während der hl. Messe in brutalster Weise lärmend mit Polizei und Gendarmerie in meine Wohnung eindrang und alle Armenier hinauswies". Pfarrer David feierte in seiner eigenen Privatwohnung Gottesdienste für deutsche Soldaten, die mit türkischen Soldaten verbündet waren, weil „seit Pfingsten die Abhaltung öffentlichen Gottesdienstes bereits untersagt war", obwohl es zum damaligen Zeitpunkt noch sechs prächtige armenisch- katholische Kirchen in Angora, drei davon katholische, gab.

Hunderttausende versklavte armenische Frauen und Kinder

Erstmals diplomatisch aktiv wurde Pfr. David im April 1916. Er wollte für Surpik Kenerlikdjian, der Mutter eines in München lebenden katholisch-armenischen Priesters, P. Basilius, der die deutsche Staatsangehörigkeit besaß, die Erlaubnis erhalten, zu ihrer Tochter nach Pera übersiedeln zu dürfen, „da ihr in Angora die Existenzmittel fehlen". Um dieser betagten Frau, die nur durch Zufall noch nicht ermordet worden war, diese Erlaubnis zu erwirken, bedurfte es achtmaliger Interventionen von deutschen Botschaftsangehörigen bei türkischen Ministerien. In der Regel erhielten Provinzgouverneure und Polizeichefs Befehle bezüglich der Vernichtung der Armenier immer in zweifacher Form. Einmal in Form von harmlosen ministeriellen Anweisungen, die, nichtssagend bereits für die Nachwelt bestimmt, den Genozid verleugnen oder verharmlosen sollten. Andererseits in verschlüsselter und chiffrierter Form, die eigentlichen Genozid-Befehle beinhalteten, die allesamt schnellst möglich nach Ausführung der Befehle vernichtet werden sollten9. Diese Praxis hatte dazu geführt, dass Gouverneure und Polizeidirektoren immer erst den zweiten richtigen Befehl abwarteten. Wenn dieser nicht kam, einfach nichts taten, wie im Falle dieser alten Frau.

Der Fall Kenerlikdjian zeigt schon, welches der Schwerpunkt der Arbeit von Militärpfarrer David in Angora war. In besonderer Weise kümmerte sich Pfarrer David um die vielen zum Islam zwangskonvertierten Armenier, vor allem Frauen und Kinder, „die in nicht rechtsverbindlicher Form beim Islam festgehalten werden". „Die Vernichtung der Armenier könnte uns deutschen Katholiken, wenn wir nicht alles Mögliche zu ihrem Schutze tun, später vom katholischen Auslande aufs Schuldkonto gesetzt werden", schrieb er weiter an den Zentrumspolitiker Mathias Erzberger. Pfarrer David hatte bereits ein Gespür für die deutsche Mitverantwortung an diesem Völkermord. Seine Hauptsorge galt den noch etwa 200.000 - 400.000 Lebenden, vor allem armenische Frauen und Kinder, die den Völkermord überlebt hatten, weil sie sich in ihrer Not zum Islam bekannten oder weil sie ungefragt einfach versklavt worden waren. In Angora gab es besonders viele dieser zwangskonvertierten Armenier, weil die katholischen Armenier der Stadt besser Türkisch sprachen als Armenisch.

Dies war für die türkischen Nachbarn ein zusätzlicher Ansporn, zu diesem Druckmittel zu greifen. Aus diesem Grunde durften auch diese zwangskonvertierten Armenier keine armenischen Kirchen mehr besuchen und deshalb musste auch jeglicher Gottesdienst in diesen Kirchen, von denen es in Angora sechs gab, unterbunden werden. Die „Überführung von Kindern der Gruppe in eine andere Gruppe" gehört zu den traurigen Kapiteln des Armenozids. „Eine große Zahl armenischer Kinder wurde besonders am Geburtstag des Sultans beschnitten und zu Türken gemacht", schrieb Pfr. David niedergeschlagen.

Ab Sommer 1916 war jegliche Nutzung armenischer Kirchen in der Türkei strengstens untersagt. Auch der Vatikan hatte das schlimme Schicksal der versklavten Frauen und Kinder erkannt, wohl durch die Berichte von Pfarrer David. Dies geht aus einem Bericht von Nuntius Dolci vom 5./18. Juni 1916 hervor10, in dem er auch mehrmals die Stadt Angora erwähnt. Die Nachkommen dieser versklavten und zwangsislamisierten Armenier leben heute noch in Anatolien und wagen es immer noch nicht, trotz EU-Beitrittsperspektive der Türkei, sich offen zu ihrem Glauben und Volkstum zu bekennen. Offenbar hatte das unermüdliche Eintreten von Pfr. David für die Zwangskonvertierten einen gewissen Erfolg. Der deutsche Konsul Rössler in Aleppo erwähnt in einem Schreiben vom 20. April 1917 an die deutsche Botschaft Konstantinopel: „Von Dr. Straubinger hörte ich in diesen Tagen, dass man in Angora den dorthin zurückgekehrten armenischen Zwangskonvertiten katholischer Konfession stillschweigend erlaube zu ihrem früheren Glauben zurückzukehren"11.

Pfarrer der deutschen Reichswehrsoldaten

Neben seinem Einsatz für die Armenier war Pfarrer David offiziell weiterhin Pfarrer der deutschen Reichswehrsoldaten und der deutschen Mitarbeiter beim Bahnbau, wo ebenfalls auch überproportional viele Armenier beschäftigt waren. Diese Position gab ihm sogar einen gewissen Schutz. Im Herbst 1917 hatte Pfarrer David einen verunglückten deutschen Soldaten auf dem katholisch-armenischen Friedhof in Angora begraben. Sein Grabkreuz wurde kurz darauf von türkischem Militär in kleine Stücke zerschlagen. Als Pfr. David sich daraufhin beim zuständigen Militärkommandanten beschwerte, dass „solche Vorkommnisse die türkisch-deutsche Bundesfreudigkeit erschüttern könnten", stieß er auf Unverständnis. Der osmanisch-türkische Staat wollte nicht nur die Armenier vernichten, sondern auch ihr Andenken und ihre letzten Spuren, wie Friedhöfe.

Durch seine Reisen mit Adolf Rücker und Andreas Evarist Mader hatte Emmerich David eingehende Kenntnisse über das Heilige Land. So kam es, dass er mit dem Näherrücken der Südfront nach Palästina in die Stadt Nazareth, der Stadt der Heiligen Familie, versetzt wurde. In Palästina waren 1917 die Fronten in Bewegung geraten. Die türkische Armee war in Auflösung begriffen, die Hälfte der Soldaten war, weil es nichts mehr zu essen gab12, desertiert. Deutsche Soldaten sollten sie ersetzen. Nachdem der osmanische Oberbefehlshaber Kemal Pascha abdanken musste, übernahm der preußische General Erich von Falkenhayn am 5. November 1917 sogar für knapp vier Wochen die Herrschaft in der Heiligen Stadt Jerusalem mit deutschen Truppen. Deutsche Architekten sollen bereits vorgeschlagen haben, die armenischen Kacheln im islamischen Felsendom durch deutsches Schmiedeeisen zu ersetzen13. Deutsche Truppen, die jetzt fast 15.000 Soldaten stellten, sorgten auch dafür, dass der englische Vormarsch nach der Eroberung Jerusalems noch vor Weihnachten 1917 im judäischen Bergland fast ein Jahr lange gestoppt wurde.Die türkisch-osmanischen Verbände hatten sich zu diesem Zeitpunkt fast alle aufgelöst.

In Nazareth hatte die deutsche Armee zu Beginn des Jahres 1918 auch ein Soldatenheim eingerichtet, dessen Leitung am 30. Juni Pfr. Emmerich David übernahm. Das Heim lag in der Nähe der Verkündigungskirche und verfügte über einen der größten Säle im damaligen Nazareth14. Am 20. September 1918 verließ Emmerich David als Letzter das Heim vor den heranrückenden Engländern mit den zurückweichenden deutschen Truppen. Die Türken waren auch hier schon lange vorher geflüchtet. Von Nazareth aus begab sich Pfr. David nach Eski Schehir in der Nähe der damaligen Hauptstadt Konstantinopel an der Anatolischen Bahn, wo sich das größte und älteste deutsche Soldatenheim befand, das er bereits vor seinem Einsatz in Angora betreut hatte.

Erzbischof Ignatius Malayan von Mardin, katholischer Märtyrer des Genozids

Hier harrte Pfr. David aus, bis die letzten deutschen Truppen auf ihrem Rückzug durchmarschiert waren. Danach löste er das Heim auf und verkaufte das Mobiliar. Mit dem Erlös dieser Aktionen unterstützte er wiederum ein deutsches Waisenhaus für armenische Kinder in Angora. Dank der Unterstützung des Päpstlichen Delegaten Dolci konnte dieses Waisenhaus bis zum 15. März 1919 seine segensreiche Arbeit fortsetzen. Mit der Schließung desselben fand die letzte karitative Stiftung aus dem 1. Weltkrieg in der Türkei ihr Ende15. Das einstige mehrheitlich armenische Angora wurde seit 1923 unter dem Namen Ankara die neue Hauptstadt der Türkei. Der Gründer der modernen Türkei, Kemal Atatürk, errichtete seinen Präsidentenpalast in der Villa eines reichen Armeniers Ohannes Kasabian.

Nach seiner Ausweisung wurde Emmerich David Rektor am Campo Santo in Rom (19201930). Karl Joseph Kardinal Schulte holte ihn 1930 als Domkapitular nach Köln und ernannte ihn am 23. März 1931 zu seinem Generalvikar. Nach Schultes Tod 1941 wählte ihn das Domkapitel zum Kapitularvikar. Als solcher stand er ein Jahr lang in schwieriger Zeit an der Spitze des Erzbistums Köln. Schultes Nachfolger, Joseph Kardinal Frings, bestätigte ihn im Amt des Generalvikars. Am 4. März 1952 emeritierte er aus Krankheitsgründen aus diesem Amt und starb ein Jahr später in Köln.

Das Referenzwerk mit den Briefen von Pater David und Straubinger ist: Die armenische Frage und der Genozid an den Armeniern in der Türkei (1913-1919), Dokumente aus dem politischen Archiv des Deutschen Auswärtigen Amts, Zusammengestellt und eingeleitet von Prof. Dr. Wardges Mikaeljan, Jerewan 2004

Anmerkungen:
1 Gregor Brand, Emmerich David, Generalvikar aus Gillenfeld, in: Eifelzeitung, Serie: Kinder der Eifel, 30.März 2016
2 Alle biographischen Angaben zu Emmerich David beziehen sich auf: Stefan Heid, Personenlexikon zur Christlichen Archäologie, Band 1, Regensburg 2012, Seite 359
3 Memorial du genocide des Armeniens, sous la direction de Raymond H. Kevorkian, Yves Ternon, Paris 2014, Seite 321
4 James Broyce und Arnold Toynbee, Le traitement des Arméniens dans l'Empire ottoman, doc. 39, Seiten 341-343
5 Wolfgang Gust, Der Völkermord an den Armenier. Die Tragödie des ältesten Christenvolkes der Welt, München, Wien 1993, Seite 48ff
6 Siehe: Wolfgang Gust, (1993), op. Cit. Seite 49
7 Memorial du genocide des Armeniens, sous la direction de Raymond H. Kevorkian, Yves Ternon, Paris 2014, Seite 325
8 Matthias Erzberger, Erlebnisse im Weltkrieg, Barsinghausen, Nachdruck 2011. S.74ff.
9 In den heutigen türkischen Archiven befinden sich natürlich nur noch die ersten „getürkten" Befehle, die natürlich Präsident Erdogan deshalb ständig öffnen will, um die in seinem Sinne „Wahrheit" über die „Armenier-Ereignisse" ans Licht zu bringen.
10 Vatikanisches Geheimarchiv, Delegatione Apost. di Turchia, Mgr Angelo Maria Dolci, fasc. «Persecuzione e massacri contri gli Armeni», vol. V, 93, f° 43.
11 http://www.armenocide.net/armenocide/armgende. nsf/$$AllDocs/1917-04-20-DE-002
12 Die Versorgungsprobleme der osmanischen Armee waren indirekt auch noch eine Folge der Armeniermassaker, da diese jahrelang große Transportkapazitäten der Eisenbahn banden, die für die Nahrungmitteltransporte fehlten. Der Tod Hunderttausender armenischer Bauern hatte wohl auch      seit 1915 zu weniger Ernteeinahmen geführt, die sich auf die Nahrungsmittelversorgung der Truppe auswirkten.
13 Gil Yaron, Jerusalem, ein historisch-politischer Stadtführer, München 2007, Seite 128
14 Das Heilige Land in Vergangenheit und Gegenwart, gesammelte Beiträge und Berichte zur Palästinaforschung, III. Band, in: Palästinahefte des Deutschen Vereines vom Heiligen Lande, Heft 33-36, Köln 1941, Seite 347
15 Das Heilige Land in Vergangenheit und Gegenwart (1941), op. cit., Seite 347