Gerechtigkeit für Christine Michels

Die streitbare Krankenpflegerin aus der Eifel wurde 1936 in Osann/Mosel entlassen

Franz-Josef Schmitt, Wittlich

Christine Michels war das zehnte von elf Kindern der Eheleute Bernhard und Barbara Michels aus Steiningen (Kreis Daun). Ende 1924 war sie als Krankenpflegerin in den Weinort Osann an der Mosel gekommen und betreute dort in Zusammenarbeit mit den Ärzten der Region Kranke und Pflegebedürftige. Ihre Tätigkeit erstreckte sich auch auf einige Nachbargemeinden. Durch einen Anstellungsvertrag mit der Gemeinde Osann vom Dezember 1931 erhielt ihre bis dahin auf privater Basis erfolgte Tätigkeit einen amtlichen Charakter, und zwar für die damals noch eigenständigen Gemeinden Osann und Monzel. Zum 1. April 1936 wurde der bewährten Kraft gekündigt und die Stelle wurde durch eine „braune Schwester" der NS-Volkswohlfahrt neu besetzt.1

Vorgeschichte

Christine Michels (geb. 10. Juli 1891) gehörte als Caritasschwester der Caritas-Vereinigung für Landkrankenpflege und Volkswohl e.V. an. Mehrfach bezeugt wird die fachliche Kompetenz der Christine Michels - so auch in einem „Gedicht", das nach dem Krieg von einem anonymen Verfasser in Osann verbreitet wurde: Zur Zeit war es in aller Welt,/ mit Krankenpflege schlecht bestellt. / Auch in Osann sucht man daraufhin/ eine solche Samariterin./Es meldete sich dann sofort/ eine Pflegerin aus einem Eifelort./In ihrem Berufe war sie tüchtig, / denn dieses ist für Kranke wichtig./ Ein jeder tat sich an sie wenden,/ denn bei ihr lag die Pflege in guten Händen.

Im Februar 1936 hatte der Osanner NSDAP-Ortsgruppenleiter Johann Pauly einen geharnischten Brief an den Obmann für Volksgesundheit bei der NSDAP-Kreisleitung in Wittlich, den Wittlicher Apotheker Hermann Haake, geschrieben, in dem Pauly die Krankenpflegerin scharf angriff:

Christine Michels, Foto von Bernhard Saxler

Besagte Pflegerin ist in ihrer Gesinnung zum Staat als auch in ihrer beruflichen Tätigkeit staatsfeindlich und asozial eingestellt. NSDAP-Mann Pauly lieferte dann mehrere Begründungen: Michels verweigere ihm den Deutschen Gruß und biete stattdessen die Tageszeit. Zudem sei die Michels gegenüber der NS-Frauenschafl feindlich eingestellt. Als besonders belastend wertete Pauly, dass die Krankenpflegerin noch Umgang mit Juden des Ortes pflegte, und nannte drei aktuelle Vorfälle: - Ihre staatsfeindliche Gesinnung hat sie am verflossenen Sonntag die Krone aufgesetzt dadurch, dass sie beim Begräbnis einer Jüdin in tiefer Trauer hinter dem Sarge herschritt, obwohl die Beerdigung während des Nachmittagsgottesdienstes war. Jeder anständig denkende Deutscher fühlt sich provoziert. Kommentar überflüssig.

- Im Sommer hat sie auf öffentlicher Straße einem Juden den Puls gefühlt und ihm voll Mitleid die Wange gestreichelt.

- Tante Malchen, eine alte Stinkjüdin, ist ihre Busenfreundin, sie rühmt sich öffentlich, dass bei Tante Malchen stets für sie der Tisch gedeckt sei.

Der NS-Fanatiker Haake griff Paulys Anliegen direkt auf und schrieb umgehend an den Wittlicher Landrat Dr. Franz Bender: Es ist geradezu unglaublich, dass im dritten Jahre der Machtergreifung unserer Führers Adolf Hitler solche Zustände in einer Gemeinde noch herrschen können. Für derartige gegen den Staat eingestellte Personen hat (sie!) nach meiner Auffassung weder Gemeinde noch sonst irgendeine Körperschaft Geld noch das Recht, ihr Wohnung und Unterhalt zu gewähren. Und Haake wusste auch eine Lösung, die er dem Landrat ans Herz legte: Ich bitte umgehend, das Weitere zu veranlassen. Es sind gewisslich braune Schwestern vorhanden, die in nationalsozialistischer Art diese Stelle verwalten würden. Der Landrat teilte daraufhin dem Amtsbürgermeister Paul Arend (19311945) mit, man müsse konkrete Erkundigungen einholen, wobei vor allem zu klären sei, ob die Betreuung von Juden zu den Pflichten der Pflegerin gehöre. Landrat Dr. Bender störte vor allem die Verweigerung des „Hitlergrußes": Als Angestellte einer Gemeinde muss aber von ihr verlangt werden, dass sie gegen den Hoheitsträger der Bewegung (Anm.: d.i. Ortsgruppenleiter Pauly) und die Führer der Gliederungen in der Gemeinde keine offene Feindschaft zur Schau trägt... Es ist nicht ihre Sache zu entscheiden, ob jemand des deutschen Grußes würdig ist oder nicht. Bei einer Vernehmung von Christine Michels auf der Amtsbürgermeisterei wurde ihr eingeschärft, sie habe künftig jeden unnötigen Verkehr mit Juden zu vermeiden. Daran hat sich Frau Michels aber ganz offenkundig nicht gehalten, wie Ortsgruppenleiter Pauly Ende Februar 1936 dem Landrat in Wittlich mitteilte. Christine Michels stand also unter Beobachtung der Osanner NS-Aktivisten und Pauly begann, Ortsbürgermeister Nikolaus Traut-Könen unter Druck zu setzen. Dieser stellte sich zunächst schützend vor die Krankenpflegerin, indem er sachlich darauf hinwies, dass die Pflege von Juden zu ihren Aufgaben zähle und sie christliche Kranke dadurch noch nie vernachlässigt habe.

Die Entlassung

Das war jedoch Landrat Dr. Bender alles zu unverbindlich und schon wenige Tage später forderte er den Amtsbürgermeister Paul Arend auf, Frau Michels sofort zu kündigen. Die Kündigung selbst wurde dann von Ortsbürgermeister TrautKönen zum 1. April 1936 ausgesprochen. Für Christine Michels ging es jetzt um ihre Existenz: Die kostenlos überlassene Wohnung im Schulhaus sollte umgehend geräumt werden und ihre Vergütung von 30 RM blieb seit dem 1. April 1936 aus. Daher klagte sie beim Arbeitsgericht Trier - allerdings ohne Erfolg. Selbst die Tatsache, dass die sechsmonatige Kündigungsfrist unbeachtet geblieben war, konnte ihr nicht helfen und auch ein Formfehler (ihr Angestelltenvertrag war vom Amtsbürgermeister nicht unterschrieben) wurde gegen Frau Michels geltend gemacht. Im September 1936 endete das Verfahren vor dem Amtsgericht Wittlich mit einem Vergleich - Christine Michels musste die Wohnung zum 1. Oktober räumen und die Gemeinde Osann hatte die Gerichtskosten zu tragen. Christine Michels stand nach ihrer Entlassung weitgehend mittellos da und war auf Almosen aus der Bevölkerung angewiesen. Ihre Tätigkeit als Krankenpflegerin in Osann führte sie fort und wurde dafür auf privater Basis bezahlt. Das Geld reichte jedoch nicht, um ihre Versicherungsbeiträge, die zuvor von der Ortsgemeinde Osann gezahlt worden waren, weiterhin zu entrichten. Der Wittlicher Kreisleiter Walther Kölle hatte 1944 angeordnet, Christine Michels aus Osann zu entfernen und im Kreiskrankenhaus Wittlich anzustellen - ein deutliches Zeichen, dass Christine Michels auch nach ihrer Entlassung den Osanner Nazis ein Dorn im Auge war und erheblich unter Druck stand. Der Chefarzt des Krankenhauses, Oberarzt Dr. Lang, bestand jedoch darauf, dass Michels weiterhin in Osann wirkte, weil er ihre Arbeit als Gemeindeschwester dort als wertvoller erachtete.

Der Eifelschreck

Das eingangs zitierte „Gedicht" trägt den Titel Der Eifelschreck - gemeint war die Osanner Krankenpflegerin Christine Michels. Das Zeitdokument wirft ein bezeichnendes Licht, wie der anonyme Verfasser und vermutlich auch etliche Osanner über Christine Michels auch nach 1945 gedacht haben. Da ist die Rede von deren spitzen Züngelein, sie wird der Histerie (sie!) bezichtigt, die wiederum mit Michels Wechseljahren begründet wird, und am Ende des ersten Teils heißt es: Warum sie für Ihn (Anm.: Hitler) schwärmte, möchte ich wissen,/ der Gefreite hat uns doch schwer beschissen./ So machte sie (Anm.: Michels) uns nur Schwierigkeit, / auch bei der hohen Obrigkeit. Damit aber noch nicht genug. Frau Michels wird im zweiten Teil regelrecht dämonisiert: Du böses Weib hoch aus der Eifel,/ dich schickt kein Gott, dich schickt der Teufel./ Aus deinem lieben Heimatort,/ spie dich ein Maar als Geifer fort./ Du bitterböse Schlange du/ wann kommst du endlich mal zur Ruh. Christine Michels war sehr bald nach Kriegsende als „Opfer des Faschismus"2 anerkannt worden und forderte ihre Wiedereinstellung in der Gemeinde Osann. Die im „Gedicht" enthaltenen, hier nicht alle wiedergegeben Anwürfe gegen die entlassene Krankenpflegerin wurden nun als „Argumente" herangezogen, um unter allen Umständen eine Wiederanstellung Michels durch die Gemeinde Osann zu verhindern.

Als der Osanner Pastor Peter Braun (seit 1938 im Amt) von den Absichten des neuen Amtsbürgermeisters Josef Lehmann (1945-1949) erfuhr, Christine Michels wieder als Gemeinde-Krankenschwester einzustellen, beschwerte er sich beim Amtsbürgermeister, weil er als örtlicher Caritasvorsitzender nicht gehört worden war. Lehmann wies den Pfarrer sehr klar in die Schranken, indem er ihm mitteilte, die Krankenpflegestelle Osann sei vom Gesundheitsamt als notwendig erachtet worden und werde im Einvernehmen mit dem Caritas-Direktor für Frau Michels eingerichtet. Der Amtsbürgermeister wird aber noch wesentlich deutlicher - nicht nur, dass er auf die Trägerschäft von vier Gemeinden hinweist, sondern er stellt sich auch persönlich hinter Frau Michels: Es sind bis heute keinerlei Bedenken gegen die Persönlichkeit der Pflegerin vorgebracht worden, die von dem die Aufsicht über sie führenden Medizinalrat als durchaus tüchtig und zuverlässig bezeichnet wird. Diese Pflegerin, die unter der Naziherrschaft und auf Anordnung von Parteistellen entlassen werden musste, verdient es daher m. E. auch - und das sehe ich als Akt der Gerechtigkeit an - sie, die unter der Regie des 3. Reiches nur wegen Verweigerung des Hitlergrußes abgesetzt wurde - wieder in ihr Amt einzusetzen. Irgendwelche rein persönlichen Dinge, die vielleicht gegen die Pflegerin vorgebracht werden, ändern an dieser Sachlage nichts.

Die grundsätzliche Ablehnung von Christine Michels machte der seit Sommer 1945 amtierende Osanner Bürgermeister Josef Reef in einem Schreiben vom 30. Januar 1946 an den Amtsbürgermeister deutlich. Im Dezember 1947 bestritt der Osanner Erste Beigeordnete Heinrich Winter gegenüber dem Amtsbürgermeister Lehmann rundweg, dass überhaupt einmal ein Arbeitsvertragverhältnis mit Christine Michels seitens der Gemeinde bestanden habe: Ihre Tätigkeit als Pflegerin war rein privater Natur... und schreibt weiter: Inwiefern die Michels naziverfolgt gewesen sein soll, ist hier nicht bekannt. Dabei hatte der von den Franzosen eingesetzte erste Nachkriegsbürgermeister des Ortes, Josef Sailler-Schweisthal, Frau Michels Anfang Oktober 1947 wortwörtlich bescheinigt, dass sie als Gegner der NSDAP bekannt war und sie dieserhalb s. Zt. Ihres Amtes enthoben wurde. Beigeordneter Winter endete seinen Brief mit der Einschätzung, Osann habe in dieser Angelegenheit nichts wieder gut zu machen, weil die Michels ihre jetzige Lage nur sich selbst zuzuschreiben hat. Damit lag Winter durchaus im Meinungstrend der Nachkriegsjahre: Es gibt nichts „wieder gutzumachen" und wer Opfer geworden ist, war selbst schuld.

Christine Michels als streitbare Kämpferin für ihre Interessen

Dass Christine Michels Konflikten nicht aus dem Weg gegangen ist und auch selbst dazu Anlass gegeben hat, dass sie einer nicht näher zu bestimmenden Gruppe von Osanner Bürgern missfallen hat und dass sie zudem ihre Probleme mit Obrigkeiten hatte, soll hier nicht bestritten werden. Christine Michels konnte zumindest bei den Osanner Ortspolitikern nicht auf ein Einlenken zu ihren Gunsten hoffen - und so war es für sie nahe liegend, Unterstützung von außen heranzuziehen. Ein erster Schritt in diese Richtung war, dass sie sich an den VVN (Vereinigung der Verfolgten des Naziregmies) wandte. Amtsbürgermeister Josef Lehmann teilte am 5.12.1947 dem Osanner Bürgermeister Reef mit Hinweis auf einen Präsidialerlass zur bevorzugten Wiedereinstellung von NS-Verfolgten mit: Danach wird es voraussichtlich für die Gemeinde Osann schwer sein, die Wiedereinstellung der Schwester Michels abzulehnen. In der Darstellung ihrer Verfolgungsgeschichte findet sich auch ein Vorfall, der Christine Michels besonders zugesetzt hat: Am 19. April 1947 kam ich von über vierzehntägigen Nachtwachen von Monzel und wollte in Osann zur Kirche. Dort stand Winter mit seiner Frau und einem Frl. Traut3 und machten mir Bemerkungen mit einem Schild, das am 10. März am Eingang der Kirche gehangen hatte. Dort selbst stand drauf: Auskunftsbüro der Gendarmerie befindet sich bei der Volksverräterin Michels, Haus Nr. 78 oder Moselstraße. Nicht nur die NS-Diktion (Volksverräterin), sondern auch die mit dem Inhalt des Schildes insgesamt verbundene Unterstellung, Michels würde Osanner Bürger bei der wenig geliebten Besatzungsbehörde denunzieren, lassen auf ein noch nicht überwundenes NS-Denken schließen. Warum der Osanner Pastor ein solches Schild im Bereich seiner Kirche geduldet hat, erscheint ebenfalls erklärungsbedürftig. Christine Michels berichtete in diesem Zusammenhang von einem Verhör durch die Franzosen am 23.10.1947, das - so ihre Darstellung - aufgrund von Anzeigen aus der Bevölkerung zustande gekommen war, um sie aus ihrem Beruf heraus(zu)drücken. Sie selbst räumte ein, von dem Schild an der Kirche den Franzosen berichtet zu haben, bestand aber gleichzeitig darauf, noch nie etwas angezeigt zu haben, was die Franzosen auch wussten. Als in Osann verleumderische Schriftstücke unter Türen geschoben wurden, scheint Christine Michels mit ihrer Geduld am Ende gewesen zu sein und wandte sich ihrerseits an die französische Sicherheitspolizei, wie aus einer nachträglich hinzugefügten Anmerkung auf einem Schreiben von Amtsbürgermeister Lehmann an die Sûreté zu schließen ist. Diese Unterstützungssuche missfiel Amtsbürgermeister Lehmann und er sah sich veranlasst, mit einem eineinhalbseitigen Schreiben vom 7.01.1948 der Militärbehörde zu antworten. Zwar räumte Lehmann ein, dass Michels - wie das damals üblich gewesen sei - von einer „braunen Schwester" des NS-Volkswohlfahrt ersetzt worden ist, auch den Hitlergruß verweigert habe und zum 1. April 1936 aus der Osanner Pflegestelle ausschied, aber von einer Entlassung Michels aus politischen Gründen geht der selbst Verfolgte Lehmann gerade nicht aus. Eine durchaus andere, wenngleich natürlich ebenfalls nicht ganz objektive Sichtweise auf den „Fall Michels" zeigt ein Schreiben von Michels Anwalt Dr. jur. Albert Graff aus Wittlich vom 30.08.1948 an den Amtsbürgermeister Lehmann. Der Anwalt argumentierte zunächst in zivilrechtlicher Hinsicht, indem er das 1931 geschlossene Anstellungsverhältnis betont und ergänzt, es seien sogar Beiträge für Michels an die Ortskrankenkasse und Angestelltenversicherung von den Gemeinden bzw. dem Amt Wittlich-Land gezahlt worden. Außerdem ruft Dr. Graff den Präsidialerlass für NS-Verfolgte in Erinnerung und stellt die Rechtmäßigkeit des Nichtanstellungsbeschlusses der Gemeinderates Osann vom 14.12.1947 in Frage. Zudem schrieb Lehmann: Es ist nicht ausgeschlossen, dass es sich bei der besagten Bescheinigung um eine Fälschung handelt. - gemeint war die bereits erwähnte Bescheinigung von Josef Sailler-Schweisthal vom Oktober 1947 für Christine Michels als Verfolgte des NS-Regimes. Diese „Fälschungs"-Unterstellung muss man als eine Art Totalangriff auf die Haltung von Christine Michels während der NS-Diktatur betrachten. Damit endet der Vorgang in der Personalakte von Christine Michels. Als private Krankenpflegerin blieb Christine Michels weiterhin in Osann und lebte von ihren Ersparnissen und milden Gaben ihrer Patienten. Seit Mai 1956 bezog sie eine kleine Invalidenrente.

Späte Wiedergutmachung

Der Kampf gegen Christine Michels war jedoch noch nicht zu Ende. Als Christine Michels „Wiedergutmachung" nach dem ersten bundeseinheitlichen Entschädigungsgesetz von 1953 beantragte erging eine Anfrage der Behörde an den neuen Amtsbürgermeister Wittlich-Land. Von einer Unterstützung für Michels kann auch in der Antwort von Otto Lahmann keine Rede sein, wenn er schreibt: Meine Feststellungen haben ergeben, daß von der Vorgenannten Entschädigungsansprüche nicht gestellt werden können ... Frl. M. mag aufgegeben werden, selbst die Beweise zu erbringen dafür, daß sie als Anti-Nationalsozialistin verfolgt worden sei. Jedenfalls ist hier und auch in Osann kein Fall von Verfolgung gegenüber der Genannten bekannt geworden. Mitglied der NSADP war Fräulein Michels nicht. Dieses von großer Interesselosigkeit geprägte Schreiben ist nicht untypisch für den damaligen Umgang mit NS-Verfolgten. Die meisten Menschen hatten im Zeichen des Wiederaufbaus, des kalten Krieges und des „Wirtschaftswunders" ihren Frieden mit der braunen Vergangenheit gemacht. Nicht wenige sahen sich vor allem selbst als Opfer und von Mitverantwortung oder gar Mitschuld war kaum die Rede. Die früheren Verfolgten und nicht etwa die NS-Täter wurden zunehmend als Belastung für die Gesellschaft empfunden. NS-Verfolgte sollten selbst sehen, wie sie ihre Ansprüche auf Wiedergutmachung „beweisen" konnten, was wiederum - wie der „Fall Michels" zeigt - mit erheblichen Widerständen verbunden sein konnte. Aber Christine Michels hatte schon bei ihrer Antragstellung mitgeteilt: Von meiner Verfolgung kann ich viele Unterschriften beibringen. Und in der Tat finden sich in Michels „Wiedergutmachungs"-Akte etliche Erklärungen und Schreiben aus dem Jahr 1955 von Menschen aus Osann, aber auch aus Monzel (z.B. von Pfarrer Dr. Josef Reitler, 1925-1948 in Monzel) und dem früheren Ortsbürgermeister Schimper. Eine Witwe aus Osann schreibt: Schwester Michels hat in mehr als 30-jähriger aufopfernder hiesiger Tätigkeit in der Krankenpflege durch ihr offenes ehrliches Wort und Wesen, wie allgemein bekannt ist, in der Zeit des 3. Reiches viele Verleumdungen und Verfolgungen erduldet, wurde von vielen bekämpft, die damals die Macht in Händen hatten, anstatt ihre selbstlose Hingabe im Krankendienst anzuerkennen. Nikolaus Schenden aus Osann verweist ebenfalls auf die langjährige Arbeit der Schwester in Osann sowie den Nachbargemeinden und fährt fort: In der Nazizeit hatte sie schwere Angriffe zu ertragen, weil sie auch die jüdischen Einwohner gepflegt hat. Deshalb wurde sie auch 1936 als Gemeindeschwester abgesetzt. Trotzdem hat sie weiterhin bis heute die Kranken gepflegt und von freiwilligen Spenden gelebt. Im November 1958 wurde Christine Michels als NS-Verfolgte im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) in der Fassung vom März 1957 anerkannt. Ihr wurde eine Kapitalentschädigung in Höhe von 4.850, 40 DM zugesprochen, die aber auch in Form einer monatlichen Rente in Höhe von 102 DM ausgezahlt werden konnte - für diese Möglichkeit entschied sich Michels, womit sie bis zu ihrem Tod in etwas besseren Verhältnissen leben konnte. Zu vererben hatte Christine Michels nichts. Als sie 1961 starb, fiel der noch vorhandene Restbetrag aus der Entschädigung vom November 1958 an den Staat.

Fazit

Christine Michels war vermutlich keine „einfache Person" - ihr Auftreten als Eifelerin im Weinort Osann hat mit großer Wahrscheinlichkeit auch aufgrund persönlicher Eigenarten bei etlichen Moselanern Anstoß erregt und sie war wohl auch von ihrer Persönlichkeit her kein Mensch, der sich der „NS-Volksgemeinschaft" einfach anpassen konnte. Ihre mutige Haltung in der NS-Zeit - und hier ist insbesondere an ihr offen solidarisch gezeigtes Verhalten im Umgang mit den Juden Osanns zu erinnern -ist bemerkenswert und dürfte nicht nur bei den NS-Aktivisten des Ortes für Verdruss gesorgt haben. Sich mit solchen Leuten wie Christine Michels - zumal in einem kleinen Ort wie Osann - zu solidarisieren, bedurfte etwas Mut, den nur wenige aufbrachten. In Osann gab es -und dies verschweigt nicht einmal die Ortschronik - sehr eifrige und radikale NS-Fanatiker, die das Dorf im Griff hatten. Die Caritas-Schwester Michels dürfte weder dem ideologischen NS-Frauenbild entsprochen haben noch im spezifischen Sinne die Erwartungen an eine NS-Schwester, wie sie NS-Funktionären wie Haake und Pauly vorschwebten, in der beruflichen Praxis erfüllt haben. Die Pflege der „Volksgesundheit" hatte verknüpft zu sein mit der Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts. Christine Michels wurde nach 1945 als Querulantin von den politisch Verantwortlichen in Osann abqualifiziert, wobei die „Argumente" aus der NS-Zeit unverändert übernommen wurden. Dem Bild einer mehr oder weniger demütigen katholischen Caritas-Schwester hat Frau Michels vermutlich nur bedingt entsprochen. Ihre tiefe Frömmigkeit wurde wiederholt bezeugt: Der tägliche Gottesdienstbesuch bei jedem Wetter in Monzel war ihr ein großes Anliegen. Aufgrund ihrer privaten Situation (unverheiratet, keine Kinder) konnte sie unabhängiger agieren als beispielsweise verheiratete Beamte, die dann besonders unter Druck zu setzen waren, wenn ihre Ehefrauen ein nichtkonformes Verhalten zeigten oder ihre Kinder noch kirchlichen Verbänden angehörten, HJ und BDM fern blieben oder gar kirchliche Schulen besuchten. Diese Unabhängigkeit hat aber bei weitem nicht automatisch zu dem von Christine Michels praktizierten Widerstand geführt - Frauen wie Christine Michels blieben eher die Ausnahmen und mussten zudem hinnehmen, gerade auch als Frauen in einer Weise beurteilt und diffamiert zu werden, wovon das Osanner „Gedicht" (Der Eifelschreck) und auch manche „amtliche" Nachkriegsäußerung beredtes Zeugnis geben. Darüber hinaus ist sie ein Beispiel dafür, wie hart NS-Verfolgte nach 1945 sowohl für ihre persönliche Reputation als auch ihre materielle Entschädigung aufgrund der früheren Verfolgung kämpfen mussten, als frühere NS-Funktionäre längst wieder „eingegliedert" waren und Bezüge oder Renten bezogen. Christine Michels hatte in Osann insbesondere in dem Lokalpolitiker Heinrich Winter und auch Pastor Braun zwei entschiedene Gegner und musste erfahren, dass auch die übergeordnete Behörde von diesen Männern beeinflussbar war und dass sie mit offen gezeigter Solidarität aus der Bevölkerung kaum rechnen konnte. Christine Michels starb am 30. Januar 1961 im Wittlicher Krankenhaus und wurde in Steiningen begraben.4

Anmerkungen:
1 Die Darstellung stützt sich überwiegend auf die Personalakte von Christine Michels im LHA Ko Bestand 655, 204, Nr. 939 (Laufzeit 1935-1948, zit.: PA Michels). Zitate aus dieser Akte werden nicht eigens gekennzeichnet.
2 Es handelte sich um eine frühe Form der „Wiedergutmachung", bevor das Bundesentschädigungsgesetz (BEG) in Kraft getreten war. Die OdF-Ausschüsse waren für einzelne Regionen tätig (z.B. Trier) und sorgten dafür, dass NS-Verfolgte Wohnungen, Einrichtungsgegenstände etc. sowie geringe    Geldbeträge erhielten.
3 Frl. Traut war die Osanner B.D.M.-Führerin, mit der Christine Michels schon früh Konflikte hatte, weil sie sich durch das laute Singen bei den Heimabenden in ihrer Feierabendruhe gestört fühlte. Im Schreiben des Landrates Bender vom 25.02.1936 an Amtsbürgermeister Arend ist zu lesen: Aus den    getroffenen Feststellungen geht hervor, dass die Schwester mit dem Stützpunktleiter und den Gliederungen der Partei (NS Frauenschaft, HJ. und BDM) verfeindet ist. Hieraus kann unschwer ihre Einstellung zur Bewegung hergeleitet werden. (zit. nach PA Michels, wie Anm. 1).
4 Der Verfasser dankt Alois Mayer (Daun) für biografische Angaben zu Christine Michels und Armin Kohnz sowie Fritz Kirch (beide Osann) und Stefan Christen (Monzel) für einige Hintergrundinformationen.