Das Angstrad in Oberstadtfeld

Dagmar Willems, Berlin

Glühen, Knistern, Funkenflug - Spektakuläre Feuerbräuche gibt es im ganzen Südwesten Deutschlands, aber auch im Tessin, in Tirol und Norditalien. Die Vielfalt der Formen und Varianten ist groß - in Oberstadtfeld pflegen die Junggesellen den Brauch des „Angstrads". Mancherorts finden die Feuerbräuche bereits zu Weihnachten oder Neujahr statt, häufiger aber um Karneval, Ostern oder dem kalendarischen Frühlingsanfang herum. Es sollte und soll damit der Abschied vom kalten, unwirtlichen Winter beschworen werden. Erste schriftliche Belege für Feuerbräuche in Deutschland gibt es schon im 11. Jahrhundert. Wann genau der Feuerbrauch in Oberstadtfeld Einzug gehalten hat, ist unbekannt. Doch pflegt man hier seit Generationen die Tradition eines Feuerrades, das am ersten Sonntag der Fastenzeit brennend von einer Anhöhe zu Tal gerollt wird. Weil das Feuerrad an den Rand der Anhöhe und darüber hinaus geschoben wird, wird der Tag im Dialekt als Schewesundisch (Scheiben/Schiebensonntag) bezeichnet - wenn auch der Brauch mittlerweile auf den Samstagabend vorgezogen wurde. Die Vorbereitungen beginnen bereits am frühen Nachmittag. Dann ziehen die Junggesellen durchs Dorf, um Stroh für das Ereignis zu sammeln. Als die Bauernbetriebe im Ort früher noch zahlreicher waren, war die Strohabgabe auf mehrere Schultern (oder Scheunen) verteilt. Wenn genügend Material zusammengetragen ist, trifft sich die Gruppe auf einem Hügel am Rande des Dorfes, dem Berg „Angst" am Ortsrand links der Straße Richtung Üdersdorf. Dieser Berg gibt dem Oberstadtfelder Brauch seinen Namen: das „Angstrad". Auf der Anhöhe wird mit dem gesammelten Stroh von den jungen Männern das Feuerrad gefertigt. Den Kern bildete früher ein ausrangiertes Wagenrad, das von dem Ehepaar im Dorf zu stellen war, das zuletzt geheiratet hatte.

Mittlerweile nimmt man ein stählernes Speichengestell dafür, das von Jahr zu Jahr wiederverwendet werden kann. Der Fertigungsprozess ist jedoch der gleiche geblieben: Nachdem ein eigens von den Junggesellen gefällter und entasteter Baum (aus dem Gemeindewald) durch die Radnabe geschoben worden ist, wird das Stroh geduldig verdreht und möglichst gleichmäßig durch die Speichen des Rades gestopft und mit dem Vorschlaghammer festgeklopft. Draht verhilft dem Gebilde zu weiterem Halt. Auf diese Weise entsteht um die Mitte der Holzstange ein eiförmiges Knäuel, an dessen Enden jeweils noch einige Meter des Baumstammes herausschauen. An diesen Tragestümpfen kann das Ungetüm dann später von vier bis fünf Männern pro Seite getragen werden.

Wenn die Sonne untergegangen ist, beginnt das eigentliche Spektakel. Zum abendlichen Läuten der Kirchenglocken, der „Betglock", wird das Gebet „Engel des Herren" gesprochen. Dann wird das Strohrad angezündet und, wenn es gleichmäßig Feuer gefangen hat, auf seinen Weg Richtung Tal gerollt. Die Burschen laufen dabei mit den Berg hinunter, um an den Stangen die Richtung bei Bedarf zu korrigieren. Doch funktioniert dies nicht immer, nimmt das Rad doch auch recht schnell Fahrt auf und rollt bergab.

Ist das Rad zum Stillstand gekommen, laden sich die Junggesellen die Tragestümpfe auf die Schultern und tragen das noch immer brennende Rad mit Gesang, begleitet durch die „Quetsch", durchs Dorf. Abgelegt wird es dann als Geschenk vor dem Haus des Ehepaares, das zuletzt geheiratet hat. Im Gegenzug erwarten die Burschen, mit einer Runde Schnaps versorgt zu werden. Anschließend ziehen die jungen Männer in mehreren kleinen Gruppen singend (altes Eifelliedgut) und wiederum von Akkordeonspiel begleitet von Haus zu Haus, um Eier zu sammeln. Danach trifft man sich in einer Dorfgaststätte, wo die Eier gebraten und verspeist werden, aber vor allem auch der Durst gestillt wird.

Die Organisation des Ablaufs und die Koordination mit allen Beteiligten liegen übrigens, wie auch bei allen anderen Aktionen der Dorfjugend, beim „Hoobsten". Diese Rolle fällt stets einem der älteren Junggesellen zu.

Binden des Angstrades vor dem Gasthaus Matthias Schmitz (Bungender) um 1922

Zwar nicht gewählt oder offiziell ernannt, behält er den Überblick über die zahlreichen anstehenden Aufgaben und Aktivitäten der Junggesellen (von Polterhochzeiten bis zur Brauchtumspflege).

Sicherlich gab es über die Jahrzehnte immer wieder kleine Abwandlungen des Brauchs. Der an der Mosel geborene Journalist und spätere Diplomat Nikolaus Hocker hat neben Reiseberichten über das Mosel- und Rheingebiet auch viele kulturhistorische und mythologische Aufzeichnungen angefertigt. In einem Artikel über Brauchtum, erschienen 1853 in der Zeitschrift für deutsche Mythologie und Sittenkunde, berichtet Hocker auch über das Oberstadtfelder Feuerrad. Seine Beschreibung des Brauchs deckt sich zwar im Wesentlichen mit dem heutigen Ablauf. Allerdings schreibt Hocker, dass es die Schuljungen waren, die das Stroh für das Feuerrad zusammentrugen. Zeitgleich zogen die jungen Mädchen im Dorf von Haus zu Haus und erbaten „Erbsen". Gemeint war wohl allgemein Essbares, das später gemeinsam mit den Jungen verspeist wurde. Hocker überlieferte auch das (Heische-) Lied, das die Mädchen beim Sammeln sangen. Es zeugt von der starken christlichen Prägung, aber auch von den harten Lebensbedingungen:

Freijt, Freijt! De Herjott well os erfreijen!
Jet os eijer Erbessen,
se woosen op de Hiwwelen.
Jet os eijer Birren,
se woosen on de Stielen.
Jet os eijer Äpel,
se woosen on nem Schnäpel.
Jet os eijer Buunen,
Petrus wet et luunen.
Derr follen Schotteln dreij,
dofirr seijn ma heij.
Derr follen Schotteln veer,
ob et joar kunn ma weer.
Klapper, klapper, Ringelstaaf,
jet dennen ormen Kunnern waat;
jet hinnen waat und loost se joon,
dat Himmelreijch as objedoon;
de Hell, di as jeschloss.
Petrus as en jooden Maan,
hen hot de Schlessel un da Haand,
schleest op, schleest zo,
ruude Apel, joldesch Bruud.

Der von 1892 bis 1928 in Oberstadtfeld tätige Lehrer Wilhelm Peters beschreibt in seinen Aufzeichnungen bereits zu Anfang seiner Dienstzeit ebenfalls den örtlichen Brauch des Angstrades. Er hat auch den damals gebräuchlichen Spruch der Jugend beim Strohsammeln festgehalten:

„Stroh, Stroh, Bäuschen! Heut Abend gehn wir ums Angstrad kreischen.
Stroh, Stroh, Schanzen! Heut Abend gehn wir ums Angstrad tanzen." „
Strih, Strih, Bejschen! Haut Owend jon ma um et Angstrad kreeschen. Strih, Strih, Schaanzen! Haut Owend jon ma um et Angstrad daanzen".

Die sinngemäße Wiedergabe der in der Hochsprache überlieferten Texte in Oberstadtfelder Platt stammt von meinem Vater.

Das von Hocker dokumentierte Heischelied erwähnt Lehrer Peters allerdings nicht (mehr). Er weist in seinen Aufzeichnungen vielmehr darauf hin, dass die „Alten" sich aus dem Brauch Wetterprognosen für das neue Jahr ableiteten, indem sie den Zug des Rauches beobachteten. Ziehe dieser nach dem „Kunzbüsch", also vom Angstberg aus Richtung Norden, so gäbe es ein gesegnetes Jahr. Dass solche Prognosen von den alten Dorfbewohnern abgegeben wurden, deutet auf eine lange Tradition des Brauches und des steten Beobachtens hin.

Fotoaufnahmen belegen, dass früher auch sehr junge Männer und Frauen beim Brauch mitgewirkt haben. Die Kinder des Dorfes hatten offensichtlich ebenfalls Interesse an dem Spektakel. Die abgebildeten Gruppen waren sehr groß - das Angstrad war ein echtes Dorfereignis, an dem - aktiv oder durch Spenden - alle Dorfbewohner teilnahmen.

Wegen der Bebauungslage wurde der Brauch zwischenzeitlich an einen anderen Ort verlegt und einige Jahre oberhalb des jetzigen Neubaugebietes am Vorschossberg gepflegt. Mittlerweile findet das Angstrad aber wieder am namensgebenden Ort statt, wenn nun auch mit deutlich verkürzter Rollstrecke für das Rad. Ebenfalls mit langer Tradition pflegen noch andere Gemeinden des Kreises zum Beispiel Neroth, Gees, Meisburg und Rockeskyll bis heute den Brauch des „Radscheiwens" oder andere Feuerbräuche. Das Angstrad aber gibt es nur in Oberstadtfeld.

Quelle:
Nikolaus Hocker: Bräuche. In: Johann Wilhelm Wolf, Wilhelm Mannhardt: Zeitschrift für deutsche Mythologie und Sittenkunde. Band 1. Dieterische Buchhandlung, Göttingen 1853, S. 90 Schulchronik Oberstadtfeld, Aufzeichnungen Lehrer W. Peters

Das noch brennende Rad wird durch das Dorf getragen