Bittprozessionen und Bratkartoffeln

Helmut Großmann, Köln

Als ehemaliger Messdiener der Pfarre Sankt Anna Gerolstein erinnere ich mich, auch nach so langer Zeit meiner Abwesenheit von Gerolstein, immer wieder gerne an lustige Geschichten, so auch an dieses Brauchtum:

Vierzig Tage nach Ostern feiert die katholische Kirche das Fest Christi Himmelfahrt. Es fällt immer auf einen Donnerstag. Dadurch können die 40 Tage auch einmal um ein oder zwei Tage über- oder unterschritten werden. Die Himmelfahrt des auferstandenen Jesus gehört zum Urbestand des christlichen Glaubens. Sie wird im Lukasevangelium (Lk. 24,50-52) wie auch in der Apostelgeschichte (Apg. 1,1-11) beschrieben. Der alte Brauch, Tage vor dem Fest Christi Himmelfahrt Prozessionen durch Wald und Wiesen durchzuführen, ist bis heute erhalten. Diese Tage werden Bitttage genannt. Früher baten die Gläubigen bei dieser Gelegenheit insbesondere um ein gutes Erntejahr. Die Vorbereitung auf das Fest beginnt heute wie damals bereits drei Tage vorher, also Montag, Dienstag und Mittwoch derselben Woche. Seit ich mich erinnere, führt die Pfarrei St. Anna in Gerolstein jedes Jahr an diesen drei Tagen vor dem Fest Christi Himmelfahrt Bittprozessionen zu den Pfarrfilialen Gees und Lissingen durch. Am dritten Tag geht eine Prozession zu der nahe bei Gerolstein im Wald gelegenen Büschkapelle. Sie dient der Marienverehrung. Wir, für diese Bittprozessionen eingeteilten Messdiener, gehören heute wie damals mit zu den „Offiziellen", wie man so schön sagt und gehen natürlich mit unseren Messdienergewändern bekleidet in jeder der Prozessionen mit. Die Teilnahme an den Bittgängen nach Gees und Lissingen war damals bei uns Messdienern sehr begehrt, die zur Büschkapelle nicht so sehr. Es hatte sich nämlich herumgesprochen und ist zwischenzeitlich bestimmt Tradition, dass in den beiden genannten Filialen Gees und Lissingen nach der Prozession und dem Abschlussgottesdienst auch wir Messdiener zusammen mit dem Pfarrer und dem Brudermeister zum zweiten Frühstück in das jeweilige Pfarrhaus eingeladen wurden.

So war es damals:

In der Filiale Gees war das immer sehr urig. Wir wurden im Pfarrhaus in einen Raum neben der Küche geführt, in dessen Mitte ein großer runder Tisch stand. Um ihn herum waren für so viele Personen Stühle platziert, wie erwartet wurden. Nachdem der Pfarrer, der Brudermeister und wir Messdiener uns gesetzt hatten, brachte die Haushälterin eine große Pfanne mit Bratkartoffeln aus der Küche in den Raum und stellte diese auf einen Untersetzer mitten auf den Tisch. Die Bratkartoffeln dampften und die braunen Speckwürfel glänzten, sodass uns Messdienern das Wasser im Mund zusammenlief. Nun bekam jeder eine Gabel und etwas zu trinken. Auf Teller, von denen man die Bratkartoffeln hätte essen sollen, wurde verzichtet. Nachdem der Pfarrer ein Dankgebet gesprochen und guten Appetit gewünscht hatte, begannen alle zu essen. Mit der Gabel versuchte jeder von seinem Platz aus in der großen Pfanne die schönsten und braunsten Bratkartoffeln zu angeln. Jeder konnte so viel essen, wie er wollte und so lange, bis er satt war. Das fanden wir Messdiener immer sehr lustig. Denn, wenn der Pfarrer gerade zur Seite schaute oder sich mit der Haushälterin unterhielt, war es uns möglich, an die Speckstücke zu gelangen, die nach der Sitzordnung eigentlich dem Nachbarn oder sogar dem Pfarrer gehörten. Manchmal entwickelten wir Messdiener einen richtigen Wettstreit, den aber niemand bemerken durfte. Während des emsigen Essens hinterließ sicherlich jeder vor seinem Platz einige Flecken auf dem Tischtuch. Denn in der Eile fiel auch schon mal eine Kartoffel oder ein Speckstück von der Gabel auf die Tischdecke, ehe sie oder es im hungrigen Mund verschwand. Nach dem anstrengenden Fußmarsch von Gerolstein nach Gees war sicher, dass keine Bratkartoffel und kein Speckstückchen in der Pfanne zurückblieben. Alle wurden satt. Wir dankten und freuten uns jetzt schon auf die Bittprozession nach Gees im nächsten Jahr und hofften, wieder als Messdiener eingeteilt zu werden.

Die Bittprozession zur Pfarrfiliale Lissingen fand dienstags statt. Im Anschluss daran wurden wir Messdiener ebenfalls mit ins Pfarrhaus gebeten. Auch hier saßen alle an einem langen Tisch, der Pfarrer am Kopfende. Zum verspäteten Frühstück wurden Brötchen, Butter, Marmelade und Wurst aufgetragen. Das war für die damalige Zeit etwas Besonderes. Zuhause erzählten wir dann, was uns die Haushälterin in Lissingen dieses Mal serviert hatte.

Die Teilnahme an der Bittprozession zur Büschkapelle am Mittwoch vor dem Fest Christi Himmelfahrt überließen wir gerne den größeren Messdienern, denn hier fand im Anschluss an die Marienandacht keine Verpflegung der Teilnehmer statt. Schade eigentlich, so empfanden wir.

Die Hauptsache war natürlich bei allen drei Bittprozessionen die fromme Gesinnung jedes Einzelnen, worauf nicht nur der Pfarrer, sondern insbesondere der Brudermeister großen Wert legte. Der Brudermeister war eine wichtige Person. Er hatte einen Stab, dessen Spitze mit einem Blumenstrauß oder grünen Zweigen geschmückt war. Während der Prozession wurde der Rosenkranz gebetet. Der Brudermeister ging allen voraus und zeigte mit seinem Stab jeweils die Seite der in Zweierreihen gehenden Gläubigen an, welche mit dem „Gegrüßet seist du Maria" beginnen sollte. Die andere Seite antwortet: „Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes." Auch bei allen gemeinsam gesungenen Kirchenliedern stimmte der Brudermeister diese an. Er legte großen Wert darauf, dass unter seiner Regie alles gut klappte und ordentlich ausgeführt wurde. Ein kleines Schwätzchen unter den Messdienern ahndete er sofort und rief die Betroffenen zur Ordnung.

So sind wir Jahr für Jahr als Messdiener oder auch später als Jugendliche mit diesen Bittprozessionen mitgegangen. Ob heute noch viele Jugendliche bereit sind, zu Fuß von Gerolstein bis Gees oder nach Lissingen zu gehen, ist die große Frage. Wir jedenfalls hatten immer große Freude daran und waren stolz, als Messdiener für die Bittprozessionen ausgewählt und eingeteilt worden zu sein. Schöne Erinnerungen, an die man gerne zurückdenkt.