Alte Tradition fast vergessen „Mitte Juli" Heidelbeeren pflücken

Diethelm Stump, Mürlenbach

Verschiedene Gesteinsformationen wie grauweißer Kalkstein, pechschwarze Lava oder glutroter Buntsandstein verleihen der Erdoberfläche des Kreises Vulkaneifel ein vielfältiges und bewundernswertes Aussehen. Auf diesen Böden haben sich Spezialisten aus der Pflanzenwelt angesiedelt, die auf Nährstoffe diverser Böden angewiesen sind. Heidelbeeren, auf Platt auch „Wolpere" oder „Molbere" genannt, brauchen als Lebensgrundlage leicht saure Böden. In der Vulkaneifel entsprechen die aus dem Buntsandsteinschutt der Triaszeit entstandenen Flächen genau diesem Muster. Zu einem idealen Lebensraum für Heidelbeeren gehören des weiteren halbschattige Kiefernwälder, die im Raum Weidenbach und insbesondere im Dreieck Büscheich, Gerolstein und Pelm ausreichend vorhanden sind, so dass ihre Vermehrung als Wurzelkriecher gesichert ist. Vergesellschaftet ist die Pflanze oft mit der im August in herrlichem Lila blühenden Besenheide.

Den Bediensteten der Forstämter Daun und Gerolstein ist es zu verdanken, dass die Kiefernwälder dieser Gebiete nicht der Holzindustrie zugeführt wurden, sondern als schattenspendende Bäume erhalten blieben. Die Triebe der Pflanzen sind im Winter eine wichtige Nahrung für das Wild. Wie kleine Glöckchen schmücken Anfang Mai die melancholisch hängenden Blüten den Strauch. In warmen Jahren ist die Fruchtreife Mitte Juli so weit fortgeschritten, dass meistens die ersten Beeren gepflückt werden konnten. In den besagten Gebieten trafen Frauen und Kinder aus benachbarten Dörfern mit dem Bestreben ein, viele der leckeren Beeren zu ernten. Kein Weg war zu weit und keine Mühsal zu groß, um an die Früchte zu gelangen.

Selbst Fahrzeuge mit Kennzeichen Bit, Prü, und Wil wurden gesichtet. Milchkannen sowie 5 und 10 Liter Eimer wurden bereitgehalten, um die Vorpflückbecher, die meistens in Form von Margarinedosen vorhanden waren, zu leeren. Sammeln mit Hilfsmitteln, „Ströpen genannt", wurde untersagt, weil es zum Absterben der Sträucher führte.

Die Kenntnis um den gesundheitlichen Nutzen der Inhaltsstoffe von Heidelbeeren war unter den Sammlern weit verbreitet. Überlieferungen zur Folge kannten die alten Römer schon die heilende Wirkung der Früchte. Wahre Wunderdinge wurden den Beeren nachgesagt. In verschiedenster Weise konnten die Früchte verarbeitet werden. Einwecken, Marmeladenherstellung, Einfrieren sowie Trocknen waren Möglichkeiten zur Haltbarmachung der Beeren.

Der Sonntagskuchen, mit frischen Heidelbeeren belegt, war und ist auch heute noch eine Delikatesse. Auch der Heidelbeerpfannkuchen ist nicht zu verachten. Getrocknete Früchte helfen nachweislich bei Darmbeschwerden und wirken entzündungshemmend. Viele Sammler verwandelten die nur mit Butter bestrichenen Pausenbrote durch das Belegen von frisch gepflückten Waldbeeren als weiteren Brotaufstrich rituell in leckere Stullen. 100 Gramm Beeren enthalten im Durchschnitt ca. 30 mg Vitamin C und sind so für das Immunsystem ein stärkendes Mittel. Der Gehalt an Vitamin A und B ist ebenfalls erwähnenswert. Wirksame Inhalte wie Gerbstoffe sind in den Blättern der Pflanze eingelagert. Die nach heutigem Wissensstand nicht zu unterschätzende Gefahr durch den Fuchsbandwurm kann durch Erhitzen bis 80 Grad ausgeschlossen werden.

Heute sind nur noch wenige Beerensammler zur Erntezeit, die ungefähr eineinhalb Monate dauert, unterwegs. Die alte Tradition, Mitte Juli Heidelbeeren zu pflücken, war in früheren Zeiten teilweise lebensnotwendig, passt aber scheinbar nicht mehr in die heutige moderne Welt. Ein Hoffnungsschimmer ist die in den letzten Jahren geringe Zunahme an Beerensammlern.

Die Heidelbeerernte war ein gesellschaftliches Ereignis und diente der Kommunikation von Bewohnern verschiedener Dörfer. Es wäre schade, wenn das Sammeln und Pflücken dieser Vitaminbomben verbunden mit allen Begleitumständen verloren ginge.