Peter Freppert †
Eingereicht von Werner Freppert, Geichlingen
Dass es um eine Klapper meist eine eigene Sache ist, weiß niemand besser als unsere Dorfbuben, die mit diesen sinnvoll gearbeiteten Rappelkisten an den drei letzten Tagen der Karwoche das Dorf durchziehen, die Kurbel ihrer Klapper ruhelos drehen und damit die Glocken, die nach Rom zur Beichte gereist sind, ersetzen. Oft ist die Klapper, die der Bub sich am Gründonnerstag stolz um den Hals hängt, das Erbstück einiger Generationen. Der Vater, ja sogar der Großvater hat sie manchmal noch benutzt und wenn eine solche Klapper erzählen könnte, erführe der Bub wohl manches aus dem Jungenleben seiner Vorfahren, was ihm so verborgen bleibt. Aber die Klapper kann nur rappeln und nicht reden und das ist gut so; denn wessen Vaterautorität wäre es zuträglich, wenn der hoffnungsvolle Sprössling über die früheren Bubenstreiche seines Vaters unterrichtet wäre? Als ich von dem Rat der Klapperältesten, die um diese Zeit ein strenges Regiment fuhren, an einem nun schon lange zurückliegenden Palmsonntag für klapperfähig erklärt wurde, tat ich wie alle Buben zunächst einmal einen gewaltigen Luftsprung und eilte dann nach Hause, um dort die frohe Botschaft zu verkünden.
„Recht so", sagte mein Vater, „ich bin auch einmal ein tüchtiger Klapperer gewesen und meine Klapper, wenn du sie am Gründonnerstag zum ersten Mal umhängst, trag sie in Ehren. Als dein Großvater ein Bub war, so wie du jetzt einer bist, hat der alte Dorfschreiner, der ein Meister im Klappernmachen war, wie es keinen zweiten mehr gibt, sie angefertigt. Der Großvater hat sich dann mit ihr durch die Jahre seiner Klapperzeit hindurch geklappert, später ging sie auf mich über und aus meiner Hand bekam Onkel Klaus sie. Bei ihm ist sie dann geblieben, weil kein Klapperer mehr in der Familie war bis auf dich. Halt dich bereit, am Nachmittag wollen wir uns die Klapper bei Onkel Klaus abholen."
Onkel Klaus war der jüngere Bruder meiner Mutter und wohnte in einem Nachbarort, kaum eine halbe Wegstunde von uns entfernt. Die Felder der beiden Gemarkungen stießen zusammen und so trafen wir Onkel Klaus schon auf halbem Wege an, als wir am Nachmittag hinauszogen und auf dem Weg nach O. gleichzeitig die geweihten Zweige des Palmsonntags in unsere Äcker steckten. Auch Onkel Klaus war in diesem Namen hinausgezogen auf seine Äcker. Als er seine Zweige alle ausgesteckt hatte, brachte ich mein Anliegen vor.
„Die Klapper, hm", Onkel Klaus kratzte sich am Kopf, „es sind immerhin dreißig Jahre her, seitdem ich sie beiseite gehängt habe, aber irgendwo auf dem Speicher wird sie sich wohl noch herumtreiben. Wir werden sie schon finden", beruhigte er auf meine ängstliche Frage, ob er denn gar nicht mehr wisse, wo er die Klapper vor dreißig Jahren hingetan habe.
Durch seine beruhigende Antwort immer noch nicht ganz der Sorge um die verlorene Klapper enthoben, trabte ich zwischen meinem Vater und Onkel Klaus nach O. Am Liebsten wäre ich gleich auf die Suche nach der Klapper gegangen, aber daran war vorerst nicht zu denken. Meine Tante deckte zunächst einmal Kaffee und Kuchen auf und danach gerieten Onkel Klaus und mein Vater in ein langwieriges Gespräch über eine neue Kartoffelsorte, die sie anpflanzen wollten, bis es meinem Vater zuletzt doch einfiel, dass man ja die Klapper suchen müsse, bevor es dunkel würde.
Zu dritt ging es jetzt hinauf auf den Speicher. Aber so sehr wir auch umher spähten, die Klapper war nicht zu sehen. Onkel Klaus schwor Stein und Bein, dass er sie vor dreißig Jahren just an dem Nagel vor unserer Nase aufgehängt habe, ganz bestimmt an diesen Nagel und an keinen anderen. Wer einmal auf dem Speicher eines alten Bauernhauses gewesen ist, der weiß, was sich an möglichem und unmöglichem Zeug dort im Laufe der Jahre angesammelt hat. Alte Stühle und abgestellte Bettladen wurden beiseite gerückt, vergebens, die Klapper war nicht zu finden und die anfängliche Zuversicht meines Herzens machte mehr und mehr einer großen Betrübnis Platz. „Da soll doch gleich das Donnerwetter dreinfahren." Onkel Klaus war nicht gerade einer der Geduldigsten, wenn ihm eine Sache nicht gleich nach Wunsch ging und mein Vater war es schon gar nicht. Da, als die Lage sich schon bedenklich zugespitzt hatte und mein klopfendes Bubenherz nahe daran war, mir ein schmerzliches „Verzichte" zuzurufen, erschien als rettender Engel Mimi Gritt auf der Bildfläche.
Mimi Gritt war das Hausfaktotum meiner Verwandten. In jungen Jahren war sie einmal als Magd ins Haus gekommen und das Schicksal hatte es bestimmt, dass sie nicht mehr hinausgehen sollte. Fast fünfzigjährig und unverheiratet war sie mit den Jahren das geworden, was man eine verschrobene alte Jungfrau nennt, dabei aber gutmütig und hilfsbereit in jeder Weise. Onkel Klaus sagte von ihr, dass sie sehr furchtsam und furchtbar abergläubisch sei. Und er foppte sie deshalb nicht selten.
„Zum heiligen Antonius musst du beten, Jüngele", sagte sie, während sie jetzt durchaus nicht furchtsam die beiden Männer einfach beiseite schob und selbst die Suchaktion in die Hand nahm. Ich glaube, dass ich niemals inbrünstiger zum heiligen Antonius um eine verlorene Sache gebetet habe als an jenem Palmsonntag auf dem Boden meines Onkels. „Eine Klapper ist doch keine Stecknadel", murmelte Mimi Gritt vor sich hin und nachn einigem Stöbern zog sie die Vermisste triumphierend ans Licht.
Es war wirklich eine sehr alte Klapper und dabei größer als ich je eine gesehen habe. Die Jahre hatten das Holz ihres Kastens dunkel gebeizt und als ich die Schnur fasste, um die Klapper hinunterzutragen, riss diese entzwei, so morsch war sie mit der Zeit geworden. Trotz des Staubes und der Spinngewebe, die an ihr hafteten, packte ich nun die Klapper, drückte sie an mich und trug sie behutsam über die Stiege hinunter in den Hof. „Du wirst finden, dass dies eine besondere Klapper ist", sagte Onkel Klaus, während er sie mit einer Bürste reinigte und eine neue Schnur zum Umhängen anbrachte. „Der sie anfertigte, war wirklich ein Meister seines Faches. Sie übertönt alle anderen. So wie die Königsglocke über allen Glocken ist, ist sie über allen Klappern." Behutsam entfernte Onkel Klaus aus dem herzförmig ausgeschnittenen Schallloch des Kopfstückes noch eine Spinnwebe und überreichte mir dann die Klapper mit der Weisung, nun einmal recht kräftig die Kurbel zu drehen.
Das ließ ich mir nicht zweimal sagen, aber ich fand bald, dass die Kurbel sich nur sehr schwer bewegen ließ und vollends war ich über den Ton der Klapper enttäuscht. Es war nur wie ein dumpfes Aufmurren, was da aus ihrem hölzernen Leib kam. Mein Vater und Onkel Klaus schüttelten die Köpfe. „Gib her!", sagte Onkel Klaus zuletzt, „du musst das noch lernen." Mimi Gritt und meine Tante waren inzwischen zu uns getreten und wir alle sahen gespannt den Bemühungen meines Onkels zu. „Siehst du, so macht man es", setzte Onkel Klaus seine Belehrungen fort und begann die Kurbel mit Schwung zu drehen; aber die Klapper gab auch diesmal nur ein unwilliges Murren von sich. Kopfschüttelnd hielt Onkel Klaus ein und sah meinen Vater an. Gleichzeitig aber stieß Mimi Gritt einen markerschütternden Schrei aus: „Die Klapper blutet!" Mimi Gritt spreizte die Finger wie zur Abwehr, wurde kreidebleich im Gesicht und wich zurück wie vor dem Leibhaftigen selber. „Die Klapper ist verhext", kreischte sie, „seht ihr's denn nicht?!" „Dummes Zeug", fuhr Onkel Klaus sie unwirsch an, „du siehst wieder einmal Gespenster." Mit aller Kraft drehte er jetzt die Kurbel und dann - dann geschah es! Wie der Blitz fuhr es aus dem herzförmigen Schallloch heraus, sauste dicht an der Nase der noch lauter kreischenden Mimi Gritt vorbei, fegte über den Hof und wollte in der Scheune verschwinden, als Karo, der dort im Stroh gelegen hatte, zupackte....
„Der Teufel, der Teufel selber", kam es jetzt fast tonlos von den Lippen der schreckensbleichen Mimi Gritt, die einer Ohnmacht nahe war und sich immer wieder bekreuzigte. Auch meine Tante schlug ein Kreuz und mir selber war es ganz absonderlich zumute. Mein Vater und Onkel Klaus sahen sich fragend an, dann lachten sie beide zu gleicher Zeit schallend los. Karo hatte seinem Herrn etwas apportiert.
„Diese verfluchten Siebenschläfer hätten sich auch eine andere Stelle für ihren Winterschlaf aussuchen können", lachte Onkel Klaus weiter; dann packte er den toten Siebenschläfer, den Karo ihm apportiert hatte, und warf ihn Mimi Gritt just vor die Füße. „Da hast du deinen Teufel und einer ist noch da in dem Kasten drin, aber der ist auch tot und von dem war das Blut, das aus der Klapper kam."
Meine Tante stimmte nun auch in das Lachen der Männer ein und als Onkel Klaus das Kopfstück der Klapper abgerissen und den zweiten toten Siebenschläfer aus dem Kasten entfernt hatte, machte die Klapper, als ich die Kurbel drehte, wirklich ein hervorragendes Spektakel und mein Herz lachte mit den anderen mit. Mimi Gritt aber, sich immer noch bekreuzigend, entfernte sich. „Und ihr könnt sagen, was ihr wollt", murmelte sie, „es ging einfach nicht mit rechten Dingen zu! Die Klapper ist verhext und es ist gut, dass sie jetzt aus dem Haus kommt."