Hut lüften

Winfried von Landenberg, Mürlenbach

Zu meiner Jugendzeit gab es in unserem Dorf einen schönen alten Brauch. Wenn wir feststellten - und das sprach sich schnell herum -, dass aus einem Nachbardorf ein junger Mann zu uns kam, um ein Mädchen zu freien, waren wir meist sofort zur Stelle. Das würde wieder ein feines Wochenende werden, so freuten sich meine Kumpels mit mir. Zuerst wurde mal eruiert, ob das mit dem neuen Freier so seine Richtigkeit hat. Geht er wirklich zur Maria zum Freien? - das musste unbedingt geklärt werden, denn wir wollten uns ja nicht blamieren. Als die Tatsache feststand, trafen wir uns und entwickelten unsere Strategie.

Samstag war ein günstiger Tag für unser Vorhanden des „Hutlüftens", wie es bei uns im Dorf genannt wurde. Da kam der Freier ganz bestimmt zu dem Mädchen, um mit diesem auszugehen.

Gesagt, getan. Wir versammelten uns im Dorf und einer beobachtete, ob der junge Mann aus dem Nachbardorf tatsächlich da war. Es musste jetzt schnell gehen, sonst wären die beiden bereits zum Tanzen unterwegs und wir gingen leer aus.

Wir klingelten an der Haustür und versteckten uns dabei seitlich, denn wenn man uns entdeckte, würde eventuell die Tür nicht aufgemacht. Aber meistens hatten wir Glück. Das Mädchen und der Junge erschienen dann und wir spannten dann einen Regenschirm über den beiden auf. Dem jungen Mann drückten wir eine brennende Kerze in die Hand. Folgender Spruch wurde nun aufgesagt:

„Wir haben vernommen, dass Sie sind gekommen,
unsere schönste Blume aus dem Garten genommen,
deshalb sind wir gekommen, Sie zu bestrafen."

Jetzt wurde der junge Mann belehrt, wie er sich in Zukunft zu verhalten hat. Ihm wurde der Inhalt des später auszuhändigen Jagdscheins vorgelesen. Um den Jagdschein richtig verstehen zu können, muss man wissen, dass mit dem Wild die junge Frau gemeint ist.

Dem hochwohledlen Herrn........
wird hiermit die Erlaubnis erteilt, unter Beachtung der weidmännischen Jagdregeln das edelste Wild (=Fräulein).......zu jagen.

§ 1 - Revier - „Mürlenbach" „Straße" „Hausnummer"

§ 2 - „Geltungsdauer der Jagderlaubnis" Sollte das Edelwild in spätestens 1/2 Jahr nicht waidgerecht erlegt sein, so muss unter Begleichung der doppelten Gebühren ein neuer Jagdschein beim Jagdrappelmeister beantragt werden.

§ 3 - „Schonzeit"
Ab 24:00 Uhr bis zum Wecken. Im Frühjahr, vor allem im Wonnemonat Mai, ist keine Schonzeit.

§ 4 - „Wildern"
Das Wildern in fremden Revieren (anderen Hausnumern) ist bei schwerer Strafe verboten.

§ 5 - „Jagdfrevel"
Das Küssen sowie andere verdächtige Bewegungen auf öffentlichen Wegen und Plätzen ist vor Einbruch der Dunkelheit zu vermeiden und gilt als Jagdfrevel.

§ 5 - „Die Gebühren"
Die Gebühren sind nach dem Wert des edlen Wildes abzuschätzen und in bar oder Schnaps und Bier noch heute Abend abzuführen.

Waidmannsheil Der Jagdmeister

Danach wurde der Jagdschein an den jungen Mann ausgehändigt.

Jetzt durften sich die beiden unter dem Regenschirm im Kerzenschein küssen.

Es kann sich jeder ausmalen, wie des danach weiterging. In der Dorfkneipe wurde ausgiebig gezecht und der Freier konnte - er wollte sich je nicht blamieren - die Rechnung zahlen.