Was waren wir so arm!

Rosi Nieder, Generation Ü60, Herforst

Nicht umsonst hat man die Eifel in früheren Zeiten als das Armenhaus Deutschlands bezeichnet. Die allermeisten älteren Eifelbürger werden auch diesen Satz schon mal gesagt oder zumindest gehört haben, wenn von früher geredet wurde: „Was waren wir so arm!" Wenn man heutige ,Kids' betrachtet und ihr Umfeld, dann kann man in dieses Klagelied nur voll mit einfallen. Oh nein, wie sind wir nur groß geworden?

Wir wurden als Babys nicht aus Gläschen ernährt und trugen nicht bis zum dritten oder vierten Lebensjahr Pampers, sondern man gab uns erst Mutter-, dann Kuhmilch, matschte uns dann Kartoffeln mit Gemüse klein oder drückte uns eine Brotkruste in die Hand. Wir armen Babys mussten Stoffwindeln tragen und Strampelhosen und durften nicht wie heute, schon mit drei Monaten gepampert in ersten Jeans und pinkfarbenen Bodys mit der Aufschrift ,Papas Liebling' mit dem Rutschauto durch die Wohnung schieben. Oh, von wegen Papas Liebling! Unsere Väter haben uns in dem Alter nicht einmal angefasst und schon gar nicht gepampert. Leuchtspieluhren mit Knöpfen, um verschiedene Melodien zum Einschlafen abzurufen, hatten wir nicht. Unsere Mütter mussten uns in den Schlaf singen und konnten auch nachher nicht per Babyphone auf unser Schreien horchen. Wir sind nicht im Mutterleib per Ultraschall überwacht worden und es blieb uns auch verwehrt, dort bereits an eine oder mehrere Fremdsprachen herangeführt zu werden. Nicht einmal zweijährig erhielten wir Englisch- oder Französischunterricht oder gar musikalische Frühförderung, wir Armen. Von wegen mit einem Jahr in die Kita! Ganztags am besten, weil ja sonst so ein Kind nicht genug Reize bekommt. Die meisten von uns konnten nicht einmal mit drei Jahren in den Kindergarten, denn in kleinen Eifeldörfern gab es gar keinen. Wir armen Kinder mussten draußen im Matsch, im Heustall oder im Holzschuppen spielen oder daheim in der Stube. Dabei besaßen wir weder Barbiepuppen, PlaymobilSets mit Bauernhöfen und Kühen (wir hatten echte), Cinderellas Prinzessinnenpalast, Star Wars-Legos noch Bobbycars, ferngesteuerte Autos, Kinderküchen mit echten Elektrogeräten oder Intelligenz fördernde Spiele. Wir mussten unsere Kreativität anhand von Naturmaterialien (Holz, Kastanien, Matsch) und unsere Intelligenz mit Mühle, Halma und Mensch-ärgere-dich-nicht schulen. Wenn wir Glück hatten, gab es ein paar alte Kinderbücher mit lustigen Tierchen und Elfchen oder wir durften mit Stoffresten unserer einzigen Puppe ein Kleidchen zurechtbasteln.

Später schickte man uns mit den abgelegten Schulranzen der großen Geschwister in die Schule. Von wegen rosarote Markenranzen mit passenden Mäppchen! Zu Fuß mussten wir gehen, wir Armen! Oh, was würden die I-Dötzchen von heute mosern, wenn Mami sie nicht mit dem Auto zur Bushaltestelle hinter der nächsten Straßenecke fahren würde. Schön gekleidet mit Markenklamotten und mit Gel behandelten Haaren, das Handy in der Jackentasche, damit... oh, es könnte doch etwas passieren! Und man stelle sich vor, so ein Kind würde aus dem Bus steigen und Mama oder Papa hielten nicht mit dem Auto da. Nein, das ginge ja gar nicht, deshalb, so ein Handy muss das Kind schon haben.

Wir hatten keines, wir Armen. Wussten nicht einmal, dass es so etwas jemals geben würde. Markenklamotten waren für uns kein Thema. Auch keine Bio-Müsliriegel und isotonischen Getränke oder Schorlen in Dosen und Plastikflaschen. Wenn wir Durst hatten, hielten wir den Mund unter den Wasserhahn. Wenn wir in der Schule schlechte Noten hatten, schimpften unsere Eltern mit uns und nicht - wie heute - mit den Lehrern. Man schickte uns keine Super-Nanny ins Haus, wenn wir frech waren, sondern wir bekamen eine hinter die Ohren. Unsere Eltern konnten sich in Erziehungsfragen nicht einmal Rat bei Fernsehsendern oder im Internet holen. Ach je, was waren wir arm! Wir mussten uns damals tatsächlich noch von Mund zu Mund unterhalten, denn in Ermangelung eines Handys konnten wir natürlich auch keine SMS und Whats-app-Nachrichten schicken. Mails natürlich auch nicht, denn Computer waren noch nicht erfunden. Nicht einmal Telefon hatten wir im Haus. Wenn wir mit unseren Freundinnen reden wollten, mussten wir hingehen! Zu Fuß! Man konnte uns nicht auf Facebook ,adden' und ,liken' und wir konnten auch nicht ,posten', dass wir müde sind und ins Bett gehen. Apropos ins Bett gehen: Fernsehen hatten wir natürlich auch keines im Schlafzimmer. Kein Notebook, kein I-Pod, kein E-Book-Reader, keine Stereo-Anlage mit Kopfhörern, nicht einmal Heizung. Im Winter konnten wir höchstens die Eisblumen am Fenster anhauchen und im Mai vor dem Maialtärchen für uns armen Sünder zur Muttergottes beten. Keine Pizza wurde uns ins Haus gebracht, keinen Döner konnten wir kaufen und weder von Kötbüllars bei Ikea noch von Bic-Macs von Mac Donalds hatten wir je gehört. Wir ernährten uns von dem, was Mutter frisch kochte. Vom Fleisch unserer Schweine und Rinder, dem Gemüse aus dem Garten, den Kartoffeln vom Feld und vom Obst unserer Bäume. Ganz ohne Fertiggewürz, Hefeextrakt, künstliche Farbstoffe, Glutamat und all solche Sachen. Oktoberfeste mit Dirndl, Humptatamusik und Komasaufen oder Halloween mit horrormäßigen Geisterspukevents kannten wir als Jugendliche nicht. Fastnacht wurde an Fastnacht gefeiert und nicht schon am 11.11. und unsere Weihnachtsbäume standen erst an Weihnachten in der guten Stube und nicht bereits vor dem 1. Advent. Dann gab es auch erst Plätzchen und Lebkuchen und nicht bereits ab September in allen Supermärkten. Von Weihnachtsgeschenken will ich gar nicht erst reden. Oh je, wie sind wir damaligen Eifelkinder nur groß geworden? Wir waren doch sooooo arm! Oder etwa nicht?