„Dann mal rein in die gute Stube..."

Heidi Probst, Gommersheim

Wieder jährte sich der Geburtstag des „Heiligen Wendelinus" - der Schutzpatron der katholischen Kirche in Immerath. Traditionell wurde dieser Tag angemessen gefeiert und in dem kleinen Ort liefen derweil die Vorbereitungen für ein gelungenes Kirmeswochenende auf Hochtouren. Im Festzelt nebenan konnte man schon die Tanzmusik der „Bon Amigos" hören. In den vergangenen Tagen wurde unser Haus auf Hochglanz gebracht, trotz allem gab es an diesem Samstagabend noch jede Menge zu tun - das Mittagessen musste vorbereitet werden, der Holzboden gebohnert und und und. Da Oma am anderen Tag unbedingt mit in die Kirche wollte, musste sie sich „tummeln", um alles rechtzeitig fertigstellen zu können. Auf dem Ofen bruzzelte mittlerweile der Schweinebraten langsam vor sich hin. Den gebohnerten Holzboden hatten wir vorsorglich mit Zeitungspapier ausgelegt, damit er nicht versehentlich bekleckert wurde. In der gemütlichen kleinen Stube vermischte sich zusehends nebliger Kochdunst mit dem Duft von Bohnerwachs. Ich entschied mich, schlafen zu gehen, bevor in mir wieder das Hungergefühl geweckt wurde. Meine Augenlider wurden immer schwerer und von dem Lied: „Tanze mit mir in den Morgen" verstummten die letzten Töne. Dann war der große Tag gekommen. Ich warf einen kurzen Blick durch das kleine Schlafzimmerfenster. Die Sonne strahlte das buntgefärbte Laub des Eichelberges an. Es schien ein schöner Tag zu werden - wir hatten „Goldenen Oktober". Der Zeiger der Küchenuhr drehte sich immer schneller. Bald war es Zeit, in die heilige Messe zu marschieren. Oma war gerade noch dabei, ihre Haare in Form zu bringen, sie wollte doch vor dem „Herrn" einen guten Eindruck machen. Das Gotteshaus war an diesem Tag sehr gut besucht. Ob das ein oder andere Familienoberhaupt fehlte, war auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Doch unser Pfarrer hatte sein „Herde" immer im Visier. In einer so kleinen Gemeinde war es nicht allzu schwer, den Überblick zu behalten. Aber es gab da noch jemand, der sofort erblickte, wenn ein „schwarzes Schaf" durch Abwesenheit glänzte - „Kobbes!" Zu einem so festlichen Anlass war das Fernbleiben eigentlich durch Nichts zu entschuldigen - außer höherer Gewalt, wie Entführung oder Tod.

Ich saß neben meiner Oma. Wir beide wunderten uns, wo Opa denn wieder so lange bleibt, immerhin war „seine" Bank schon längst besetzt. Da kam er ja endlich zur Tür herein stolziert. Wollte ihm da tatsächlich jemand den Platz streitig machen? Was für eine Sünde! Aber einer von ihnen musste weichen und das war nicht mein Opa. Oma wäre in diesem Moment gerne kleiner geworden als sie so schon war. Ich konnte förmlich spüren, wie sich ihre Haare zu Berge stellten. Und sie hatte sich doch mit ihnen solche Mühe gegeben - alles umsonst. „Heiliger Bim Bam"! Das sollte noch ein Nachspiel haben. Aber wir konnten ihm sein „territoriales" Verhalten auf seine alten Tage leider nicht mehr abgewöhnen.

Als unter der musikalischen Begleitung des Musikvereins der letzte Ton von „Großer Gott, wir loben dich" verklungen war, konnten wir endlich von Dechant Erich Dunkel in unsere häusliche Umgebung entlassen werden. Bevor Opa sich jedoch „ihre" Predigt anhören musste, entwischte er „kurz" ins benachbarte Gasthaus zum Frühschoppen. Im Haus roch es so lecker. Es konnte doch nicht mehr allzu lange dauern, bis endlich ...

Zur Feier des Tages wurden die weißen Teller mit Goldrand und das beste Besteck aus dem Schrank geholt. Der Tisch wurde festlich gedeckt und die ersten Gäste waren mittlerweile auch schon eingetroffen. Und wieder mussten wir auf „ihn" warten. Warum hieß es eigentlich „Früh"-Schoppen, wenn die meisten Männer doch zu spät zu Hause eintrafen? Nach dem Tischgebet wurde das „Büffet" mit Rindfleischsuppe und selbstgemachten Markklößchen eröffnet. Abgeschlossen wurde das Festmahl mit Waldmeister-Götterspeise und Vanillesoße. Ein kleiner Gast war jedoch anwesend, dem das letzte Gericht gar nicht mundete. „Das ess' ich nicht, das gab es doch schon letztes Jahr!" Mit diesem Spruch setzte er Oma für kurze Zeit außer Gefecht - sie war sprachlos. Hatte sie doch tatsächlich seine kulinarischen Pläne durchkreuzt. Was für eine Enttäuschung muss das für den Sprössling gewesen sein - da kam er extra aus Krinkhof angereist und dann sowas! Vielleicht konnte man den jungen Mann mit etwas „Kirmesgeld" wieder aufmuntern. Das ließ er sich nicht zweimal sagen. Natürlich bekamen wir „Kleinen" alle etwas spendiert. Der Besuch war sehr großzügig. Die Erwachsenen waren damit beschäftigt, alte Geschichten aufzuwärmen. Wir spazierten in der Zwischenzeit lieber zum „Heine Bubi" auf den Kirmesplatz. Erst einmal kauften wir uns einen Cola-Lutscher und schauten uns in Ruhe an seinem Stand um. Ich hatte das Gefühl, dass seine Auswahl von Jahr zu Jahr größer wurde. Da unser Budget am Ende unseres kleinen Streifzuges noch nicht ganz aufgebraucht war, wollten wir uns noch ein Eis gönnen und statteten Leo einen Besuch ab. Beim Hinausgehen konnte ich der Versuchung nicht widerstehen und musste an dem roten Kaugummiautomaten, der neben der Eingangstür hing, Halt machen. Ich warf ein 10 - Pfennig - Stück hinein und drehte ganz langsam an der schwarzen Kurbel. Es war für mich immer ein kleines Abenteuer, wenn ich hinter der silbernen Klappe die „süße" Überraschung erspähen konnte. Damals war der „Groschen" noch sein Geld wert - aber lang ist' s her... Schöne Momente vergehen - doch die Erinnerungen bleiben.