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Mehrener Fastnacht und Karneval

Roland Thelen, Mehren

Wenn in Mehren am Abend vor Aschermittwoch mit den Kehrreimen des Lazarusliedes die Fastnacht beerdigt wird, neigt sich für das Dorf der im Jahreslauf unbestrittene Brauchtumsschwerpunkt seinem abrupten Ende entgegen. Obwohl die Mehrener Fastnacht über die Jahrzehnte nach dem 2. Weltkrieg einen deutlichen Wandel erfahren hat, sind die wesentlichen Grundelemente unverändert geblieben.

Prinz Karneval und Fossenicht

Wie sonst in der Eifel, sind auch in Mehren Fastnacht und Rheinischer Karneval zu einer Kampagne verschmolzen. Und dennoch, die Elemente der älteren Fastnachtsbräuche und des jüngeren Karnevalstreibens lassen sich auch heute noch deutlich abgrenzen. So beschränkt sich das in der Fastnacht verwurzelte Brauchtum auf den „Fetten Donnerstag" und das Treiben am Fastnachtsdienstag, während alle anderen Aktivitäten dem Karneval zuzuordnen sind, der seinen sichtbaren Höhepunkt im Rosenmontagszug findet. Die prägenden Elemente des Karnevals: Prinz Karneval, Rosenmontagszug und Karnevalssitzungen dürften zum Ende des 19. Jahrhunderts allmählich in Mehren bekannt geworden sein und nach und nach das Fastnachtsbrauchtum ergänzt haben. Dieser „Import" erfolgte durch die Mehrener, die mit der Erschließung dieses bis dahin abgelegenen Landstriches durch die Eisenbahn die Möglichkeit fanden, den Lebensunterhalt für die in der Heimat verbliebene Familie, bevorzugt in der Stadt Köln und deren Umland, zu verdienen. Zwangsläufig kamen die Eifeler so mit dem rheinischen Karneval in Berührung und es war nur eine Frage der Zeit, bis dieses Brauchtum auch in Mehren seine Anhänger fand.

Die Karnevalszeit

Dem in den Karnevalshochburgen als Start einer neuen närrischen Session angesehenen 11.11. wird in Mehren keine sonderliche Bedeutung zugemessen, wenngleich ab diesem Datum die ersten Planungen und Vorbereitungen erfolgen. Seit in Mehren der Karnevalsverein gegründet wurde (~1949), wird der Start in die jeweilige Kampagne mit der obligatorischen Jahreshauptversammlung noch vor der Adventszeit eingeleitet. Wichtigster Tagesordnungspunkt ist die Wahl des Prinzen Karneval.

In der von Jahr zu Jahr unterschiedlich lange „Vorfastnachtszeit" zwischen dem Dreikönigstag und dem Fastnachtssonntag finden in Mehren ein bis zwei karnevalistische Veranstaltungen statt. Dabei ist der wichtigste Akt die Proklamation und Einsetzung des neuen Prinzen Karneval mit der offiziellen Bekanntgabe des Karnevalsmottos. Der weitläufig verwendete Begriff „Kappensitzung" war im Mehrener Karneval kaum gebräuchlich. Vielmehr hatte sich die bescheidenere Bezeichnung des „Bunten Abends" etabliert, die sicher auf die eher beengten räumlichen Verhältnisse in den örtlichen Gasthäusern zurückzuführen war. Diese beengten Verhältnisse führten schließlich dazu, dass im Jahr 1977 erstmals ein beheiztes Festzelt auf dem alten Schulhof in der Dorfmitte für die großen Karnevalsveranstaltungen errichtet wurde. Die Zeltveranstaltungen fanden ein Ende, als im Jahr 1982 die Mehrzweckhalle in der Kapellenstraße fertiggestellt war - allerdings mit der Folge, dass sich das traditionelle Narrentreiben, vor allem nach dem Rosenmontagszug, aus dem Dorfkern ausgelagerte.

Cacilia („Cilla") Umbach vor dem Gasthaus Zimmermann / ca. 1955. Die traditionelle Möhnenkleidung geht auf die Stilepoche des Biedermeier (Mitte 19. Jahrh.) zurück und war durch die „Stilverspätung" auf dem Lande noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Mode. Möhne, um 1600 schon im kölnischen Sprachraum bekannt, steht für ,die Frau des Hauses'.

Fetter Donnerstag

Die Vorkarnevalszeit mündet schließlich in die „Fastnachtsoktav", welche wohl mit dem „Fetten Donnerstag" beginnt. Der Ablauf des närrischen Treibens am „Fette' Dunnischdisch" in der heutigen Form geht in Mehren auf die ersten Jahre nach dem 2. Weltkrieg zurück. Damals schlossen sich die verheirateten Frauen des Dorfes in einer nach ungeschriebenen Regeln agierenden Gemeinschaft unter dem Regiment der ersten Obermöhn' Luise („Ullia") Umbach zusammen. Das auch schon vor dem Krieg bekannte Möhnentreiben bekam damit eine feste Organisationsform. Gefeiert wurde erstmals nach dem Krieg im Jahr 1948 im Gasthaus Zimmermann. Um den Saal zu heizen, wurde Brennholz bei den Möhnen gesammelt und man verbrauchte in jener schlechten Zeit 15 Pfund Bohnenkaffee.

Aus diesen ersten Nachkriegsjahren stammt in Mehren die Regel, dass zum Möhnenkaffee und dem anschließenden Möhnenball außer den Musikanten keine Männer zugelassen sind. Bis dahin war es auch in Mehren üblich, dass die Männer am Treiben der Möhnen teilnahmen. Streitigkeiten veranlassten seinerzeit eine der wortführenden Möhnen, Anna Bley („Koster Ann'"), durch ein Machtwort die Männer als Streitobjekt vom Möhnenball auszuschließen.

Lediglich dem Prinzen Karneval mit Gefolge wird am Abend der Einzug in den Festsaal gestattet. Männer, ausnahmslos ahnungslose Dorffremde, werden rigoros und derb aus dem Möhnenlokal „bugsiert".

Überhaupt war es, besonders für fremde Männer, immer ratsam, am Fetten Donnerstag die Nähe der Mehrener Möhnen zu meiden. So kam der Dauner Gastwirt und Metzgermeister Baptist Jung („Jung's Baddi") eher unbedacht an einem solchen Tag mit ein paar hundert Mark in der Tasche nach Mehren, um Vieh zu kaufen. Aus dem Viehkauf wurde nichts. Unter die Möhnen geraten, reichte das Geld zuletzt nicht einmal mehr für eine 30-PfennigZigarre.

Eingeleitet wird das Möhnentreiben am „Fetten Donnerstag" mit einem Umzug durch das Dorf. Noch bis in die 1960er Jahre wurde im Zug ein Kranzkuchen, aufgespießt auf einer Stange oder Heugabel, mitgeführt, der die halbwüchsige Dorfjugend zu mancherlei Attacken veranlasste, um an das Backwerk zu gelangen.

Den Höhepunkt erreicht die Session an den „drei tollen Tagen" vor Aschermittwoch, an denen sich das Karnevals- und Fastnachtsbrauchtum zusammendrängt:

Fastnachtssonntag

Noch bis in die 1990er Jahre zogen um die Mittagszeit des Fastnachtssonntags „Bokerte" (Maskierte) aus dem „Hinnerollen" (Hinterdorf) kommend, langsam zum „Ewerollen" (Oberdorf) und setzten so das untrügliche Startzeichen für die Mehrener Fastnacht. Häufig wurde auf einem mitgeführten Schild kundgetan, dass man die Fastnacht suche. Die gesuchte und dann auch gefundene Fastnacht wurde durch eine lebensgroße Strohpuppe verkörpert, die bei dem nun anstehenden Umzug durch das Dorf mitgeführt wurde. Traditionelle Requisiten der Fastnachtssuche waren außerdem eine alte Stalllaterne und die Dorfschelle. Der Umzug selbst wurde als .Proklamation" bezeichnet und diente dazu, die Mehrener Fastnacht auszurufen. Über Jahrzehnte war der Maskenball am Sonntagabend neben dem Rosenmontagszug der Höhepunkt der Session.

Traditionelle Requisiten der Fastnachtssuche: Laterne & Dorfschelle. Die Fastnachtssuche und die Straßenproklamation finden seit einigen Jahren nicht mehr statt.

Die besondere Eigenheit lag im Aufzug möglichst vielköpfiger, gleicher Masken und Kostüme in geschlossenen Gruppen von bis zu zwanzig und mehr Personen. Die phantasievollen Kostüme orientierten sich häufig am Motto des bevorstehenden Rosenmontagszuges. Bevor man Karneval in der Gemeindehalle feierte, richteten die Mehrener Gasthäuser die Maskenbälle aus, wobei die drangvolle Enge in diesen Lokalen das ständige Hin- und Herziehen der Maskengruppen erforderlich machte. Aus organisatorischen Gründen wurde dieser Maskenball vor wenigen Jahren auf den Samstag vorverlegt - mit der Folge, dass der Fastnachtssonntag seinen entscheidenden Reiz verloren hat.

Rosenmontag

Geheimnisvolle Stille, vergleichbar den großen Feiertagen, kennzeichnete früher die Morgenstunden des Rosenmontages: In vielen Scheunen des Dorfes wurde allerletzte Hand an die oft in wochenlanger Arbeit aufgebauten Karnevalswagen gelegt, um sie am Mittag zum Sammel- und Ausgangspunkt des Rosenmontagszuges in das Oberdorf zu bringen. Von dort bewegt sich dieser über die Dauner Straße in das Dorf hinein: Voran der Fahnenträger mit der Fahne des MCV (Mehrener Carnevalsverein), dahinter das Funkenmariechen und die Prinzengarde, gefolgt von den Karnevalswagen, kleinen und großen Fußgruppen. Aufgelockert wird der Umzug durch einige Musikkapellen aus den Nachbardörfern. Sie sorgen mit für die notwendige Stimmung im Zug und unter den vielen Zuschauern, die die Straßen des Dorfes oft dichtgedrängt säumen. Den Schluss des Rosenmontagszuges bildet der Prunkwagen des Prinzen Karneval mit dem Elferrat - und früher traditionell ganz am Ende, die Zigeuner - eine wild zusammengewürfelte Gruppe, die sich oft erst im oder kurz vor dem Zug zusammengefunden hatte, um sich für die wenigen Stunden des Rosenmontagszuges in ungezwungenem Zigeunerdasein .auszuleben'. In früheren Jahren „lagerte" man im Anschluss an den Umzug auf dem Platz vor der Kirche, um dann noch durch die Gasthäuser des Dorfes zu ziehen. So herrschte auf den Dorfstraßen reges Karnevalstreiben bis in die Abendstunden. Seit jedoch dieMehrzweckhalle in der Kapellenstraße als närrischer „Stützpunkt" dient, ist es im Dorfkern nach dem Rosenmontagszug ruhig geworden.

Prinzenwagen im Rosenmontagszug 2016 Der Rosenmontagszug ist einer der jährlichen Höhepunkte im Dorfleben.

Das ausgelassene Fastnachtstreiben war nicht immer vom Wohlwollen der Geistlichkeit begleitet. So soll Pfarrer Karl Buss (1921-1930) die Kommunionkinder aufgefordert haben, sich während des Narrentreibens am Rosenmontag in der Kirche zum Gebet zu versammeln. Auch war es bis in die 1960er Jahre Sitte, dass die Erstkommunikanten sich nicht am Fastnachtstreiben beteiligen durften.

Fastnachtsdienstag

Während man sich am Rosenmontag offen den zahlreichen und gerngesehenen Besuchern zeigte, war der Fastnachtsdienstag bis vor einigen Jahren eher ein Fest für die Mehrener ,unter sich'. Schon am frühen Vormittag waren die Kinder zum „Eierheeschen" (Eier

heischen) unterwegs. Verkleidet und maskiert zogen sie von Tür zu Tür, um mit dem Absingen ihrer Heischelieder Süßigkeiten, Eier oder Geld zu erstehen:

Eierheesch, Brodefleesch, jeff ma' jett un meijne Korf,
Eijer un Speck, Botter und Weck, da jie ma von de Dire weg.
Ich bin ein armer König, gib mir nicht zu wenig,
lass' mich nicht so lange steh'n, denn ich muss noch weiter geh'n.

Diese beiden kurzen Verse, der erste in Platt (Mundart), der zweite in Hochdeutsch, sind die traditionellen Mehrener Heischelieder. Zu dem harmlosen Heischegang der Kinder gesellten sich im Laufe des Tages die derberen „Bokerten". Möglichst als alte Frauen oder Hexen verkleidete Gestalten begehrten nachdrücklich Einlass in die Häuser. Unter den Bokermasken verbargen sich Jugendliche, aber auch erwachsene verheiratete Männer und auch Frauen. „Bokern" oder „Floatzen" (in lumpenartigen Kleidern umherziehen) war also vornehmlich eine Angelegenheit der Erwachsenen. Geheischt wurden Eier und Geld.

„Eijerheesch, Brodefleesch, jeff ma' jett un mejne Korf........." Mehrener Bokerten 1992 / die traditionellen Heischegänge am Fastnachtdienstag werden zunehmend seltener.

Um die Maskierten zu entlarven, wurde Schnaps angeboten. So bedurfte es einiger Geschicklichkeit der „Fossenichtsbokerten" den Schnaps unter der Maske zu trinken, ohne erkannt zu werden. Die reichlich gesammelten Eier wurden dann am Abend in großer Menge „in die Pfanne geschlagen" und verzehrt, der Rest verkauft und der Erlös aufgeteilt. Auch Prinz Karneval mit Gefolge ziehen heischend durch das Dorf, um den Fastnachtsobulus einzusammeln.

Kinderkarneval

Um 1960 wurde erstmals durch Richard Jungen („Klempnisch' Richard") am Fastnachtdienstag ein gesonderter Kinderkarneval organisiert. Die Mehrener Kinder wählten einen eigenen Kinderprinz, ein Funkenmariechen und später auch eine eigene Kinderprinzengarde. Vom Musikverein begleitet, zogen die Kinder durch das Dorf und anschließend in den Saal eines Gasthauses. Bei reichlich Limonade feierten sie ihren Karneval mit allerlei Lustbarkeiten, Spielen, Büttenreden und Gesangsvorträgen.

Zunächst eher als ein Versuch geplant, entwickelte sich der Kinderkarneval zu dem bestimmenden Ereignis am Fastnachtdienstag - sehr zum Nachteil des Heischens und „Bokerns". Dieses ließ von Jahr zu Jahr merklich nach, da viele Haustüren verschlossen waren, weil die Hausbewohner sich beim Umzug und der Karnevalsfeier der Kinder aufhielten. Man beschloss daher im Jahr 1990, den Kinderkarneval auf den Fastnachtsamstag zu verlegen.

Fastnachtsbeerdigung

Bricht der Abend des Fastnachtdienstags an, so ist allen noch verbliebenen Narren bewusst, dass sich die Session endgültig und unerbittlich dem Ende zuneigt. Ein letztes Mal stürzt man sich in das närrische Treiben, um die verbleibenden Stunden vor dem Aschermittwoch ausgelassen zu feiern und schließlich die Fastnacht zu beerdigen.

Die Beerdigung der Fastnacht ist dem kirchlichen Begräbnisritus in sehr vereinfachter Form nachempfunden. Die Fastnachter schwärzen sich ihr Gesicht mit Ruß und halten Kerzen in den Händen. Alsdann wird unter lautem Gezeter und Heulen die Fastnacht auf einer Bahre hereingetragen. Wurde früher die Fastnacht durch die Strohpuppe vom vorangegangenen Sonntag dargestellt, so bedient man sich heuer gerne eines willigen, gelegentlich auch durch reichlich Alkoholgenuss angeheiterten Narren. Die Bahre wird unter den Klängen .jämmerlicher' Trauermusik durch den Saal getragen, gefolgt von der Polonaise der .Trauergemeinde'. Dabei versprengt man reichlich .Weihwasser' aus einem großen Eimer mittels einer Klosettbürste. Bestimmender Trauergesang bei dieser Zeremonie ist das Lazaruslied, das von einem Vorsänger aus dem Stegreif vorgetragen wird:

Als Lazarus gestorben war, begrub man ihn mit Haut und Haar,
begrub man ihn mit Haut und Haar.
Oh jemisch nee, oh jemich nee, wenn noch ees die Fossenicht wär,
oh jemisch nee, oh jemisch nee, wenn noch ees die Fossenicht wär.

Die Beerdigungszeremonie erschöpft sich in dem Herumtragen der .Fastnacht' auf der Bahre, dem Absingen .unzähliger' Strophen des Lazarusliedes und dem Schwärzen aller anwesenden Narren. Dass die Fastnacht als Strohpuppe auch im eigentlichen Sinne des Wortes beerdigt, also begraben wurde, ist nicht belegt, wenngleich das Verbrennen der Strohpuppe andernorts bezeugt ist.

Trotz der tiefen Symbolik beenden die Mehrener Fastnachter alljährlich die närrische Session in den letzten Stunden vor Aschermittwoch mit wehmütiger Klage in der Gewissheit, dass es in einem dreiviertel Jahr wieder von Neuem losgeht......

Quellennachweise:
Roland Thelen und Andere „Merre Helau" / Fastnachtsbrauchtum in Mehren Verlag + Herausgeber: Carnevalsverein Mehren e.V. / Mehren 1992
Für das Heimatjahrbuch wurde der Beitrag ,oh jemisch nee', wenn noch ees die Fossenicht war...' aus dem Buch „„Merre Helau" vom Verfasser stark gekürzt und leicht redigiert.