Kein Rad durfte sich am Schmerzensfreitag in Lirstal drehen

Tamara Retterath, Lirstal

In Lirstal gab es einmal ein ganz spezielles Brauchtum:

Zu Zeiten als die Pest im 17. Jahrhundert in der Eifel wütete, wurde ein Großteil der Bevölkerung von dieser grausamen Seuche dahingerafft.

Es handelt sich bei der Pest um eine hochgradig ansteckende Infektionskrankheit, die durch ein Bakterium ausgelöst wird. Gelangen viele Bakterien in die Blutbahn, erliegt die körpereigene Abwehr und es kommt zu einer Blutvergiftung. Die Pest wird auch „schwarzer Tod" genannt, es zeigen sich hässliche dunkle Flecken am Körper der Infizierten. Manchmal traf es ganze Familien. Der Tod mähte einen nach dem anderen mit seiner scharfen Sense weg, egal, ob alt oder jung, egal, ob arm oder reich. Die Einwohner der Eifel dezimierten sich aufgrund der schweren Epidemie schlagartig. Man hatte in Lirstal schon viel Grausames über diese Krankheit gehört. Als die Pest in den Nachbardörfern von Lirstal angekommen war und einen nach dem anderen in den Tod riss, legten die gläubigen Lirstaler ein Gelübde ab. Sie versprachen, an jedem Schmerzensfreitag auf alle Tätigkeiten, bei denen sich ein Rad drehte, zu verzichten, wenn sie von der Pest verschont blieben. Der Schmerzensfreitag ist der Tag, der der „schmerzhaften Muttergottes" geweiht ist, die das ganze Leiden Christi am Kreuz mitgetragen hat. Dieser katholische Gedenktag jährt sich immer jeweils acht Tage vor Karfreitag.

Die Lirstaler gelobten, an diesem einen Tag im Jahr keine Kutsche, keinen Fuhrwagen und keinen Pflug zu benutzen. Sie beteten viel. Und tatsächlich, sie hatten Glück und Gottes Segen: Das gesamte Dorf Lirstal blieb von der Pest verschont.

Drei Jahrhunderte hielten die Lirstaler ihr Gelübde ein. Sie verzichteten an diesem Tag auf Fahrten und Pflügen auf dem Feld. Aber in den zwei Weltkriegen wurde das Gelübde unterbrochen. Kriege bedeuteten ja immer Ausnahmezustände. Nach dem 1. Weltkrieg bröckelte das Versprechen schon etwas, pendelte sich aber wieder ein. Doch nach dem 2. Weltkrieg wurde das Gebot nicht mehr richtig in die Tat umgesetzt und von einigen nicht mehr beachtet. Daran störten sich besonders die älteren Dorfbewohner sehr, denen das Gelübde über viele Generationen hinweg in Fleisch und Blut übergegangen war. Dass jemand sein Feld am Schmerzensfreitag mit dem Pferde-, Ochsen- oder Kuhgespann (Zugtier und Pflug) beackerte, dafür hatten sie kein Verständnis. Doch es nützte nichts. Somit ging dieser alte Brauch aus dem 17. Jahrhundert gänzlich verloren.

Heute wäre dieses Gelübde schwierig in die Tat umzusetzen, denn während früher die Dorfbewohner zumeist selbstständige Landwirte waren und selbst bestimmen konnten, ob sie einen Tag ihre Arbeit niederlegten, fahren heutzutage die meisten Lirstaler nach auswärts mit dem Auto zur Arbeit. Sie wären heute auf das Wohlwollen ihres Arbeitgebers angewiesen, ob der ihnen an diesem Tag Urlaub gewähren würde.

Josef Zimmer (*30.08.1874, †10.02.1952), ein Lirstaler der Neuzeit, jedoch zeigte seinen Dank für das von der Pest verschonte Dorf auf seine Weise. Er ging, so lange er lebte, zum Gedenken an die Pest an jedem Schmerzensfreitag zu Fuß nach Maria Marthental wallfahren.