Schleifen - örtliches Brauchtum in Üdersdorf

Werner Wilhelmi, Udersdorf

Beim Schleifen zogen früher - und ziehen auch noch heute mit gewissen Abwandlungen, evtl. auch bei den Liedern - die Junggesellen des Dorfes am Abend der standesamtlichen Eheschließung zu dem Brautpaar, um ihm im Beisein von dessen Gästen und zahlreichen Schaulustigen ihre Aufwartung zu machen und zu gratulieren - und zugleich dafür eine Art „Abfindung für den endgültigen Verlust der Braut als Dorfmädchen" zu erhalten.

Zum eigentlichen „Schleifen" wird hierbei ein Gestell mit einem drehbaren alten Holzwagenrad mit Speichen und einem Eisenband als Lauffläche heranbefördert und postiert. An zwei gegenüberliegenden Holzspeichen des Rades werden längere Eisenketten befestigt. Mit diesen wird das Rad durch jeweils mehrere etwas entfernt stehende Junggesellen auf beiden Seiten in schnelle Bewegung versetzt. Ein weiterer Teilnehmer presst nun, vor dem sich schnell drehenden Rad stehend, eine Sense mit der Schnittfläche frontal gegen dessen Eisenlauffläche, so dass die Funken fliegen, wodurch im wahrsten Sinne des Wortes ein „Schleifen" mit schrillen metallischen Tönen erzeugt wird.

Sodann werden die folgenden Lieder von den Junggesellen gesungen, zwischen denen erneut „geschliffen" wird:

„Schönste, Allerschönste, was hör' ich von dir?
Du tust dich heiraten, wie schwer fällt es mir!

Du tust dich heiraten, du schönes junges Blut.
Du wirst noch erfahren, was Heiraten tut.

Dann hast du gleich Kinder, dann hast du gleich Not,
sie rufen zum Vater, wir haben kein Brot.

Wir haben kein' Brötchen, wir haben kein Geld,
bald bläst die Trompete, dann musst du ins Feld.

Die schöne Trompete, die schöne Schalmei,
bleibe du mir's auf ewig und ich bleibe dir getreu.

Dann folgt:

„Macht man ins Leben kaum den ersten Schritt,
bringt man als Kind schon eine Träne mit.
Und Freudentränen bringt als ersten Gruß,
dem Kind die Mutter mit dem ersten Kuss.

Man wächst empor so zwischen Freud und Schmerz,
dann zieht die Liebe ein ins junge Herz.
Es offenbart das Herz der Jungfrau sich
und eine Träne spricht: Ich liebe dich.

Wie schön ist doch die Träne einer Braut,
wenn dem Geliebten sie ins Auge schaut.
Man schwingt das Band, sie werden Frau und Mann,
dann fängt der Kampf mit Not und Sorgen an.

Und hat der Mann die Hoffnung schon verlor'n,
blickt doch die Frau vertrauensvoll empor
zur Sternenwelt, zum heit'ren Himmelslicht,
und eine Träne spricht: „Verzage nicht!"

Der Mann wird alt, die Scheidestunde schlägt,
es steh'n um ihn die Seinen tief bewegt
und aller Augen sind von Tränen voll,
sie gelten ihm als letzter Liebeszoll.

Und still verklärt blickt noch umher der Greis,
in seiner Kinder, seiner Enkel Kreis.
Im letzten Kampf, ja selbst noch im Vergeh'n
und eine Träne spricht „Auf Wiedersehn"!

Sodann folgt das Lied:

„Schön ist die Jugend bei frohen Zeiten,
schön ist die Jugend, sie kommt nicht mehr.

Drum sag ich's noch einmal,
schön sind die Jugendjahr,
schön ist die Jugend, sie kommt nicht me Sie kommt, sie kommt nicht mehr,
sie kommt nicht wieder mehr.
Schön ist die Jugend,
sie kommt nicht mehr (Refrain).

Man liebt auch Mädchen, in frohen Zeiten,
man liebt auch Mädchen zum Zeitvertreib.
Refrain

Ich pflanzt ein' Weinstock und der trägt Reben
und aus den Reben fließt edler Wein.
Refrain

Zum Abschluss des Singens wird erneut „geschliffen".

Nach diesen Aufwartungen gratulieren die Junggesellen dem Brautpaar mit dreimaligen Hochrufen und nehmen heute in der Regel an dem von diesem organisierten großen Partyabend aus diesem Anlass teil.

Früher erhielten sie vom Bräutigam einen größeren Geldbetrag, um damit auf ihre Weise die Feier des Tages zu gestalten. Dafür zogen sie dann geschlossen in eine Gastwirtschaft und sangen beim Abmarsch als Trost und Genugtuung sowie zugleich zur Festigung ihres Standes inbrünstig folgendes Lied:

„Recht vergnüget kann man sein,
wenn man lebt für sich allein.
Hat man dann doch jeden Morgen
ganz allein für sich zu sorgen,
wie man heget seinen Leib,
wie man heget, wie man pfleget
seinen Leib.

Kommen dir die Heiratsgrillen,
kommen sie dir in den Sinn,
so tu' dir dein Pfeifchen füllen,
und es schwinden alle Grillen.
Und sie schwinden all dahin.
Und sie schwinden all dahin.

Mancher möcht' vor Liebe sterben,
eh er in den Eh'stand tritt.
Ist er kaum ein Jahr darinnen,
so tut er sich schon besinnen,
wie er wieder kommt heraus,
wie er wieder, wie er wieder,
kommt heraus."

Sodann versöhnten sie sich in der Gastwirtschaft bei einem feuchtfröhlichen Abend wieder mit dem Schicksal des Verlustes der Allerschönsten des Dorfes und wurden sich dabei wieder der Tatsache bewusst, letztlich doch eher ein vergnügtes Leben für sich allein führen zu können und damit den besseren Teil erwählt zu haben.

So nach dem Motto: Oma hat gesagt, wenn du keine Partnerin findest, dann bleibst du eben allein und machst dir ein schönes Leben! Wie die Realität jedoch später häufig zeigte, fehlte vielen Teilnehmern dann letztlich trotz dieser Erkenntnis im späteren Leben doch das Durchhaltevermögen hierfür.