Peter Leuschen, Bonn
Kalenborn, 6 km nordwestlich Gerolsteins gelegen, ist erstmals 846 erwähnt in einer Urkunde Kaiser Lothars I, die einen Gütertausch zwischen dem Erzbischof von Trier und dem Abt des Klosters Prüm bestätigt. Das Prümer Urbar von 893 beschreibt im 7. Kapitel Kalenborn als dienstbaren Ort des Klosters mit 15 Häusern.
Im 12. Jh. wird der Ort dem Kloster durch die weltliche Herrschaft der Manderscheider Grafen entfremdet. 1488 entstehen durch Erbteilung drei Manderscheider Linien, neben Schleiden und Kail auch Blankenheim-Gerolstein unter Graf Johann (1446-1524). In der Nebenlinie Manderscheid-Gerolstein und -Bettingen folgen ab 1533 Gerhard, Johann Gerhard, Karl, Ferdinand-Ludwig und 1671-1697 Karl-Ferdinand, der im folgenden Beitrag eine Rolle spielen soll. Die Kapelle in Kalenborn (damals Filiale der Pfarrei Sarresdorf) wurde 1552 erbaut.
Bisher sind uns nur vier Erwähnungen der beiden Glocken der Kalenborner Kapelle zur Kenntnis gelangt:
• in Wackenroder, Ernst: Die Kunstdenkmäler des Kreises Daun. Düsseldorf: Schwann 1928. Der einschlägige kurze Eintrag lautet:
• in der chulchronik Kalenborn im Bd. 1, S. 4 (Eintrag der Schulamtsbewerberin Elisabeth Kelter vom Oktober 1919). Lehrerin Kelter schreibt:
• in der Schulchronik Kalenborn im Bd. 2, S. 160 (Eintrag des Schulleiters Matthias Kohn im Juli 1930). Lehrer Kohn referiert ausdrücklich unter Bezugnahme auf Wackenroder:
• in der Ehrenchronik Kalenborn, die „von der Gemeinde" im Juli 1930 beauftragt und noch im gleichen Jahre ebenfalls von Matthias Kohn verfasst wurde. Kohn formuliert:
Aus dem Vergleich der Textfragmente ergeben sich mehrere Fragen:
• Anzahl der Glocken: eine (Wackenroder) oder mehrere (Kelter und Kohn in Schul-und Ehrenchronik)?
• Stiftungs- oder Gussdatum 1792 (so Wackenroder und nach ihm Kohn in der Ehrenchronik) oder 1695 (Kelter und Kohn in der Schulchronik)?
• Name des Stifters (von Wackenroder nicht erwähnt, bei Kelter und Kohn übereinstimmend
Und weil das letzte Zitat von 1930 stammt, fragt sich zusätzlich: Was geschah im Zweiten Weltkrieg?
Anhand einiger Fotografien, die kürzlich anlässlich der Wartung durch die beauftragte Glockengießerei in Brockscheid entstanden sind, können die gestellten Fragen beantwortet werden. Die Aufnahmen zeigen zwar nur etwa die Hälfte der Glockenoberflächen, aber mithilfe einiger zusätzlicher historischer Informationen ist der Wahrheit näher zu kommen.
Vorab einige Begriffe aus der Glockenkunde: Ganz oben auf der Glocke befindet sich die Krone, die der Aufhängung dient, gehalten von der Haube. Der Glockenmantel besteht aus der (breiten) Schulter, der (fast senkrechten) Flanke mit dem Wolm (oder Kranz) darunter, an den sich die breiteste und dickste Stelle, die Schärfe mit dem Schlagring anschließt.
Es handelt sich um zwei Glocken. Das leichteste Unterscheidungsmerkmal zwischen ihnen ist die Anzahl der auf der Flanke angebrachten Widmungszeilen: bei der größeren sind es vier, bei der kleineren drei umlaufende, jeweils durch einen erhöhten Ringwulst abgetrennt.
Eindeutiger geht es nicht: auf beiden Glocken ist oberhalb des Wolms erhaben 1695, beide Male mit identischem Schnörkel an der 1, geprägt. Die Jahreszahl bei Wackenroder scheint aus der Luft gegriffen, kann zumindest nicht auf eigener Anschauung beruhen (den beschwerlichen Aufstieg auf den Turm hat er sicher nicht unternommen), denn die Lesbarkeit ist ausgezeichnet.
Gussjahr Grafenglocke (oben) und Gräfinnenglocke (unten)
Hierzu sind die Widmungszeilen beider Glocken genauer zu betrachten. Die Aufnahmen decken nur etwa die Hälfte der Gesamtoberfläche ab, aber mit einigen Konjekturen über die verdeckten Stellen ist dennoch eine eindeutige Antwort möglich.
Die größere Glocke zeigt auf der Schulter einen Ornamentenfries. Auf der Flanke ist folgender fragmentarischer Text zu erkennen:
...IUS . ORA . PRO . NOBIS
...NHEIM . RUTTIG . VND...
...DHAUN . DER ROMIS...
...SER . CAMMERGERICHT ...
...FECIT 1695 ...
Die kleinere Glocke ziert ebenfalls ein Ornamentenfries auf der Schulter. Auf der Flanke ist hier zu lesen:
Unterschrift Gräfinnenglocke - Schulter und Flanke
. ORA.PRO.
...A CATHARINA . GRA...
...VNDT . GERHOLSTEIN...
... MATTHIAS FECIT 1695
Als erster Anhaltspunkt für die weitere Recherche fällt die Angabe CAMMERGERICHT auf der ersten Glocke ins Auge. Schon bei Schannath/ Barsch (Eiflia illustrata, Bd. I ) ist doch zu lesen:
Eine weitere Präzisierung (und Richtigstellung) der Lebensdaten Karl Ferdinands erfolgt bei einer nochmaligen Erwähnung Schannat/ Bärschs:
Eine Nachlese bei den Präsidenten des Wetzlarer Reichskammergerichts (katholischen Bekenntnisses) bestätigt:
interpretieren. ...NHEIM ist zu Blankenheim zu ergänzen. DHAUN entspricht Daun in der heutigen Schreibweise. Die Nennung der Orte
Für die Deutung von RUTTIG führt die Erwähnung von Roussy bei Schannath/Bärsch weiter. Der Wikipedia-Eintrag zu diesem Ort lautet:
Roussy-le-Village (deutsch
RUTTIG ist zu deuten als damalige Schreibung des später so genannten Rüttgen. Eine Auswahl der Besitzer von Roussy erhärtet die lange Beziehung der Manderscheider zu diesem Ort:
• Magdalena Gräfin von Nassau-Idstein (1546-1604), 1568 Dame de Roussy; oo 1566 Joachim Graf von Manderscheid in Virneburg und Neuerburg († 1582)
• Anna Salome Gräfin von Manderscheid (1578-1648), deren Tochter, 1615 Erbin von Kronenburg, 1646 Dame de Roussy; oo Karl (1574-1649) 1611 Graf von Manderscheid in Gerolstein
• Ferdinand Ludwig (1613-1670), deren Sohn, 1649 Graf von Manderscheid in Gerolstein, Bettingen, Kronenburg und Roussy
• Karl Ferdinand († 1697), dessen Sohn, 1670 Graf von Manderscheid in Gerolstein, Roussy, Bettingen und Kronenburg; o Maria Katharina v. Königsegg u. Rothenfels (1640-1722)
• Die Grafen von Königsegg-Rothenfels erben 1697 Roussy und Kronenburg durch Testament von Graf Karl Ferdinand von Manderscheid-Gerolstein.
• Albrecht Eusebius Graf zu Königsegg und Rotenfels, verkauft die Grafschaft Roussy 1703 an Jacob Dumont.
Beim Wortsplitter ROMIS... wird man nicht fehlgehen, ihn als einen Bestandteil des folgenden CAMMERGERICHT zu erklären, das eine Institution des
Noch im Raume steht die Zuordnung des in der Schulchronik 1919 und 1930 genannten Stifters
Bürgermeister und Dorf' einerseits und „Bettingen, im Kreise Daun" andererseits, hier mit Weiterverweis auf „Nieder- und Ober-Bettingen"; während aber auf Ober-Bettingen Bezug genommen wird, wird Nieder-Bettingen an der erwarteten Stelle nicht einmal als Schlagwort erwähnt. Meine Behauptung ist, dass die auf der Rückseite der Fotoansicht erwartbar vermutete Nennung von BETTINGEN mit dem auf der Vorderseite sichtbaren RUTTIG lokalpatriotisch (denn
Zur Vervollständigung der Stifterfrage fehlt noch die Interpretation der Aufschrift der zweiten Glocke, soweit sie in den Fotos lesbar ist. Mit dem schon genannten Zitat
Damit ist die Stifterfrage zweifelsfrei geklärt: Es ist das im - den Glocken aufgeprägten -Jahre 1695 in der Grafschaft Manderscheid-Blankenheim-Gerolstein regierende Grafenpaar Karl Ferdinand und Maria Katharina. Anlass der Stiftung war die Dankbarkeit für oder der Stolz auf die kurz vorher erfolgte Ernennung des Grafen zum Präsidenten des Reichskammergerichts zu Wetzlar. In begrifflicher Anlehnung an ihre Stiftung des Grafenkreuzes (dessen Bekanntschaft in der Bevölkerung weit verbreitet ist), ist eine Benennung der Kalenborner Glocken als „Grafenglocke Karl Ferdinand" und „Gräfinnenglocke Maria Katharina", bzw. kürzer „Grafenglocke" und „Gräfinnenglocke" angebracht.
In beiden Weltkriegen wurden die für die Produktion - besonders von Waffen - benötigten Metalle knapp. Während schon im Krieg gegen Napoleon 1813 Preußen mit dem Werbespruch
In der Schulchronik findet sich erst
Grafenglocke - Gewichtsaufschrift
Die Verwiegung, so ist anzunehmen, fand auf der (ersten) Sammelstelle statt. Diese ist mit hoher Wahrscheinlichkeit in Kall zu lokalisieren. Aus Winnekendonk bei Kevelaer, Kreis Kleve, wird Vergleichbares berichtet:
Bauer, Josef: Der Glockenfriedhof von Kall-Stürzerhof. In: Heimatkalender / Heimatjahrbuch / Jahrbuch Kreis Schleiden, Jg. 1967, S. III. Brochhausen, Norbert: Der 1. Weltkrieg in der Pfarrgemeinde Gerolstein-Roth: unsere Heimat - unsere Soldaten. Müllenborn: Arbeitskreis für Geschichte und Heimatpflege im Eifelverein Müllenborn, 2014.
Grimm, Jacob: Weisthümer. Göttingen: Dieterich 1840 - 1878 (7 Bde.). (Bd. 2 Errata in Bd. 6.)
Büschkapelle und Grafenkreuz in Gerolstein
Jahns, Sigrid: Das Reichskammergericht und seine Richter. Verfassung und Sozialstruktur eines höchsten Gerichts im alten Reich. Teil 1. Köln, Weimar, Wien: Böhlau 2011.
Köhler, Udo: Mythologisches aus dem Gerolsteiner Land. In Heimatjahrbuch Landkreis Vulkaneifel 1982, S. 231-234. Oster. Peter: Geschichte der Pfarreien der Dekanate Prüm-Waxweiler. Trier: Paulinus 1927. (= Geschichte der Pfarreien der Diözese Trier III). [Download: http://www.dilibri.de/ubtr/content/ titleinfo/1165199]
http://www.roscheiderhof.de/
Schannat, Johann Friedrich: Eiflia illustrata oder geographische und historische Beschreibung der Eifel. Aus d. lat. Ms. übers., mit Anm. und Zusätzen bereichert, nebst vielen Abb. von Altertümern, Sigillen u. Wappen, hrsg. von Georg Barsch. Aachen, Leipzig: Mayer / Schlösser: Köln / Trier: Lintz, 1824-1852. Neudruck: Johann Friedrich Schannat/Georg Bärsch: Eiflia illustrata oder Geographische und historische Beschreibung der Eifel. Otto Zeller, Osnabrück 1966.
Schulchronik Kalenborn http://www.kalenborn-scheuern. de/~upload/aktuelles/Schulchronik%20mit%20Anhang-1.pdf
Wackenroder, Ernst: Die Kunstdenkmäler des Kreises Daun. Düsseldorf: Schwann 1928. (= Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz 12, 3)
Wikipedia