Zivilcourage

Helmut Müller, Mannebach

Foto: Die Kleiderbügel in Helmut Müllers Bauernmuseum

Aus Erzählungen meiner Großmutter weiß ich, dass mein Urgroßvater Johann Mertes (1861-1948) ein geradliniger Mann war, der zu seinen Grundsätzen und Prinzipien stand. In unserer damaligen Kreisstadt Mayen gab es früher auch zwei jüdische Geschäfte, in denen man Bekleidung kaufen konnte: Salomon und Gabriel. Meine Großmutter erzählte mir, dass diese jüdischen Geschäftsleute sehr gütige Menschen gewesen seien, die zu Weihnachten sämtliche armen Kinder von Mayen beschenkt hätten. Als während der Zeit des Dritten Reiches, wenige Jahre nach der Machtergreifung 1933, die Nationalsozialisten die jüdischen Geschäfte überall in Deutschland boykottierten, standen auch vor den Geschäften Salomon und Gabriel in Mayen SA-Männer. Sie hielten Schilder hoch, auf denen zu lesen war: "Deutsche, wehrt Euch! Kauft nicht bei Juden!" Mein Urgroßvater ließ sich davon nicht beeindrucken und sagte zu den SA-Männern: "Ich habe immer hier gekauft und werde auch weiterhin hier einkaufen. Ich weiß nicht, warum ich das jetzt ändern sollte." Tatsächlich ließen die SA-Männer ihn passieren und mein Urgroßvater konnte unbehelligt seine Einkäufe tätigen und wieder seines Weges gehen. Allerdings waren auch diese Geschäftsleute irgendwann über Nacht aus Mayen verschwunden. Es lässt sich unschwer erahnen, was mit ihnen passiert ist. Hier zu Hause in Mannebach, in meinem Bauernmuseum, erinnern noch zwei Kleiderbügel mit den entsprechenden Schriftzügen an sie. Dass mein Urgroßvater sich damals nicht einschüchtern ließ, nennt man heute Zivilcourage. Für Johann Mertes war es wohl eine Selbstverständlichkeit.