Letzter Abt von Kloster Steinfeld ein Junge aus Kirchweiler

Alois Mayer, Daun-Pützborn

Nahe der Gemeinde Kall in der nördlichen Eifel erhebt sich weithin sichtbar das Kloster Steinfeld. Wenige Häuser umgeben es. Zusammen bilden sie den Ortsteil Steinfeld. Um 1070 wurde das Ur-Klösterchen gegründet. Wer die ersten Mönche waren oder welchem Orden sie angehörten, ist unbekannt. Ein halbes Jahrhundert später bezogen Mönche aus dem von dem Dauner Abt

Richard gegründeten Kloster Springiersbach bei Bengel im Kreis Wittlich-Zell das Kloster Steinfeld und lebten nach der Regel des Prämonstratenserordens.

1184 wurde Steinfeld zur Abtei erhoben und blieb es bis zur Säkularisierung im 18. Jahrhundert. 1794 erreichten Truppen der Französischen Republik das Kloster und leiteten das

Barockes Eingangstor zum Kloster Steinfeld

Ende der über 600-jährigen Abtei ein. Wie alle Klöster, Schlösser, Burgen und feudaler Besitz wurde sie zum Nationaleigentum erklärt. Die Geistlichkeit Steinfelds musste ins Exil. Mit dabei der letzte Abt. Und dieser war ein Junge aus Kirchweiler bei Daun - Abt Gilbert Surges.

Geboren wurde er am 17. Februar 1734 als Sohn von Peter Surges und Maria. Getauft wurde er unter dem bürgerlichen Namen Johann Peter. Seine Paten waren: Johann Peter Lamberty, Pfarrer in Steinborn und Vikar in Neunkirchen sowie Anna Barbara Pint aus Wawern.

1755 trat er in den Steinfelder Orden ein, wo er drei Jahre später (am 11.10.1755) seine Profess (Ordensgelübde) ablegte. Es folgte am 20. Mai 1758 seine Subdiakonweihe (erste Weihe zum Priestertum) und 1760 die Weihe zum Diakon (höhere Weihen; Vorstufe des Priesteramtes). Surges studierte Theologie im Priesterseminar zu Köln, wo er 1763 zum Priester geweiht wurde. Die nächsten Jahre war er als Theologielehrer in Niederehe tätig, wo er Fort- und Weiterbildungskurse für junge Steinfelder Patres hielt. In Steinfeld wurde ihm 1784 das Amt eines Provisors (= Wirtschaftsverwalter) sowohl für das Kloster selbst als auch dessen Zweigniederlassung in Dünnwald bei Köln zugewiesen.

Am 9. August 1790 wählten ihn 85 Mönche von 95 Stimmberechtigten zum Abt, und der Kölner Weihbischof Karl Alois weihte ihn in der Kapelle des Norbertus Kollegs in Köln auf den Namen „Abt Gilbert". Surges war der 44. und letzte Steinfelder Abt. Er trat ein würdiges Erbe an. Auch wenn in all den Jahrhunderten vorher die Abtei während den Stürmen der Zeit und vielen Kriegswirren erheblich gelitten hatte, so gelangte sie dennoch immer wieder zu hohem Ansehen und bester Blüte. Surges' Vorgänger, die Äbte Evermodus Claessen aus Gangelt (1767 bis 1784) und Felicius Adenau (1784 bis 1790), hatten das Kloster deutlich renovieren und erweitern lassen. Die rund 1,6 km lange Umfassungsmauer war nun fertig gestellt und ebenso das große barocke Eingangstor, das noch heute für Besucher, Wanderer und Pilger eine eindrucksvolle Wirkung vermittelt.

Abt Gilbert Surges (Ölgemälde im Kloster Steinfeld)

Gilbert Surges - abgesetzt und vertrieben

Abt Surges konnte sich nicht lange an dem sehenswerten Kloster, an den großzügigen Anlagen und dem Besitz sowie an seinem Amt erfreuen, denn in Frankreich war 1789 eine Revolution ausgebrochen. Die Gräuel der französischen Revolutionäre nahmen zu. Adel und Klerus hatten darunter sehr zu leiden, fielen ihnen zum Opfer. Eine Schreckensmeldung nach der anderen erreichte auch die linksrheinischen Gebiete, erst recht, als die Revolutionäre die Reichsgrenzen überschritten und in die Kurfürstentümer Köln und Trier einfielen. Klerus und Adel packten ihre Koffer und flüchteten über den Rhein.

Dieses Schicksal traf auch die Abtei Steinfeld. Abt Surges ließ Listen des Klosterbesitzes anfertigen und die wertvollsten Gegenstände in den Kellern des Klosters verstecken. Dann floh

auch er im Herbst 1794 mit 24 von 32 seiner Mitbrüder und den Reliquien des seligen Hermann Josef auf die rechte Rheinseite in das zu Steinfeld gehörende Tochterkloster Dünnwald bei Köln.

In Steinfeld selbst blieben als einzige Mönche zurück der Stellvertretende Abt, Kunibert Gussenhoven, und zwei weitere Ordensbrüder, die im Kloster und seiner Umgebung die Seelsorge aufrechterhalten sollten.

Prior und Chorherr Kunibert Gussenhoven, der die französische Sprache beherrschte, trat in Verhandlungen mit den Franzosen. Er erreichte, dass Gilbert Surges mit den übrigen Steinfelder Mönchen gegen Zahlung einer beachtlichen Kriegssteuer an die Besatzungsmacht im Juni 1795 zurückkehren durfte. Surges blieb zwar Abt und Vorgesetzter des Mönchskonvents, aber seine Rechte oder Verfügungsgewalt über Steinfeld, seinen Besitz und Herrschaftsbereich wurden zunehmend beschnitten und letztendlich verboten. Das Ende der Abtei Steinfeld näherte sich immer schneller. Am 17. Januar 1798 hatte Abt Surges für die französischen Besatzer eine Namensliste aller Bediensteten der Abtei anzufertigen.

Am 10. Februar 1798 wurde ihm und allen anderen Klöstern durch Beschluss des französischen Regierungskommissars Rudler verboten, Novizen aufzunehmen. Im Juni und Juli des gleichen Jahres musste er alle Wertgegenstände in der Abtei und alle ihre Güter und Einkünfte auflisten. Am 9. März 1801 fiel das ganze linke Rheinufer im Frieden von Luneville endgültig an Frankreich.

Am 26. Juli 1802 trat Napoleons Gesetz vom 9. Juni 1802 in Kraft, dass alle Klöster und Stifte geräumt werden mussten. An diesem Tag war das Fest der heiligen Anna. Abt Surges feierte mit all seinen Mitbrüdern und Klosterangehörigen zum letzten Male in der altehrwürdigen Abteikirche einen festlichen Gottesdienst. Dann verließen er und 78 seiner Mitmönche das nahezu 750 Jahre alte Kloster Steinfeld.

Das Tor der Kirche wurde versiegelt, die Christusfahne vom Dach entfernt und dafür die französische Revolutionsfahne (Tricolore) gehisst. Die Klostergebäude wurden versteigert, die wertvolle Bibliothek verschleudert und teilweise vernichtet; die großen Ländereien in kleinere Parzellen aufgeteilt und weit unter dem wirklichen Wert veräußert. Erhalten blieb zum Glück die sehenswerte Abteikirche. Ein kleiner Trick hatte dazu verholfen. Denn die Verantwortlichen ließen 1804 die wesentlich ältere und reparaturbedürftige Pfarrkirche St. Andreas abreißen und bestimmten an deren Stelle die Klosterkirche als Succursalpfarrkirche (Hilfspfarrkirche), die nunmehr dem Dekanat Reifferscheid zugewiesen wurde.

Gilbert Surges - verbittert und enttäuscht

Der Überlieferung nach, soll der vermögende und energische Abt Gilbert Surges das Klostergebäude selbst angesteigert haben, um es so vor dem drohenden Abriss zu bewahren. Nach seinem Tod gelangte das Anwesen an seine beiden Erben, die ehemaligen Chorherren Heinrich Hansen und Evermodus Gau. Diese allerdings verkauften die Gebäude an den früheren Müller und Braumeister des Klosters, Michael Römer, und an den früheren Pförtner, Thomas Klinkhammer. Diese wiederum veräußerten 1844 alles dem preußischen Staat für 20.000 Taler.

Gilbert Surges, seit 1790 Abt, wurde 1802 seines Amtes enthoben und zum ersten Pfarrer von Steinfeld ernannt. Seine frühere eigene Abtwohnung und sein Garten wurden nunmehr Pfarrhaus und Pfarrgarten. Welcher Abstieg! Surges, vorher einflussreicher und mächtiger Abt und Archidiakon (ähnlich: Stellvertreter eines Bischofs) war nun weltlicher Priester, herabgesunken auf die Stufe eines Hilfsgeistlichen, dem Pfarrer von Reifferscheid unterstellt.

1804 legte Gilbert Surges sein Amt als Pfarrer nieder und ging in den Ruhestand. Die Pfarrei Steinfeld wurde bis zum Jahre 1828 noch von vier ehemaligen Steinfeld-Mönchen verwaltet. Dann wurde sie Weltgeistlichen übergeben. Gilbert Surges, letzter Abt von Steinfeld, zog

sich als Privatmann zurück und starb arm, verschlossen, zurückgezogen und enttäuscht am 26. März 1822 im Alter von 88 Jahren auf einem Gehöft nahe bei Steinfeld. Beerdigt wurde er in der Gruft der Äbte in der Klosterkirche, die jetzt Pfarrkirche war. Schlicht und demutsvoll die Inschrift auf seiner Grabplatte: „R.D. Gilbert Surges obiit 1822 - 26. März R.I.P." (Der ehrwürdige Herr Gilbert Surges starb am 26.3.1822. Ruhe in Frieden.) Heute ist die Klosteranlage Steinfeld wieder von Mönchen bewohnt. Die Genossenschaft der Salvatorianer (Gesellschaft des Göttlichen Heilandes) übernahm sie 1923 und betreut seitdem Kloster, Kirche und Gemeinde von Steinfeld.

Gilbert Surges - großmütig und verzeihend

Aus den wenigen überlieferten Urkunden, die die Amtsführung des Abtes Surges betreffen, ist kaum etwas über seinen Charakter und seine Persönlichkeit zu finden. Er wird als ein mächtiger, vermögender und energischer Mann bezeichnet. Aus dem einzigen Porträt von ihm könnte man bei aller Vorsicht auf Strenge, Beharrungsvermögen und humorlose Nüchternheit schließen.

Doch mit Sicherheit verbarg sich hinter seinem herrschenden Äußeren ein milderes, verständnisvolleres, tief menschliches Gemüt. Das lassen auch Urkunden erkennen, die das Schicksal eines abtrünnigen Mönches schildern.

Sein Name war Johann Matthias Kriechel, 1763 in Ahrweiler geboren, und nun schon seit einigen Jahren als Mönch mit dem Klosternamen Laurentius in Steinfeld. Dort hatte er in aller Heimlichkeit das junge Mädchen Barbara Werner aus Frohngau, die in Steinfeld als Magd arbeitete, kennengelernt und auch geschwängert. Ohne sich zu offenbaren, plante er heimlich, Kloster Steinfeld zu verlassen. So bat er im Sommer 1796 Abt Surges um Erlaubnis für eine Kur in den warmen Thermen zu Aachen. Dies gewährte ihm der Abt und gab ihm auch genügend Geld, 14 Kronentaler, mit. Laurentius Kriechel jedoch begab sich zuerst zu seiner verwitweten Mutter Anna Sibilla nach Ahrweiler und entledigte sich dort seiner Ordenstracht.

Nun reiste er über Bonn nach Köln, traf dort seine Freundin Barbara und zog mit ihr nach Duisburg, weiter über Wesel und Emmerich bis nach Groessen, heute ein kleiner Ort bei Zevenaar in den Niederlanden. Dort ließ er sich am 6. Dezember 1796 als Dorfschullehrer einstellen, und dort gebar ihm Freundin Barbara auch ein Kind. Ständig von der Furcht ergriffen, als ausgesprungener Mönch entlarvt zu werden, verließ er im Juni 1797 das Dorf. Nun war er arbeitslos, hatte keinerlei Gelder oder irgendein Einkommen zur Verfügung.

Letzter Eintrag auf der Gedenktafel aller Steinfelder Äbte - Gilbert Surges

Mehrmals versuchte er in anderen Orten, eine Arbeit zu finden, aber vergebens. Letztendlich klopfte er an der Pforte des Prämonstratenserklosters Hamborn und bat um Hilfe und Unterstützung. Es wurde ihm geraten, nach Steinfeld zurückzukehren, dort Abt Surges um Verzeihung zu bitten. Laurentius Kriechel kehrte reumütig nach Steinfeld zurück, erflehte Vergebung, bat um seine Wiederaufnahme als Mönch in den Orden, allerdings in einem anderen Kloster, und um Versorgung seiner Freundin mit seinem Kind.

Abt Gilbert Surges versprach es und verzieh ihm. Die junge Frau und das Kind wurden in einem Kölner Konvent untergebracht. Dort starb das Kind zwei Monate später. Daraufhin stellte der Abt die Unterhaltszahlungen ein, da die Frau nun für sich selber sorgen sollte. Kriechel selbst wurde nicht versetzt. Er blieb in Steinfeld, war darüber aber maßlos enttäuscht und konnte und wollte sich nicht mehr den strengen Ordensregeln unterordnen.

Statt Abt Surges und dem Orden dankbar zu sein, wurden starke Ablehnung und feindliche Einstellung in Kriechel immer größer. Heimlich ließ er der französischen Zentralverwaltung in Bonn ein Schreiben zukommen, in dem er Abt und Konvent massiv beschuldigte, sie alle seien sehr franzosenfeindlich. An Allerheiligen 1797 sei in einer Predigt gegen die französische Regierung gehetzt worden. Es werden in Steinfeld antifranzösische Schriften verfasst und vorgelesen. Ordensmitglieder werden aufgefordert, den von der Französischen Republik verlangten Eid auf die Verfassung zu verweigern. Abt Surges habe Gut und Vermögen der Abtei sowie Getreide versteckt.

Daraufhin kamen am 29. Januar 1798 zwei Beamte der französischen Zentralverwaltung nach Steinfeld. Laurentius Kriechel, Abt Surges und andere Mitbrüder wurden befragt. Das Ergebnis: Eine Franzosenfeindlichkeit wurde nicht festgestellt, und aufrührerische Worte hatte auch niemand gehört. Es wurde an Allerheiligen nicht gegen die französische Regierung

gepredigt, sondern lediglich eine wissenschaftliche Abhandlung des Mönchs Goertz vorgelesen, in der das Für und Wider des französischen Staats- und Priestereides erörtert war.

Es sei wohl richtig, dass 1794 Kirchenschätze sowie Getreide in Kellergewölben versteckt worden waren, insbesondere Paramente. Man hatte aber bald gemerkt, dass sie dort feucht und muffig wurden, und hatte sie wieder herausgeholt. Andere wurden in der Michaelskapelle der Klosterkirche und in einem unbewohnten Chorherrenzimmer im Dormitorium deponiert. Das auf einer Wölbung oberhalb des Archivs und in einer Kapelle beim Krankenhaus beiseite gestellte Getreide diente als Saatgut für das nächste Jahr, als Pferdefutter und als Reserve zum Brotbacken bis zur nächsten Ernte.

Laurentius Kriechel stand nun allein da, ein Verräter und Denunziant, von der Ordensgemeinschaft gemieden. Drum bat er die französische Verwaltung, Steinfeld und den Orden verlassen zu dürfen, „weil ich meine Liebe zur Freiheit entdeckt habe ... und eine extreme Abneigung gegen Klosterleben empfinde." Seine Bitte wurde ihm am 31. Januar 1798 genehmigt.

Zivilist und Bürger Johann Matthias Kriechel ging nach Bonn, heiratete dort seine Barbara Werner, von der er sich aber vermutlich bereits nach wenigen Monaten trennte. Kriechel fristete mehr schlecht als recht sein Leben und starb am 4. Dezember 1817 in Bonn an Schwindsucht. Er war nur 54 Jahre alt geworden und soll Aussagen und Bekundungen nach, seinen Austritt aus der Steinfelder Gemeinschaft bereut haben.

Literatur und Quellen:
Dank an Pater Pater Pankratius (+ 2.9.2013), Salvatorianerkloster Steinfeld
Joester Dr. Ingrid, in: 75 Jahre Salvatorianer im Kloster Steinfeld, Festschrift 1998
Joester Dr. Ingrid: Johann Matthias bzw. Laurentius Kriechel (1763-1817) - ein Einzelschicksal in den Wirren der französischen Zeit. In: Johannes Mötsch (Hg.): Ein Eifelerfür Rheinland-Pfalz. Mainz 2003
Konrads Manfred: Die Geschichte der Herrschaft Wildenburg in der Eifel, 2001 Schulchronik Kirchweiler