„Nerother Traudchen" -die Hausiererin

Andreas Mohr, Gillenfeld

Um 1950 kam über mehrere Jahre eine Hausiererin zwei- bis dreimal im Jahr nach Gillenfeld. Sie stammte aus Neroth und sie verkaufte Gewürze aller Art. Wir nannten sie das „Nerother Traudchen". Ich war zu dieser Zeit zehn Jahre alt.

Das Haus Teuschen, heute Pulvermaarstr. 48, war ihre Anlaufstation und ihr Stammquartier. Da es damals noch sehr schwierig war, sich telefonisch anzumelden, schrieb sie eine Woche vorher eine Postkarte: „Komme nächsten Montag nach Gillenfeld." Im Hause Teuschen lebten meine Tanten und Onkel. Tant' Anna, Maria, Katharina usw. und ich. Ob die Hausiererin mit der Familie Teusch im weiteren Sinne verwandt war oder nur bekannt oder befreundet war, weiß ich nicht. Sie kam mit der Bahn nach Gillenfeld und meldete sich bei ihrer Ankunft in Gillenfeld im Teuschen-Haus an. Sodann machte sie ihre Tagestouren im Ort und auch in den umliegenden Dörfern. Sie ging von Haus zu Haus, um ihre Gewürze zu verkaufen - alles zu Fuß. Abends kam sie immer zum Abendessen ins Teuschen-Haus. Im ersten Stock hatte sie ihr Schlafzimmer. Nach dem Abendessen saßen wir dann mit ihr zusammen in der Küche und sie erzählte von ihrem Tagesablauf. Solange ich aufbleiben durfte, hörte ich ihre Geschichten mit. Das war wahnsinnig interessant. So lernte ich das Verhalten der Leute - ihrer Kundschaft kennen und ich war nicht immer angenehm überrascht. Morgens war sie dann bei uns am Kaffeetisch mit allen zusammen und „nicht allein" - das war zu der Zeit so üblich. Das Traudchen war ledig und niemandem Rechenschaft schuldig. Deshalb konnte sie ihren Verkaufsrhythmus selbst bestimmen. Sie war dann immer mehrere Tage bei uns.

Am letzten Tag morgens nach dem Kaffeetrinken bezahlte sie für Kost und Logis. Sie bezahlte aber nicht mit Geld, sondern mit Gewürzen. Meine Tanten hätten von ihr niemals Geld verlangt. Das Geld, das sie eingenommen hatte, war für ihren Lebensunterhalt und zum Einkauf der Gewürze. Aus diesem Grund war im Teuschen-Haus immer ein großer Vorrat an Gewürzen. Das „Nerother Traudchen" war für uns in diesen Tagen wie ein Familienmitglied und ich freute mich schon auf ihre nächste Hausierertour.