Visionen gemeinsam verwirklichen

Dr. Tim Becker, Daun

Acht Jahre sind nunmehr vergangen, seit Menschen im Herzen der Vulkaneifel begonnen haben, aktiv ihre Zukunft zu verändern. Allmählich, stetig und geduldig. Denn Wandel braucht Zeit. Bis Ideen und Visionen in den Köpfen und dann in den Herzen der Menschen ankommen, hat es auch rund um die Kreisstadt Daun gedauert und dauert noch an. Doch mehr und mehr werden Ergebnisse sichtbar und greifbar. Immer mehr Menschen erkennen den Sinn gemeinsamen Handelns und gestalten vor Ort aktiv mit. „Wandel erfolgreich gestalten", so lautet das Motto des ambitionierten Veränderungsprozesses, der seit 2010 erfolgt, das unter das Akronym „WEGE" kommuniziert wird und immer größere Bekanntheit erlangt. Visionsträger und charismatische Vorreiterpersönlichkeit des WEGE-Prozesses ist Verbandsgemeinde-Bürgermeister Werner Klöckner. Seine konkret gewordenen Visionen sind mittlerweile auch bundesweit gefragt. Er formulierte als einer der ersten der Region, dass es sich lohnt, in den kreativen und bodenständigen Köpfen der Menschen der insgesamt 46 Orte seines Zuständigkeitsbereiches einen Wandel zu initiieren. Und er blickte dabei über die gängigen Parteigrenzen hinaus. Wie viele ländliche Regionen der Bundesrepublik ist auch die Verbandsgemeinde Daun stark von den Herausforderungen des demografischen Wandels betroffen. Fachkräftemangel, Abwanderung von Jugendlichen und das stetige Altern der Menschen mit den Folgen ärztlicher Unterversorgung, mangelnder Mobilität und einer sinkenden Attraktivität für junge Familien sind hier ebenso Thema wie andernorts.

Die Visionen und Ziele der Rückgratorganisation „Sorgender Gemeinschaften" werden verbindlich vereinbart. © „Bürger für Bürger e.V."

Der Verein „Bürger für Bürger e.V." wird zur „Sorgenden Gemeinschaft". © Illustration: Kattia Salas

Klöckner erkannte schnell, dass anstelle des unveränderten „weiter so wie bisher" ein aktives Handeln der Menschen vor Ort erforderlich ist. Bis 2030, dem Jahr, in dem die meisten Menschen der Babyboomerjahre in Rente gehen, soll sich spürbar etwas verändern. Denn sonst ändert sich spürbar etwas in eine andere, überaus unerwünschte Richtung gemäß dem Motto: Wer sich nicht auf den Weg macht, muss nehmen, was übrig bleibt. Im Jahr 2030 werden ein Drittel der dann rund 22.000 Einwohner der Verbandsgemeinde 65 Jahre und älter sein. Viele von ihnen sind dann zudem hoch betagt. Zugleich leben dann nur noch 9 % junge Menschen unter 18 Jahren vor Ort. Und aufgrund gängiger Bildungsbiographien, die eine Abwanderung junger Menschen in die Städte zur Folge hat, leben die Kinder der älteren Menschen weiter weg, nicht selten weit außerhalb der Eifel. Familien können sich spätestens dann nicht mehr aus eigener Kraft helfen, wie es noch bis Ende des 20. Jahrhunderts möglich war. Ganze Straßenzüge mancher dörflicher Neubaugebiete der 70er und 80er Jahre überaltern. Selbst Nachbarschaftshilfe wird nicht mehr möglich dort, wo alle Nachbarn über 80 Jahre sind. Es ist also klar, wohin die Reise geht, wenn nichts gemacht wird. Und welche Perspektiven bleiben den jungen Menschen? Veränderung bedarf also des Blickes nach vorn. „Bei uns ist doch noch alles in Ordnung." - lautete ein gängiger Reflex von Gemeinderäten und Bürgermeistern zu Beginn des WEGE-Prozesses. „Doch wie lange noch?", lautete die einfache Gegenfrage. Und schnell wird klar, dass es familiäre, nachbarschaftliche und dörfliche Strukturen 2030 nicht mehr in gewohnter Weise geben wird. Ein verlässliches Netz sich gegenseitig unterstützender Menschen ist notwendig, um die demografischen und sozialen Herausforderungen zu stemmen. „Sorgende Gemeinschaften" sollen dies künftig leisten.

Gemeinsam Wirken - Die Visionen gemeinsamen Handelns

Als neueste Entwicklung im WEGE-Prozess hat sich der Verein „Bürger für Bürger e.V." erfolgreich im Förderprojekt „Engagierte Stadt" beworben und vor kurzem die Voraussetzungen für eine Weiterförderung erfüllt. In der „Engagierten Stadt" werden bundesweit 50 Städte gefördert, die sich einer Stärkung ihres Ehrenamtes widmen. Maßgeblich für eine Förderung ist zudem, dass sich die Ehrenamtsförderung vor Ort nach den Strategien des Collective Impact (Gemeinsam Wirken) ausrichten. Zudem sollen sowohl Vertreter der Kommunen, der Zivilgesellschaft sowie der Wirtschaft gleichermaßen in die Ausgestaltung der Projekte eingebunden werden. Die Besonderheit dieses Förderprojektes ist, dass es zugleich von mehreren namhaften und großen bundesdeutschen Stiftungen gemeinsam mit dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend durchgeführt wird. Zu den Förderern gehören u.a. die Bertelsmann Stiftung, die BMW Foundation Herbert Quandt, die Körber Stiftung sowie die Robert Bosch Stiftung. Der Verein „Bürger für Bürger e.V." beteiligt sich an der Ausschreibung mit dem Vorhaben, eine Rückgratorganisation für „Sorgende Gemeinschaften" in allen 46 Orten der Verbandsgemeinde Daun zu werden.

Was sind „Sorgende Gemeinschaften?"

Die Sorgende Gemeinschaft ist eine neue Form eines gemeinsamen Handelns von Bürgern, Unternehmen und Kommunalverwaltung. Ziel ist es, konkrete Aufgaben des Miteinanders dort zu übernehmen, wo familiäre und nachbarschaftliche Strukturen gegenseitige Hilfe nicht mehr in gewohnter Weise gewährleisten können. „Sorgende Gemeinschaften" sind Orte, in denen die Menschen vor Ort ein auf gegenseitige Hilfe und Unterstützung verpflichtetes Zusammenleben gestalten. Was „Sorgende Gemeinschaften" in der Praxis kommunalen Wandels bedeuten, ist bundesweit in dieser Weise noch nicht erprobt und wird durch den aktuellen Prozess sukzessive entwickelt. Gemeinsam mit verschiedenen Partnern wird der Verein „Bürger für Bürger e.V."nun zu einer Rückgratorganisation für „Sorgende Gemeinschaften" aufgebaut. Unter der Projektleitung des Vorstandsmitglieds Verbandsgemeinde-Bürgermeister Werner Klöckner und mit Unterstützung des WEGE-Büros der Verbandsgemeinde Daun, übernimmt der Verein „Bürger für Bürger e.V." die Finanzierung und Koordination des Projektes. Weitere Partner sind der Caritas-Verband Westeifel e.V., das Deutsche Rote Kreuz Kreisverband Vulkaneifel e.V., die Pfarreiengemeinschaften Daun und Gillenfeld, das Naturerlebniszentrum Vul-kaneifel (NEZ), die Jugendpflege Daun, die WEGE-Botschafter, Banken und Sparkassen, die Genossenschaft am Pulvermaar - eine „Sorgende Gemeinschaft e.G.", 16 Ortsgemeinden, Orts- und Stadtteile und nicht zuletzt Privatpersonen und Unternehmen.

Visionäre Ziele werden Realität

Ziel ist es, bis 2030 in allen 46 Orten der Verbandsgemeinde Daun die Zukunft des Zusammenlebens weiterzuentwickeln und den Aufbau „Sorgender Gemeinschaften" nachhaltig zu fördern und zu unterstützen. An die Stelle ehrenamtlichen Engagements tritt eine Gemeinschaft der gegenseitigen Selbstverpflichtung von Bürgerinnen und Bürgern. Die Lebensqualität und Lebenszufriedenheit aller Dorfbewohner soll stetig gefördert und somit vor allem auch die Bleibeorientierung jüngerer Generationen in ihrer Heimat gestärkt werden. Um diesen spannenden Weg vorzubereiten, haben sich die engagierten Projektpartner seit September 2015 in elf Workshops getroffen und verschiedene Themen der Zusammenarbeit des gemeinsamen Wirkens erarbeitet. Die beteiligten Orte leiten daraus konkrete Maßnahmen ab und setzen diese um, z.B. mit der Durchführung von Jugendforen, der Einrichtung generationenübergreifender Spielgruppen, dem Einsatz von Seniorenbeauftragten oder der Durchführung von Zukunftskonferenzen und Dorfwerkstätten.

Um die Vision der „Sorgenden Gemeinschaft" in einem Prozess zu verstetigen und die Nachhaltigkeit für die Jahre 2019 bis 2030 zu entwickeln, stehen neben der finanziellen Förderung kompetente und fachlich versierte Programmpartner aus den Förderstiftungen für Beratungen und Begleitung zur Seite. So finden bundesweite Netzwerktreffen statt oder werden Webinare (Web-Seminare) sowie Themen- und Methodenworkshops angeboten. „Bürger für Bürger e.V." führt eigene Netzwerktreffen durch und nimmt Einladungen von Partnern in Anspruch. Die Nutzung dieses großen Netzwerkes unterstützt und fördert das Projekt gleichermaßen, lässt die Beteiligten über den Tellerrand hinausschauen und macht die Arbeit bundesweit bekannt.

Gemeinsam Wirken

Die Partnerinnen und Partner der Steuerungsgruppe der Rückgratorganisation für „Sorgende Gemeinschaften" haben nach eingehender Auseinandersetzung den Prinzipien Gemeinsamen Wirkens als Grundlage ihrer Zusammenarbeit folgende Visionen und Ziele verabschiedet:

• Bis 2030 kann jeder in der Verbandsgemeinde Daun in seiner gewohnten Umgebung verbleiben, trotz Pflege- und Unterstützungsbedarf. Der Bedarf an stationären Pflegeplätzen ist gegenüber dem Status quo von 2016 im Jahr 2030 nicht größer geworden.

• Die Anzahl der Familien in der Verbandsgemeinde Daun ist 2030 gegenüber dem Status quo von 2016 gestiegen und die Fertilitätsrate liegt bei 2,1.

• Die Bereitschaft für das Bleiben und Zurückkehren der Jugendlichen und jungen Erwachsenen (15-29 Jahre) ist signifikant gestiegen. Die Zahl der „Bleibewoller" und „Rückkehrwoller" der Altersklassen vom 3. bis 13. Schuljahr hat sich im Jahr 2030 um 100 % im Vergleich zu 2016  gesteigert.

• 2030: Eine Potentialentfaltungsgemeinschaft selbständig organisierter „Sorgender Gemeinschaften" ist entstanden. Alle Orte der Verbandsgemeinde Daun sind „Sorgende Gemeinschaften" geworden.

 Wandel benötigt Zeit. Im Eifeler Dialekt sagen die Menschen gerne „Da je", was soviel heißt: „Lasst uns endlich anfangen, nun voran..."


Weitere Informationen unter:

buerger-daun.de

www.daun.de/wege


Dr. phil. Tim Becker, 45, ist Musik-, Kultur-und Sozialwissenschaftler und Mitbegründer des Instituts Denkunternehmung. Er widmet sich derzeit u.a. der Entwicklung „Sorgender Gemeinschaften" in der Vulkaneifel.