Drahtwarenfabrik Christian Oos, Gerolstein

Helmut Schäfer, Gerolstein

Eingebettet zwischen den Dolomitfelsen der Munterley und des Aubergs liegt die Blech-, Lackier- und Drahtwarenfabrik Christian Oos. Die Fabrik wurde 1882 von Christian Oos gegründet und war die erste Fabrik in Gerolstein - noch vor den Sprudelbetrieben. Der Gebäudekomplex mit Direktorenvilla umfasste circa 7000 Quadratmeter, durchquert von dem in Rohren gebändigten Peschenbach. Es war eine Spezialfabrik zur Herstellung von Haus- und Küchengeräten aus Draht und Blech sowie Lackierwaren. Man produzierte Küchendosen, Kuchenbleche und Backkasten - außerdem Gießkannen, Maulkörbe, Tortenunterlagen, Schneeschläger, Milchkannen, Mäuse- und Rattenfallen, Siebe und vieles mehr. Mausefallen wurden hauptsächlich in Heimarbeit gefertigt, vor allem in Neroth, dem für die Fertigung und Hausiererhandel landauf, landab bekannten Dorf (Mausefallenmuseum Neroth).

In seinem Stadtbuch vom Juni 1953 schreibt

Dr. Batti Dohm: „Die zweite, neben den Sprudelwerken, nicht weniger bedeutende Industrie ist die Firma Chr. Oos in der Lindenstraße. Durch sie ist Gerolstein der Zentralpunkt der ehemals auf einzelne Notstandsdörfer verteilten und aufgespaltenen Heimindustrie des Kreises Daun geworden und hat die unrentable Verzettelung zu einem Wirtschaftsfaktor gemacht, der auf dem Absatzmarkt jede Konkurrenz schlägt. Die wirtschaftliche Bedeutung dieses Betriebes für Gerolstein und den Amtsbezirk drückt sich am deutlichsten in der Summe der Löhne aus, die jährlich in dieses Gebiet fließen. 1952 betragen sie etwa 300 000 DM."

Die meisten Gebäude stammen aus den Jahren 1900 bis 1920. Im Unternehmen waren bis zu 150 Menschen beschäftigt; hinzu kamen Dutzende Heimarbeiter in Gerolstein und den umliegenden Dörfern. Als 1939 der Zweite Weltkrieg ausbrach, mussten die Arbeiter Drahteinsätze für

Rechnungsbeleg vom 5. Juli 1910

Das Fabrikgelände unterhalb der Munterley - Aufnahme 1927

Gasmasken fertigen. Weil viele Männer als Soldaten eingezogen wurden, verpflichtete die Regierung für diese Arbeiten auch Mädchen und Frauen. Nach Kriegsende fertigte man aus diesen Einsätzen für Gasmasken Topfuntersetzer. Im Winter 1944/45 wurde ein Teil des Areals als Durchgangslager für amerikanische Soldaten genutzt. Am 6. März 1945 war die Produktion eingestellt worden — ab April 1945 begann man mit vier Mann mit den Aufräumungsarbeiten. Das Gebäude hatte keine Bombentreffer erlitten, sondern es waren nur Artillerie- und Granateneinschläge zu verzeichnen. Ab August 1945 wurde die Produktion wieder aufgenommen. Die Räumlichkeiten waren sehr begrenzt und es wurde unter sehr großer Lärmbelästigung gearbeitet. Es waren fünf Arbeiter beschäftigt, zwei Personen arbeiteten in der Verwaltung zusammen mit dem Alleininhaber der Fabrik, Herrn Hauptmann. Es gab keinerlei Schwierigkeiten bei der Erteilung der Produktionserlaubnis durch die Besatzungsmächte. Zu Beginn wurde hauptsächlich nachts gearbeitet, da tagsüber nicht genügend Strom vorhanden war. Die Arbeiter durften nach Feierabend den „Maschinenpark" benutzen und konnten sich aus Dachblech („Büchsenblech") selbst etwas basteln wie z.B. Kuchenformen, Eimer oder ähnliches. Durch den Verkauf oder Tausch auf dem Schwarzmarkt verschaffte man sich einen kleinen Nebenverdienst. 1947 wurden schon 30 Arbeiter beschäftigt. Der Betrieb expandierte, Maßanfertigungen für namhafte Möbelfirmen und Küchengerätehersteller sicherten die Arbeitsplätze. 1968 umfasste die Produktpalette noch 150 verschiedene Artikel, man beschäftigte bis zu 160 Mitarbeiter. Anfang der 1990er Jahre geriet der Betrieb in wirtschaftliche Schwierigkeiten - 1999 wurde die Firma geschlossen und 2011 aus dem Handelsregister gestrichen. Im Zuge der Zwangsvollstreckung sollte das gesamte Areal am 11. Mai 2000 zu einem Angebotspreis von 1.410.000 DM versteigert werden, doch es fand sich kein Interessent. Die Drahtwarenfabrik wurde 2007 auf ihre Denkmaleigenschaft untersucht. Das Ergebnis: „Aufgrund vielfacher Veränderungen und dem weitgehenden Fehlen von technischer Ausstattung wird die Fabrik vom Landesamt für Denkmalpflege nicht als Kulturdenkmal eingestuft." Zwar hält die Denkmalpflege die Fabrik für ein „Ortsbild prägendes Gebäude mit erheblichem stadtgeschichtlichem Bezug", letztlich hat sie aber nichts gegen den Abriss einzuwenden. Das Gebäude wurde zwischenzeitlich von verschiedenen Firmen genutzt, zeitweise lagerten hier Zehntausende Altreifen und Unmengen von Elektroschrott. An einem Wochenende im September 2008 zeigten die Bildhauer, Maler und Fotografen der Gruppe „Feldkunst" in einem von einem Motorclub gemieteten Gebäude eine Ausstellung (inzwischen befindet sich die Ausstellung in der Hauptstraße 55 in Gerolstein). Als Filmkulisse dienten Teile des Gebäudes im Sommer 2017 - hier wurden Szenen des Krimis „Abgedreht" aufgenommen, dem Siegerbeitrag beim Junior-Award, dem Jugendwettbewerb des Krimifestivals Tatort Eifel.

Im Sommer 2009 kaufte die Stadt Gerolstein die Industriebrache für 45.000 Euro. Ende September 2017 stimmte der Bauausschuss der Stadt Gerolstein zu, dass sämtliche Gebäude der ehemaligen Drahtwarenfabrik abgerissen werden. Geplant ist, den Peschenbach, der durch das Areal und teilweise unter den Gebäuden hindurchfließt, zu renaturieren. Das soll im Rahmen der Aktion Blau Plus des Landes geschehen, bei dem 90 Prozent Förderung in Aussicht stehen. Auf Wunsch der Stadt soll der etwa 1,8 Kilometer lange Bach wieder in seinen ursprünglichen, natürlichen Zustand zurückversetzt werden. Die Gebäude sollen abgerissen und der Schutt fachgerecht entsorgt werden. Bei dem kontrollierten Rückbau müssen zunächst alle schadstoffhaltigen Materialien sowie alle belasteten Bauteile gesondert demontiert und entsorgt werden. Zudem muss der Boden untersucht und vermutlich teilweise entsorgt werden. Denn frühere Gutachten haben gezeigt, dass der Grund in Teilen durch die industrielle Nutzung kontaminiert ist. Anschließend soll das Areal neu erschlossen werden. Interesse von privaten Investoren ist vorhanden, doch nur, wenn die Gebäude abgerissen und der Boden frei von Schadstoffen ist. Sobald alle notwendigen Fragen geklärt sind, soll mit dem Abriss der ehemaligen Drahtwarenfabrik Christian Oos begonnen werden.

Arbeitsgeräte:

Produkte aus dem Katalog von 1968:

Mause- und Rattenfalle

Quellengaben:

Gerolstein - Schriftenreihe des Trierer Landes 1986 — Band 19 Notjahre in Gerolstein 1945 -1950 Alois Nowatschin

AG Geschichte des St. - Matthias Gymnasiums

Gerolstein in der Eifel Dr.BattiDohm 1953

Trierischer Volksfreund