Mathias Stadtfeld aus Neroth

Ein deutscher Auswanderer und seine Nachkommenschaft in Aalst (Belgien)

Marc Uyttersprot, Hofstade-Aalst

Dieser Beitrag ist Teil einer Untersuchung im Bezug auf deutsche Immigranten in Aalst in der Zeit zwischen 1850-1914. Der hier publizierte Teil konzentriert sich auf das Schicksal von Mathias Stadtfeld aus Neroth und seiner Nachkommen.

Mathias Stadtfeld wurde um 18. Oktober 1823 in Neroth geboren.1 Er war der Sohn von Joannes Stadtfeld und Louise Michels und heiratete am 8. Oktober 1849 Magdalena Klaes. Diese wurde am 26. August 1818 in Neroth geboren.2 Das Ehepaar war als Hausierer im Aalster Bezirk tätig. Ihre Tochter Maria Joanna wurde in Idegem am 15. Juni 1855 im Hause des Franciscus De Frau geboren. Das Mädchen wurde sofort nach der Geburt getauft. Franciscus war Taufpate.3 Mit Magdalena Klaes hatte Mathias zuvor noch 3 Kinder, alle geboren in Neroth: Valentin am 1. Juni 1850; Magdalena am 24. Mai 1851 gleich gestorben und Magdalena am 30. November 1852.

Nach dem Tod von Magdalena Klaes in Neroth am 25. April 1864 heiratete Mathias Magdalena (Helena) Erwetz (Ewertz, Erwets)4 in Neroth am 4. Juli 1865. Magdalena wurde in Neroth am 9. November 1842 geboren. Sie war die Tochter von Hilarius Erwetz und Anna-Maria Braconnier, beide geboren in Neroth. Sie bekamen die Zwillinge Jacob und Elisabeth. am 21. April 1866. Jacob starb 8 Tage danach, Elisabeth starb 2 Wochen später. Am 12. April 1867 wurde Anna Catharina geboren.

Mathias war bereits mit seiner ersten Frau durch Belgien gezogen. Er zog zusammen mit Magdalena Ewerts als Hausierer mit Mausefallen und als Bänkelsänger umher. Mathias war im Besitz eines Ausweises, ausgestellt in Daun am 6. Juni 1870. Zwei seiner Kinder erblickten in Belgien das Licht der Welt: Medardus wurde am 20. Mai 1870 geboren. Das Ehepaar kam auf seinen Wanderungen zum Weiler genannt Maal in Nieuwerkerken, wo Magadalena das Kind in der Wohnung von Dominicus Huylebroeck zur Welt brachte. Sie kehrten nach Neroth zurück und bekamen noch ein Kind: Constantin, geboren im Jahr 1872. Er starb am 24. April 1873.

Im Frühjahr 1874 befanden sie sich in Hillegem (Belgien, Provinz Ostflandern). Die Tochter Amelia wurde dort am 5. Mai 1874 im Hause der Kinder Schockaert in Hillegem (Belgien, Provinz Ostflandern) geboren. Das Paar kehrte nach Neroth zurück und bekam noch drei Kinder: Nicolaus geboren am 17. November 1876 und gestorben am 18. Oktober 1880; Theodor geboren in 1880 und gestorben am 10. Februar 1881 und Nicolaus geboren am 8. November 1882, er starb 1945 in Aalst (Belgien).

Sie zogen zwischen Neroth und dem angrenzenden Belgien umher bis sie endgültig ihren Geburtsort verließen. Nach dem belgischen Gesetz waren sie Landstreicher, die das Risiko liefen, von der Polizei eingesperrt und in eine Landstreicherkolonie interniert zu werden. Schließlich trafen sie am 25. September 1887 in Aalst ein, meldeten sich jedoch erst am 14. Juni 1888 bei der Gemeindebehörde an. Bei ihnen waren die 13-jährige Tochter Amelia und der 6-jährige Sohn Nikolas. Über den 18-jährigen Sohn Medardus wissen wir weiter nichts. Als Beruf gab Mathias Hausierer

und Mausfallmacher an. Warum das Ehepaar beschloss, sich zu diesem Zeitpunkt in Aalst einschreiben zu lassen, bleibt eine offene Frage. Sie hatten eine Wohnung in der Beekstraat 2, am Stadtrand.

Registrierungsformular Aalst 14. Juni 1868 -Stadtfeld Matthias ne a Nerothe 18 8er 1823.

Aalst liegt im niederländisch-sprachigen Teil Belgiens. Die Stadt gehört mit acht Teilgemeinden zur Provinz Ostflandern und befindet sich in der Mitte einer fast geraden Linie zwischen Gent und Brüssel. Aalst war ein wichtiger Industriestandort. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich eine bedeutende Textilindustrie mit vielen Arbeitsplätzen in den Flachs- und Baumwollespinnereien. Daneben gab es Tuch-und Spitzenwebereien, Strumpf- und Bandfabriken, Färbereien, Lederbetriebe, Chemiefabriken und sogar eine Kautschukfabrik. Die Korn- und Ölmühlen, Brauereien, Brennereien und in dem traditionellen Hopfenbau erlebten einen großen Aufschwung. Die Textilindustrie im 19. Jahrhundert bot Arbeitsplätze für fast die Hälfte der Bevölkerung. Es war eine turbulente Zeit mit sozialen Unruhen, finanziellen Krisen, Arbeitslosigkeit und mit dem Zurückgehen des katholischen Konservatismus, dem Aufstieg der sozialistischen Partei und dem ,Daensismus'5 in Aalst. Die Arbeitsbedingungen waren menschenunwürdig, ein soziale Absicherung wie Kranken- oder Arbeitslosenversicherung gab es nicht.

In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg kam es zum Niedergang der Textilindustrie. Die Stadtentwicklung dagegen war positiv. Es wurde ein Anfang gemacht mit einem neuen Bahnhofsviertel. Das Viertel befand sich ganz in der Nähe des Industriegebiets und mit unmittelbarem Anschluss an die Stadtmitte. Am Esplanadeplatz wurde die zweite Kirche der Stadt, die Sankt Josefskirche, gebaut. Hauptsächlich in diesem Viertel ließen sich etliche deutsche Einwanderer nieder.

Die Stadtverwaltung im 19. Jahrhundert war von der liberalen und der katholischen Partei dominiert. Bis 1922 hatte die Stadt einen katholischen Bürgermeister. Ein Gegensatz offenbarte sich einerseits zwischen klerikalen und antiklerikalen Politikern und zwischen den modernen Industriellen und den traditionellen Großgrundbesitzern andererseits. Bis heute gehört Aalst zu den wichtigsten Handelszentren in Flandern. 1880 zählte die Stadt 22.103 Einwohner. Im Jahre 2014 bewohnten 44.144 Personen die Stadt (ohne Teilgemeinden).

Vier Jahre lang verblieb Mathias im Aalster Bezirk und übte seinen Beruf aus. Am 2. Dezember 1892, wurde Mathias auf einem Feld in Schendelbeke tot aufgefunden. Eine Lokalzeitung berichtete: ,Seit undenklichen Zeiten sahen wir hier einen reisenden Kaufmann vorbeigehen, der Mause- und Rattenfallen feilbot. Am Freitagmorgen fanden Vorbeigehende den toten Mann beim Wirtshaus ,De oude bareel' (Die alte Schranke) im Dorf Idegem, wo er am Mittwoch und Donnerstag seine Waren angeboten und auch verschiedene Almosen bekommen hatte. Er suchte dann ein Unterkommen in der Mühle zu Vloersegem. Möglicherweise hat er sich krank gefühlt, ließ seinen Korb zurück und schleppte sich weiter bis an die Straße von Aalst nach Geraardsbergen, wo er starb. Ganz allein, ohne Hilfe, in dieser kalten Nacht. O, wie grausam muss es gewesen sein für einen armen alten Schlucker so zu sterben! Er war in Deutschland geboren.'

Aalst ca. 1900 Großer Markt - links: Altes Fleishaus „Börse von Amsterdam"; altes Stadthaus mit Belfried, rechts neues Stadthaus

Seine Witwe, die 50-jährige Magdalena Erwetz, heiratete wieder in Aalst am 8. November 1893, den 23-jährigen Hausierer Fredericus Van Paepegem, geboren in Hofstade am 17. Juli 1870. Wegen Diebstahls hatte er schon in jugendlichem Alter mit der Polizei zu tun gehabt. Bis zu seinem 21. Lebensjahr blieb er in der Besserungsanstalt von Namur. Fußkrank wurde er vom Heeresdienst freigestellt. In 1895 wurde er vom Gericht zu Dendermonde zur Zahlung von einem Bußgeld von 76 Franken und 5 Jahren Waffenbesitzverbot verurteilt5.

Mathias und Magdalena stammten aus Neroth. Er war Mausefallenmacher, ein typischer Beruf im Dorf Neroth. In der Eifel gab es damals kaum Industrie. Der Eisenverhüttung in der Eifel mit Holzkohle ging seit Mitte des 19. Jahrhunderts drastisch zurück. Gleichzeitig gingen die Erträge der Landwirtschaft zurück, durch Missernten, die Zerstückelung der wenigen fruchtbaren Ackerböden durch die Vererbung des Bodens an alle Nachkommen und durch Auswanderung6. Viele Bewohner suchten ihr Glück in anderen Gegenden des Reiches oder auch in Frankreich. Der Nerother Theodor Kläs brachte die Technik des Drahtflechtens aus Ost-Europa nach Neroth. In Heimarbeit wurden Mausefallen und ab 1884 auch Küchenutensilien hergestellt, was eine geringe Aufbesserung des kärglichen Einkommens der Dorfbewohner bedeutete. Im Laufe der 70-er Jahre des 20. Jahrhunderts wurde die Produktion eingestellt. Was heute noch an diese Zeit erinnert ist das bemerkenswerte Nerother Mausefallenmuseum7.

Am 18. November 1890 entschied das Polizeigericht in Oudenaarde, dass Frau Stadtfeld sich wegen ,vagebondage' (vagabundieren) 5 Monate zur „Verfügung des Gerichts" halten musste8. Frau Stadtfeld-Erwetz, ,die Deutsche Lena' genannt, wurde Anfang 1900 Opfer eines Übergriffs von zwei Trunkenbolden. Beim Verhör erklärten beide, dass sie zu Lena gekommen waren ,om er onze pijp aan te steken' (d. h. wortwörtlich ,um unsere Pfeife anzuzünden', womit gemeint ist: um einen Nachbarbesuch abzustatten). Ja, sie hatten ein Glas Bier getrunken, ,besoffen' aber konnte man das nicht bezeichnen. Ein recht gemütlicher Besuch ist doch erlaubt!? Lena erklärte, dass keiner sie unsittlich berührt hatte9.

Sie wohnte allein mit ihrem Sohn Nikolas in Aalst an die Moorselbaan 27 (1890, 1898), später am Zoutstraattor (1912). Über ihren jüngeren Mann Van Paepegem ist weiter nichts bekannt.

Nikolas Stadtfeld wurde am 9. November 1882 in Neroth geboren. Er war Analphabet, war als Akkordeonist10, Hausierer, und später als Fuhrmann tätig. Am 7. Oktober 1901 wurde er vom Gericht in Dendermonde wegen Diebstahls verurteilt. Er heiratete in Aalst am 11. Mai 1904 Maria Francisca Guns. Francisca wurde in Aalst am 14. Mai 1880 geboren; sie war die Tochter von Seraphinus Guns und Rosalia Franssaer. Gemäß dem Militärregister von 1902 erwies sich, dass Nikolas 1,735 m groß war. Am 29. April 1902 wurde er vom Militärdienst freigestellt. Das Paar wohnte in Aalst. Nikolas starb am 4. Juni 1945, Maria im Laufe desselben Jahres.

Kinder von Maria Francisca Guns, beide in Aalst geboren:

Amelia Stadtfeld stand Ende 1890 drei Monate „zur Verfügung des Gerichts", laut einer Entscheidung des Aalster Polizeigerichts. Sie verließ Aalst 1897 und heiratete am 24. November in Brügge Rudolf Ernest Becker. Er wurde am 14. Oktober 1869 in Eckamp (jetzt assoziiert mit Ratingen, Kreis Mettmann, Nordrhein-Westfalen) geboren als Sohn von Rodolphe Becker und Cecilia Gertrude Kirchen. Bei der Eheschließung war sie immer noch in der Einwohnerliste eingeschrieben. Sie erklärte nicht zu wissen, wo sich ihre Mutter damals aufhielt, weil sie mehr als 6 Monate keine Nachricht von ihr erhalten hatte. Damals war der Vater schon tot. Das Ehepaar war als Hausierer eingeschrieben, Rudolfals Schneider (1898) und als Schausteller. 1897 wohnte er in Antwerpen, 1899 in Ninove. Amelia starb am 20. Juni 1906 in Borgerhout (bei Antwerpen) und war da als Schaustellerin eingeschrieben, wohnte aber in Aalst bei ihrer Mutter. Kinder:

Die Familie wohnte in Aalst in der Gentsestraat, Bergekouter, Paddenhoek. In Nieuwerkerken

Mael.

Am 23. Februar 1910 verheiratete Rudolf Becker sich wieder in Hekelgem mit Maria Cordula Peersman (° Beveren-Waas 28-6-1890). Mit dieser Heirat wurde Maria Joanna Peersman (° Temse 13-5-1907) als ihr Kind anerkannt.

Nachwort

Mathias Stadtfeld und seine Nachkommenschaft kannten nur ein Leben voll Armut, Elend und gesellschaftlicher Ächtung. Sie lebten am Rande der Gesellschaft. Bettelnd und singend waren sie auf der Suche nach ein bisschen Lebensglück. Bei ihrem alltäglichen Kampf um etwas Geld und ums Überleben kamen sie öfters mit dem Gesetz in Konflikt. Ein Sprichwort lautet: „Wer zum Pfennig geboren wird, der kommt niemals zum Gulden (Taler)". Diese Volksweisheit ist bestimmt anwendbar auf die Familie Stadtfeld-Erwetz.

Marc UYTTERSPROT Beilage

Marc UYTTERSPROT (°Aalst 1943) hat seit vielen Jahren ein großes Interesse für Geschichte. Sein ,Opus Magnum' ist bisher die Veröffentlichung des Buches „De Rode Roos in de Vuist - Ontstaan, Groei en Ontwikkeling van de Socialistische Arbeidersbeweging in Aalst' (Mit der Roten Rose in der Faust -Entstehen, Wachstum und Entwicklung der Sozialistischen Arbeiterbewegung in Aalst) (2012). Auch hat er publiziert über die beiden Weltkriege und über die Lokalgeschichte (z.B. über den Dichterverein in Aalst, genannt ,Catharinisten'). Er ist auch Gründer und Vorsitzender des Heimatforschungsvereins ,Denderland Hofstade-Gijzegem' (Teilgemeinden der Stadt Aalst) und Mitglied von verschiedenen Vereinen für Heimatkunde und Lokalgeschichte.

Krokusstraat 1- BE 9308 Hofstade-Aalst, Belgien uyttersprot.marc @ telenet.be

Übersetzt von Wilfried VERNAEVE Ausbildung als Diplomübersetzer Deutsch und Portugiesisch. Altbibliothekar der Hochschule Sint-Lieven Aalst (jetzt: Odyssee). Beschäftigt mit der Ausgabe Aalster Stadsrechnungen und Schöffebüchern derselben Stadt. Er ist auch Mitglied von verschiedenen Vereinen für Lokalgeschichte.