„Die Toten heimholen"

Späte Folgen des Zweiten Weltkriegs in Hillesheim in ausgewählten Briefen

Christopher Scholzen, Daun-Waldkönigen

In diesem Aufsatz fasse ich die Ergebnisse meiner Facharbeit im Leistungskurs Geschichte zusammen. Darin habe ich mehrere Briefe ausgewertet, die das Landeshauptarchiv in Koblenz verwahrt. Bei der Facharbeit wurde ich von meinem Lehrer, Herrn Michael Milbert, unterstützt, und ich möchte an dieser Stelle auch Herrn Alois Mayer sowie Herrn Friedhelm Knie von der Apotheke in Hillesheim danken, die mir für meine Arbeit Fotos zur Verfügung stellten.

Über viele Jahre blieb die Eifel von direkten Kriegsereignissen weitgehend verschont. Jedoch hatte die US-Armee bereits zu einem frühen Zeitpunkt mögliche Angriffsziele in unserem Kreisgebiet definiert, zu denen auch zahlreiche nachrangige Ziele gehörten. Es wurden 13 „Communication Centers" genannt, unter anderem Daun1 und außerdem vier Ziele „of opportunities", zu denen Hillesheim und Gerolstein2 zählten. Als die deutsche Armee Mitte Dezember 1944 ihre Ardennen-Offensive begann, wurden diese Orte bedeutsam, da sie für den Nachschub der Deutschen wichtig waren. Am 23. Dezember 1944 wurde Daun bombardiert: „... um 5 Uhr früh trafen drei Bomben die alte Darscheider Straße. Dabei ließen 9 Einwohner und 4 Soldaten ihr Leben. Gegen 14 Uhr am gleichen Tag fielen sechs Bomben in den unteren Stadtteil. Sie töteten 10 Einwohner und 2 Soldaten. Etwa eine Stunde später, um 15.25 Uhr belegten mehrere Flugzeuge wieder Unterdaun bis hinauf ,Zur Schweiz' mit etwa 15 Bomben, wodurch weitere drei Einwohner zu Tode kamen."3 In Hillesheim ergab sich ein ähnliches Bild: „Dem fehlgegangenen Fliegerangriff auf Hillesheim vom 19. Dezember 1944 folgte ein zweiter Bombenangriff am 24. Dezember gegen 15 Uhr auf den Ortskern. [...] Am 26. Dezember 1944 folgte der dritte Angriff, der dem Bahnhof mit Umgebung galt, darunter die Molkerei und das Sägewerk sowie fünf Häuser."4

Den Fliegerangriff vom 24. Dezember 1944 beschrieb der Amtsbürgermeister der Stadt Hillesheim in einem Brief an die Hinterbliebene eines dabei Verstorbenen: „Hillesheim wurde infolge der seinerzeitigen Frontnähe zusammen mit anderen größeren Eifelstädt-chen von Feindfliegern bombardiert. Durch einen Angriff gegen 3 Uhr am 24. Dezember 1944, wenige Stunden vor Hl. Abend, wurde großer Schaden angerichtet [.]. Die aus den Schuttmassen Geborgenen wurden in die hiesige Volksschule, die von einer damals hier stationierten San.Kp.5 behelfsmäßig als Lazarett eingerichtet worden war, gebracht und dort behandelt und betreut. Dieser Angriff am 24. Dezember 1944 war der erste Grossangriff auf Hillesheim und es herrschte damals eine solche Bestürzung [.], dass sich die Ortsbewohner nicht mehr der einzelnen Wehrmachtsangehörigen annehmen konnten und deshalb ist es auch heute so schwierig, irgendwelche genaue[n] Einzelheiten dieser Fälle zu ermitteln."6

Bei diesem Luftangriff auf Hillesheim starben auch der Apotheker Heinz Braun7, der am 20. Februar 1894 geboren wurde, seine am 9. August 1911 geborene Ehefrau Katharina Braun, geborene Bommer, und deren gemeinsames Kind Manfred.

Im Frühjahr 1946 schrieb Heinrich Bommer,der Bruder der Verstorbenen, an den Amtsbürgermeister von Hillesheim. Er bat, die Verstorbenen zu exhumieren und dann auf den Friedhof von Bergheim/ Erft zu transportieren, wo die Leichen ihre letzte Ruhestätte finden sollten. Die Bitte wurde in der Verwaltung in Daun geprüft. Medizinalrat Reuland vom zuständigen Dauner Gesundheitsamt schrieb am 2. April 1946, er habe gegen die Exhumierung der Familie Braun keine Bedenken, da sie zum einen nicht an einer gemeingefährlichen Krankheit verstarb und zum anderen seit dem Tod „mehr als ein Jahr verflossen war".8 Alles Weitere wurde von Heinrich Bommer in die Wege geleitet. Er war der Inhaber einer seit dem Jahr 1833 bestehenden Bau- und Kunstschlosserei in Bergheim an der Erft. Einer der Vorfahren aus der Schlosserfamilie war im Jahr 1848 von dort in die USA ausgewandert. Dieser Schlosser hatte ein nach ihm benanntes Pendeltürband erfunden9. Bei dem Vorhaben, seine Verwandten nach Bergheim zu transportieren, wurde Bommer von der Ortspolizeibehörde in Remagen unterstützt. Dort hatte man offensichtlich mit derartigen Vorhaben bereits Erfahrungen gesammelt und konnte daher den Beamten in Hillesheim einen Musterentwurf eines Leichenpasses zusenden. Dieser war erforderlich, um die Toten von der französischen Zone, zu der damals Hillesheim gehörte, in die britische Zone nach Bergheim an der Erft zu überführen. Bommer hatte auch bereits einen Leichentransportwagen aus dem unweit von Bergheim gelegenen Ort Horrem besorgt. Die Hillesheimer stellten nach dem Muster einen Leichenpass aus, dann kam jedoch alles ganz anders als geplant: Bei den Vorbereitungen für den Transport hatte man übersehen, dass damals Leichenausgrabungen und Überführungen in der Zeit zwischen dem 1. April und 30. September eines jeden Jahres grundsätzlich verboten waren. So wollte man den Ausbruch von Seuchen verhindern, ein Risiko, das in der heißen Jahreszeit höher war als in den eher kühleren Monaten des Jahres.10 Es gab noch einen zweiten Grund, die Exhumierungen abzulehnen. Am 23. Dezember 1945 hatte der Regierungspräsident in Trier verfügt: „In der letzten Zeit mehren sich die Fälle, in denen von Angehörigen gefallener Soldaten Anträge auf Exhumierung und auf den Transport der Leichen in das Heimatgebiet gestellt werden. Diese Transporte der Leichen in das sehr oft weit entfernte Heimatgebiet erfordern nicht nur eine Unmenge von Betriebsstoff, sondern werden, wie das oft beobachtet werden konnte, aus Mangel an Särgen unter den primitivsten Bedingungen durchgeführt. Aus hygienischen [...] Gründen ersuche ich deshalb, zunächst für die Dauer eines Jahres künftig alle Anträge auf Exhumierung und Leichentransporte abzulehnen [.]."11 Wahrscheinlich kannte Heinrich Bommer den Inhalt dieser Verfügung, denn am 24. Januar 1947 unternahm er einen erneuten Versuch, von der französischen Militärregierung, beziehungsweise dem zuständigen Landratsamt in Daun, die notwendige Zustimmung für den Leichentransport zu erhalten.

Die „Löwen-Apotheke" in Hillesheim um 1905. © Friedhelm Knie

Die Apotheke nach dem Bombenangriff vom 24.12.1944, © Friedhelm Knie

Vom 18. Dezember 1947 ist ein Brief des Hillesheimer Amtsbürgermeisters an Heinrich Bommer erhalten. Darin steht, die Apothekerfamilie sei im Sommer des Jahres 1947 auf dem Heldenfriedhof in Hillesheim bestattet worden. Um die Gräber besonders schön zu gestalten, sei geplant, auf jedem Grab eine Marmorplatte mit einer Namensgravur anzubringen. Des Weiteren teilte der Bürgermeister mit: „Durch diese einheitliche Neuanlage der Kriegsgräber hat die Gemeinde Hillesheim große Ausgaben gehabt und ich erlaube mir höflichst, mich mit der Bitte um eine kleine Beisteuerung Ihrerseits an Sie zu wenden. Wenn ich heute mit dieser Bitte an Sie herantrete, so tue ich es in der Annahme, dass es Ihnen im Augenblick nicht so schwer fallen dürfte, einen Ihren Verhältnissen entsprechenden Geldbetrag der Gemeinde zur Verfügung zu stellen."

Der Schlosser aus Bergheim antwortete am 15. Januar 1948. Er dankte dafür, dass die Gräber so schön gestaltet wurden und noch weitere Verschönerungen geplant seien. Dennoch blieb er bei seiner Absicht, er wolle die Toten, „sobald die Zonen geöffnet sind, heimholen [...] und wir werden bei dieser Gelegenheit einen entsprechenden Betrag bei Ihnen bezahlen, damit das Andenken an unsere teueren Verstorbenen auch in Hillesheim, wo sie so gerne waren, erhalten bleibt." Über den weiteren Verlauf geben die Akten im Landeshaupt-archiv keinen Hinweis. Häufig konnte die Verwaltung den Wünschen Hinterbliebener entsprechen und somit entstandenes Leid mildern. Frau Tiemann aus dem westfälischen Oetinghausen bat in einem Schreiben vom 28. April 1948 den Amtsbürgermeister der Stadt Hillesheim um Informationen über den Tod ihres Ehemanns Alfred Tiemann.12 Dieser kam nach Aussagen des Amtsbürgermeisters durch seine bei der Bombardierung erlittenen Verletzungen ums Leben.

Frau Tiemanns Wunsch leitete der Amtsbürgermeister am 18. November 1948 an den Gärtner des Hillesheimer Friedhofs weiter: „Die Witwe des auf dem hiesigen Friedhof bestatteten Gefallenen Tiemann bittet mich mit Schreiben vom 13. November um Anfertigung eines Kranzes oder Straußes und Niederlegung an der Grabstätte am Totensonntag, den 21. November. Unter Beifügung des von ihr übersandten Geldbetrags von 5,- DM gebe ich hiermit einen Grabkranz in Auftrag und bitte um Ablieferung beim Amt bis Samstag, den 20. November 1948." In den ausgewerteten Briefen zeigt sich eindrucksvoll, welche Auswirkungen die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs auch noch auf die Zeit danach hatten, denn „mit dem Schweigen der Geschütze [war] nicht alle

Kriegsnot überwunden, aber es wurde ein Schlussstrich gezogen unter die Schrecken der Bombennächte"13. In zahlreichen Familien nahm die Trauer um die Verstorbenen einen zentralen Platz ein. Dabei war es für die Angehörigen wichtig, einen Ort zu haben, an dem die Erinnerung an den Verstorbenen gelebt werden konnte. Hieraus erklärt sich der Wunsch der Angehörigen, ihre Verwandten zu exhumieren und in die Heimat zu transportieren, dem aber die Vorschriften einer Administration entgegenstanden, für die Hygiene und Seuchenverhinderung - und damit das Wohl der Allgemeinheit - von größerer Bedeutung waren.

1 Bereits am 19. Juli 1944 wurden von etwa 15 Bombern rund 130 Bomben über der Stadt Daun abgeworfen. Ab dem Winter 1944 erhöhte sich die Dichte der Luftangriffe auf Eifel-orte aber noch einmal drastisch. Vgl.: Kreisverwaltung Daun (Hrsg.): Kriegsgeschehen und Wiederaufbau im Eifelkreis Daun 1939-1955. Daun 1956, S. 13.

2 Vgl.: WeberH., Luftangriff auf Gerolstein. Hintergründe der Zerstörungen im Winter 1944/45. In: Heimatjahrbuch Landkreis Vulkaneifel 1986, S. 204.

3 Kreisverwaltung Daun (Hrsg.): Kriegsgeschehen, S.13. Daun wurde durch die Luftangriffe zur Hälfte zerstört. Vgl.: Blum W., Wiederaufbau Landwirtschaft im (Alt-) Kreis Daun ab 1945. In: Heimatjahrbuch Landkreis Vulkaneifel 2005, S. 77.

4 Ebd.

5 Sanitätskompanie der Wehrmacht.

6 LHAKo, Best. 655, 282 VK, Nr. 127. Ein Autor nimmt an, dass ein Drittel des Ortes durch die Bombenangriffe zerstört wurde. Vgl.: Blum W., Wiederaufbau, S. 77.

7 In der Chronik der Löwen-Apotheke in Hillesheim wird erwähnt, dass seit 1935 Heinz Braun als Verwalter der Apotheke tätig war. Seit dem 1. Oktober 1939 war die Apotheke eine sogenannte Lehrapotheke, die Praktikanten ausbilden durfte. Eine seiner Praktikantinnen war ab dem 1. April 1941 seine Ehefrau. Bei dem Bombenangriff vom 24.12. starben neben der Familie Braun auch drei Angestellte der Apotheke.

8 LHAKo, Best. 655, 282 VK, Nr. 124, Todesopfer Fam. Braun, Hillesheim.

9 Dank einer eingebauten Spiralfeder sorgt das sogenannte „Bommerband" dafür, dass eine geöffnete Türvon selbst wieder in ihre geschlossene Ausgangsstellung zurückkehrt.

10 In den Nachkriegsjahren des Zweiten Weltkrieges stellten vor allem die Verbreitung von Poliomyelitis (Kinderlähmung), Typhus und Diphterie eine große Gefahr für die Bevölkerung dar. Der Ausbruch dieser Krankheiten wurde durch schlechte hygienische Verhältnisse begünstigt. Vgl. dazu: OnlineAusgabe des Deutschen Ärzteblattes vom 17. 7. 2000, unter: http://www.aerzteblatt.de/pdf/97/28/a1970.pdf.

11 LHAKo, Best. 655, 282 VK, (Verschiedene).

12 LHAKo, Best. 655, 282 VK, Nr. 127.

13 Sastges N., Vor 30 Jahren: Ende der Kriegsschrecken in der Vulkaneifel. In: Heimatjahrbuch Landkreis Vulkaneifel 1975, S. 22.