Anna Teusch - Krankenpflegerin

Andreas Mohr, Gillenfeld

Anna Teusch wurde am 15. März 1891 als drittes Kind der Eheleute Matthias Josef Teusch und Ehefrau Margarete Teusch geb. Zillgen geboren. Ihre ersten Lebensjahre bis zur Schulentlassung 1905 verbrachte sie in Gillenfeld, im Haus Teusch, damals Hauptstraße 41. Sie war eine gute Schülerin. Nach Ende der Volksschule, die damals aus 8 Klassen bestand, kam sie als Magd nach Ellscheid in den landwirtschaftlichen Betrieb Caspers. Sie hat sehr oft von diesem ersten Jahr als Magd erzählt. Es war ein sehr schweres Jahr, in dem sie trotz ihrer jungen Jahre sehr hart arbeiten musste. Wenn sie sonntags beim Kirchgang in Gillenfeld ihrem Vater von ihrem schweren Dienst berichtete, hieß es immer wieder: „Du musst das Jahr bis Lichtmess durchhalten." „Aber", so versprachen ihr die Eltern, „danach haben wir für dich eine andere Stelle gefunden." So war es dann auch, als ihr Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis ab Lichtmess verlängern wollte, besorgte ihr Vater ihr eine andere Stelle als Dienstmädchen bei der Familie Claasen in Gillenfeld. Weil ihre beiden Brüder ab 1914 im Ersten Weltkrieg waren, war sie auch zwischendurch öfter daheim bei ihrer Familie und half dort in der Landwirtschaft mit. So lebte sie dann bis 1920 - 1925 wechselseitig daheim und in einem Dienstverhältnis. Sie blieb ihr ganzes Leben ledig. Nun wohnte in der Nachbarschaft eine alte Frau, Schnellen Nies, die Krankenpflegerin für die Dörfer Gillenfeld, Winkel, Ellscheid, Saxler, Udler und Strohn war. Sie war auf längere Sicht nicht mehr in der Lage, ihren Beruf auszuüben. So hielt sie Ausschau nach einer Nachfolgerin und ihre Wahl fiel auf Anna Teusch. Auch der damalige Pastor war mit dem Vorschlag absolut einverstanden. Die jeweilige Krankenpflegerin unterstand der Caritas und damit auch der Kirche. Der Arbeitgeber aber war die Bürgermeisterei Gillenfeld, auch „das Amt" ganannt. Anna Teusch nahm den Vorschlag sofort an,

denn dieses Angebot war eine Ehre und ein Beweis dafür, dass man ihr zutraute, diese schwere Aufgabe zu erfüllen. Sie begann dann eine ordnungsgemäße Ausbildung als Landkrankenpflegerin. Aufgrund ihres schon reifen Alters nahm sie die Ausbildung sehr ernst und so waren die Ergebnisse ihrer Abschlussprüfung auch sehr zufriedenstellend. Wie lange diese Krankenpflegerinnenausbildung dauerte ist, (so im Detail) nicht mehr bekannt. Folgender Aufgabenbereich wurde ihr zugewiesen: Sie hatte die Pflicht alle Menschen in Gillenfeld und den umliegenden Ortschaften in Krankheitsangelegenheiten zu versorgen und zu beraten. Dazu gehörte der Hausbesuch bei Kranken, Kleinkindern und alten Leuten, Pflegefällen und ganz besonders die Sterbebegleitung im Haus der Kranken. Sie musste auch erste Hilfe bei Unfällen leisten. Dazu gehörte dann Verbände anlegen, Knochenbrüche schienen usw. Da ja zu dieser Zeit sich fast niemand eine Krankenversicherung leisten konnte, die größte Anzahl der Menschen war in der Landwirtschaft tätig, ging niemand zum Arzt, weil dieser privat bezahlt werden musste. Deshalb war das Wartezimmer des Hausarztes Dr. Remy war fast immer leer. Erst wenn Tant Anna (die jüngere Generation nannte sie so) zu dem Kranken sagte: „Ich kann nichts mehr für dich tun, du musst zum Arzt", ging derjenige schweren Herzens zum Doktor. Dies war aber selten der Fall. Und wenn das dann doch mal so war, sagten die Leute ganz erschrocken: (Ich hab das heute noch im Ohr) „Stell dir vor, der Pitter oder die Kätt muss zum Arzt; dann ist es aber schlimm." (Die berufsständische Landwirtschaftliche Krankenkasse trat erst am 01.10.1972 in Kraft.)

Anna Teusch hatte immer „Sprechstunde": 7 Tage in der Woche, auch sonntags und wenn es sehr dringend war, auch an Weihnachten, Ostern oder anderen Feiertagen. Einmal im Monat war nachmittags in der Volksschu-

le Mütterberatung. Zu der Mütterberatung kamen dann Anna Teusch und Frau Frieda Münch vom Gesundheitsamt Daun, eine „Seele von Mensch". Die Mütter stellten dann ihre Kleinkinder vor, diese wurden gewogen und vom anwesenden Arzt geimpft und vollständig untersucht. Dies war zu der Zeit schon eine sorgende Gemeinschaft. Dazu kamen dann auch noch die Hausbesuche bei Kranken, die zu Fuß erledigt werden mussten. Niemand hatte Telefon oder sonst eine andere Art, sich zu melden. Das ging dann folgendermaßen zu:

Die Leute kamen zu Teuschen Haus, trugen ihre Beschwerden vor oder die Krankheit eines Familienmitgliedes und baten um einen Hausbesuch von Anna Teusch. Diese Leistungen waren für alle kostenlos. Sie selbst war bei der Verbandsgemeinde angestellt, mit einem geringen Lohn. Sie war aber als Angestellte bei der BFA rentenversichert und bei der AOK krankenversichert. Besonders intensiv betreute sie Säuglinge und Kleinkinder. Bezeichnend für ihre Fürsorge für diese Kleinkinder und Säuglinge sind zwei Begebenheiten, welche hier als Beispiel genannt werden sollen: Anfang 1930 pflegte sie ein Kleinkind in Gillenfeld. Als sich der Zustand des Kindes verschlechterte, wurde der Arzt gerufen.

Nach langer Untersuchung des Arztes, im Beisein von Anna Teusch, teilte dieser den jungen Eltern mit: „Das Kind ist nicht mehr zu retten, kein Arzt kann das Kind gesund machen, der Junge stirbt; er hat eine schwere Lungenentzündung." Als der Arzt fort war, sagte Anna Teusch zu den Eltern:" Es gibt noch ein Hausmittel, ob es hilft, weiß ich nicht, aber wenn es euch recht ist, machen wir den Versuch." Die Eltern stimmten zu. Es wurde ein großer Bottich mit warmem Wasser gefüllt. Der Junge war etwa ein Jahr alt und zu diesem Zeitpunkt wegen des hohen Fiebers mehr oder weniger ohne Bewusstsein. Die Eltern stellten das Kleinkind in den Bottich mit warmem Wasser und hielten ihn an beiden Armen fest. Tant Anna goss dann nach und nach sehr vorsichtig kaltes Wasser in den Bottich, so wie es für das Kleinkind erträglich war. Auf einmal bewegte das Kind seine Arme und kam wieder zu sich. Dann

sagte Tant Anna, die Krankenpflegerin, zu den Eltern: „Legt mal einen kleinen Spielball in das Wasser. „Nach einem kurzen Moment griff der Kleine nach dem Ball und er wurde immer lebhafter. Nach einer Weile sagte Tant Anna zu den Eltern: „Danket Gott eurem Herrn, der Junge ist über den Berg, er stirbt nicht." Der Junge lebt heute noch. Der Vater des Jungen hat mir später die Geschichte genauso erzählt, mit der Bemerkung: Anna Teusch hat unserem Jungen das Leben gerettet.

Ein anderer Fall mit einem Säugling hat sich folgendermaßen zugetragen: Ein Kind (ca. 1940/41) hatte eine starke Mundfäulnis. Dies war früher sehr häufig der Fall. Anna Teusch kam zu dem Kind und fragte die Mutter: „Was hast du denn schon angewendet bei dem Kind?" Die Mutter antwortete: „Eine Behandlung mit Rosenhonig und vieles mehr, aber nichts hat geholfen."

Anna Teusch sagte dann zu der Mutter: „Es gibt noch ein Hausmittel, dies ist aber sehr radikal. Aber aus Erfahrung weiß ich, dass es hilft. Wenn du zustimmst und das anwenden willst, dann machen wir den Versuch." Sie erklärte der Mutter, was sie tun sollte: „Wenn du morgens das Kind frisch machst und die Stoffwindel ist nur nass vom Urin, dann wische mit dieser nassen Windel den ganzen Mund aus; das tut dem Kind im Moment sehr weh, aber es hilft."

Die Mutter hat die schaurige Maßnahme durchgeführt und als die Krankenpflegerin nach ein paar Tagen wieder nach dem Kind schaute, war die Mundfäulnis schon fast verheilt. Viele solcher Kinderkrankheiten wurden ohne Arzt geheilt. Eines Tages wurde sie zu einem sehr kranken Kleinkind gerufen. Als sie ins Haus kam, sagte die Mutter: „Anna, als du die Tür hereinkamst, ging es dem Kind schon besser." Dieses Phänomen gab es sehr häufig. Da ich ja ab Herbst 1943 als Dreijähriger im Teuschen Haus war, habe ich noch manches in Erinnerung. Es kamen Menschen zu Tant Anna und schilderten ihre Beschwerden, oft ganz apathisch und niedergeschlagen. Tant Anna fragte dann immer: „Kannst du essen und trinken und kannst du schlafen?" Wenn die Leute dann mit ja antworteten, beruhigte sie den Kranken: „Deine Krankheit ist

nicht so schlimm wie du meinst." Sie verordnete dann ein Hausmittel oder sagte: „Fahre nach Manderscheid zum Apotheker Boll und sage ihm, dass ich dich geschickt habe; er weiß mehr als mancher Arzt und verkauft dir dann ein rezeptfreies Mittel ohne ein Honorar zu berechnen."

Eines Tages - so um das Jahr 1940 - pflegte sie einen schwerkranken Mann, Mitte 40 mit einer Lungenentzündung. Da sich sein Zustand verschlechterte, wurde der Arzt gerufen. Tant Anna saß am Krankenbett und der neue junge Arzt Dr. Remy machte die Zimmertür halb auf und sagte: „Ich sehe schon, ich brauche den Patienten nicht mehr zu behandeln, er ist ja schon fast am Sterben." Aber Tante Anna belehrte ihn: „Nein, nein, er hat eine gute Kondition und ein sehr starkes Herz, sie müssen ihn unbedingt ärztlich versorgen." Dr. Remy behandelte den Mann und er wurde gesund und erreichte ein hohes Alter. Von der Nazizeit hat sie oft erzählt: Sie selbst und ihre Familie waren keine Nazis. Sie tat ihren Dienst als Krankenpflegerin und Caritasschwester, obwohl ab 1940/41 eine „braune Schwester" dem Amtsbezirk Gillenfeld zugewiesen wurde. Fast alle Leute im Dorf und der umliegenden Dörfer blieben bei ihr in Behandlung. Eines Tages im Jahr 1940, so hat sie öfter erzählt, bekam sie den Auftrag, eine Frau aus den umliegenden Dörfern, welche körperlich und geistig behindert war, nach Trier „zur Kur" zu bringen. Kurze Zeit später bekamen die Angehörigen die Mitteilung vom Tode der behinderten Person - akutes Herzversagen. Tant Anna wurde stutzig: Die Frau war nicht herzkrank gewesen! Das war kein natürlicher Tod! Sie forschte in ihrem Umfeld nach und kam zu der Erkenntnis: Hier wurde das Euthanasiegesetz angewandt. Die Frau war ermordet worden. Von da an hat sie nie wieder jemanden aus dieser Personengruppe weggebracht. Als Entschuldigung führte sie Arbeitsüberlastung an und sie erhielt keinerlei weitere Aufträge dieser Art. Als Dr. Remy nach Gillenfeld kam, forderte er sie auf, ihm alle behinderten Personen aus Gillenfeld und den umliegenden Dörfern zu nennen. Sie argumentierte dann offensichtlich sehr glaubhaft, in der Eifel gäbe es im Allgemeinen keine vor

allem geistig Behinderte. In der Moselregion gäbe es häufiger Fälle. So musste sie keine weiteren Menschen melden. Noch eine Begebenheit hat sie oft erzählt: Auf dem Gelände der späteren Schuhfabrik Otterbeck war damals ein großes Reichsarbeitsdienstlager, mit sehr vielen jungen Burschen aus dem ganzen Reich. Sie bekam den Auftrag, in dem Lager Sanitätsunterricht zu erteilen. Sie machte das sehr gerne. Der Unterricht dauerte vormittags bis kurz vor 12.00 Uhr. Der Klassenälteste oder Klassensprecher merkte schnell, dass sie Sympathien für die jungen Männern hegte und er hatte eine Bitte an Tant Anna:"Wenn der Unterricht kurz vor 12.00 Uhr endet, müssen wir alle noch vor dem Mittagessen runter zum Pulvermaar laufen und dann im Laufschritt den Freudenberg raufrennen. Dies ist sehr mühsam. Wenn Sie uns den Gefallen tun und den Sanitätsunterricht bis 12.00 Uhr dauern lassen, können wir sofort zum Mittagessen ohne diesen anstrengenden Lauf zum Pulvermaar und zurück." Tant Anna stimmte sofort zu. Kurz vor 12.00 Uhr ging die Tür auf, der Vorgesetzte schaute in den Unterrichtsraum: „Fräulein Teusch, Sie müssen den Unterricht sofort beenden wegen Mittagssport." Nun sagte Anna Teusch sehr energisch: „Wir haben den Lehrstoff von heute noch nicht vollständig durchgenommen, es dauert noch eine Weile." Dann war es 12.00 Uhr und die Jungen konnten sofort zum Mittagessen gehen. Wenn sie später davon erzählte, hat sie sich im Nachhinein außerordentlich gefreut, dass ihr dieser Trick zum Wohle der jungen Männer gelungen war.

Eine Begebenheit möchte ich noch erwähnen. Wenn Leute mit besonderen Beschwerden kamen, heute würde man diese Beschwerden in den Bereich der Urologie einstufen, gab sie folgende Anweisung: Bring mir morgens früh den frischen Urin. Sie ging dann allein in ein Nebenzimmer, machte einen Spirituskocher an und hielt ein Reagenzgläschen mit dem Urin über die Flamme. Sie hatte dann nach ein paar Minuten ein Ergebnis und wusste so ziemlich sicher, was dem Kranken fehlte. Sie sprach dann von normalem Eiweißgehalt oder einem erhöhten Eiweißgehalt, was auf eine Krankheit hindeutete. Wenn es irgendwie möglich war,

ging ich als kleiner Junge mit ihr in das Nebenzimmer. Sie hatte das nicht so gerne, ließ es aber zu, da ich sehr interessiert war. Ich habe heute noch den Geruch des Spirituskochers und die anderen Gerüche in Erinnerung. Eines Tage etwa Anfang 1970 kam ein Schreiben der Kreisverwaltung Daun. Sie war von der Kreisverwaltung vorgeschlagen worden, vom Sozialminister einen Verdienstorden für besondere soziale Leistung verliehen zu bekommen. Anfangs wollte sie ihn nicht annehmen, aber wir konnten sie doch umstimmen. Dann kam der Fahrer des Landrates mit dem

Dienstwagen und fuhr mit Tant Anna nach Mainz, meine Frau Irene Mohr begleitete sie. Sie bekam vom damaligen Sozialminister Heiner Geißler einen Orden und eine Urkunde für ihre Verdienste überreicht. Als sie älter wurde hatte nur einen Wunsch, sie wollte kein Pflegefall werden. Körperlich baute sie mit zunehmendem Alter ab, aber geistig blieb sie fit und hatte auch bis zum Ende ihres Lebens keinerlei Anzeichen von Demenz. Sie starb dann mit 87 Jahren plötzlich und unerwartet. Die Anteilnahme anlässlich ihres Todes war sehr groß.