Zeitreise

Margret Heinzen, Feusdorf

Neulich fuhr ich mit dem Auto durch ein kleines Eifeldörfchen. Mitten im Ort ein hübscher, kleiner Dorfplatz, auf der einen Seite ein Fachwerkhäuschen mit Blumenkästen auf den Fenstersimsen und kleine Dekokränzchen an jedem Fensterladen. Auf der anderen Seite ein paar uralte Buchen vor einer mit Moos bewachsenen Mauer, die ein weitläufiges Grundstück mit einem historischen Gemäuer umfriedet. Unter den Bäumen, zum Verweilen einladend gestaltet, ein kleiner gepflasterter Platz mit zwei Bänken, einem Tisch und einem mit bunten Blumen bepflanzten alten Pflug. In direkter Nachbarschaft zu diesem Idyll stand etwas, was ich seit Jahren nicht mehr gesehen hatte: Eine Telefonzelle! Nicht so ein komisch silberfarbener Pfosten mit ein bisschen mangentafarbener Schrift dran, nein, eine richtige Telefonzelle: Gelb, groß und klobig. Eine, wo man, dank einer dicht schließenden Schwenktür, sogar recht lärmisoliert am Rande einer viel befahrenen Straße telefonieren konnte. Und das auch noch im Trockenen. Sofort stieg mir der typische Duft von Telefonbuch-Papier, kaltem Zigarettenrauch und von im Rahmen unzähliger Telefonate verbrauchter Luft in die Nase. Interessant, dass man

tatsächlich ein solches „Geruchsgedächtnis" hat, ist es doch bestimmt 30 Jahre her, dass ich zuletzt in einer Telefonzelle gestanden habe... Heute findet man diese Häuschen allenfalls noch zweckentfremdet und meistens andersfarbig gestrichen als Mini-Bushaltestelle für Schulkinder, die von entlegenen Gehöften an der nächsten Hauptstraße auf den Schulbus warten müssen, oder als Kassenhäuschen, wenn ein findiger Landwirt seinen Acker mit Blumen zum selber schneiden bestückt hat. In Zeiten, in denen nahezu jeder ein Smartphone in der Tasche hat, sind die unübersehbaren gelben Telefonhäuschen ganz heimlich, still und leise aus den Ortsbildern verschwunden. Neulich beim Stöbern in „Du Röhre", äh, Verzeihung, bei YouTube, stieß ich auf einen uralten Sketch mit Dieter Hallervorden. Es ging um ein Verkaufsgespräch bezüglich eines Telefontarifs, ein Angebot, mit dem er zukünftig billiger telefonieren könnte. Man bot ihm Tarife an, mit denen er des Nächtens sehr, sehr günstig in die Karibik würde telefonieren können. Dumm nur, dass sein am weitesten entfernter potentieller Gesprächspartner die Großtante in Wanne-Eickel war... Tja, dieses weite Feld der Telefontarife war früher irgendwie schon bes-

ser, weil ganz einfach übersichtlicher. Vor einiger Zeit haben mein Bruder und ich unserer Mama zum 75. Geburtstag ein Smart-phone geschenkt. Ein gewagtes Unterfangen, hatte sie doch in ihrem Leben bis dato keinerlei Berührungspunkte mit Computer oder Internet und dementsprechend auch einen, ähm, sagen wir historischen Telefontarif. Die monatliche Grundgebühr war bei ihr das Teuerste, nicht die verbrauchten Einheiten. Als Sparfuchs dieser Generation hing neben dem Telefon ein aus der Tageszeitung ausgeschnittener Zettel mit ,Billig-Vorwahlen'. Mit Hilfe deren Verwendung vor der eigentlichen Rufnummer ließen sich die Kosten für das jeweilige Telefonat recht ordentlich reduzieren. Äußerst schlechte Voraussetzungen für unser hehres Vorhaben - denn erklären SIE mal einer solchen Minimal-Verbraucherin, dass ein Handy heutzutage nicht nur telefonieren kann und wie die Zusammenhänge zwischen telefonieren, Internetnutzung und Smartphone sind... Ich selbst bin ein Kind der 70er und habe ergo meine Jugend auch zu einem guten Teil Anfang der 80er verbracht. Damals gab es noch so was wie Ortsgespräche und Ferngespräche. Das kennt heute keine Sau mehr, war aber, besonders am Wochenende, allgegenwärtiger und bevorzugter Diskussionsstoff, besonders mit den Eltern. Als ich Teenager war, hatte unser Telefon immerhin schon Tasten und war dunkelgrün. Es hatte sogar eine Schnur in komfortabler Länge, die, wenn auch nur knapp, vom Wohnzimmer bis zur Küche reichte. So konnte man wenigstens ein bisschen ungestört telefonieren. Die Betonung liegt hier jedoch ganz klar auf „ein bisschen"! Schließlich hatte man nicht nur diskussionsfreudige Eltern, sondern womöglich auch noch Geschwister. Jeder, der welche hat, weiß, in diesem Alter sind Geschwister nur eines, nämlich nervig! Liebe Teenager, ich verspreche euch, mit zunehmendem Alter wird das besser - haltet durch!! Immerhin hatte unser „Dunkelgrün mit Tasten" das Modell meiner ganz frühen Kindheit „Einheitsgrau mit Wählscheibe" abgelöst. Diese Wählscheibe erstickte bauartbedingt jegliche Chance bei Telefongewinnspielen im Keim. Jedenfalls, wenn es auf die Schnelligkeit des Anrufers ankam. Musste man doch

nach jeder gedrehten Ziffer warten, bis sich die Wählscheibe unter einem geräuschvollen „Krrrr" wieder in die Ausgangsposition gebracht hatte. Tja, und wenn dann auch noch eine süddeutsche Vorwahl mit 089-irgendwas zu wählen war, dann konnte man eigentlich gleich einpacken. Wenigstens musste sich bei von vorne herein solch widrigen Umständen bei uns zu Hause niemand Hoffnungen auf die großen Gewinne machen. Und wenn tatsächlich doch einmal jemand bei einem Gewinnspiel mitgemacht hatte, dann mittels Schreiben einer guten, alten Postkarte. Das Gefühl, sich dann ein gefühltes halbes Jahr später wie Bolle über einen Hauptgewinn namens Stereoanlage zu freuen, gab's vollkommen gratis oben drauf. Dass der Briefträger diesen Gewinn um ein Haar wieder mitgenommen hätte (Ich haan neijst bestallt!) ist wohl nur einer gewissen Überzeugungsarbeit zu verdanken und bleibt hier jetzt einfach besser mal unerwähnt! Manchmal frage ich mich, was wohl der gute Alexander Graham Bell heute sagen würde, wenn er Leute mit kleinen ans Handgelenk geschnallten Kästchen namens Smartwatch reden hören würde...? Ob er wohl noch eine Verbindung zu seiner bahnbrechenden Erfindung, Sprache mit Hilfe des elektrischen Stroms in die Ferne zu transportieren, sehen würde.? Vermutlich würde er die Menschheit aber schlicht und einfach nur für verrückt erklären!