Eifeler Dialekt - mein Schalkenmehrener Wörterbuch

Edmund Münch, Schalkenmehren

Als Kinder fanden meine Geschwister und ich manche Worte lustig, die wir täglich von den Eltern und der Großmutter hörten. Für uns hatten sie eine humorvolle Note und einen merkwürdigen Klang, obwohl wir in einem rein Platt sprechenden Elternhaus und Umfeld aufwuchsen. Und je mehr wir dann in Schule und Gymnasium mit Hochdeutsch in

Berührung kamen, desto ulkiger empfanden wir manchen plattdeutschen Begriff, so dass ich mir ein kleines Heftchen anlegte, in dem wir gelegentlich vereinzelte Ausdrücke festhielten. Die Sammlung blieb aber sehr klein und geriet irgendwann ganz in Vergessenheit. Erst ca. 4 Jahrzehnte später, als auch in den unterschiedlichsten Medien über den mög-

liehen Untergang des „Platt" spekuliert wurde, kramte ich das Heftchen hervor und beschloss, die Sammlung wieder aufzunehmen, allerdings in Gestalt einer Tabelle auf dem Computer. Ich benutzte bereits damals ein Telefon, in dem man handschriftliche Notizen speichern konnte, und jeweils sonntags vormittags übertrug ich die Ausbeute der vorherigen Woche dann in den PC. Zunächst kamen die Worte und Ausdrücke haufenweise zusammen und ich war mir sicher, dass ich gewiss bis zu 500 Begriffe würde erfassen können. Recht schnell ging es aber über die 500 hinaus, da mir auch selbst bei der Beschäftigung mit den Begriffen ständig neue einfielen. So kam ich auf den Trick, mir eine Aufgabenstellung oder die Abwicklung einer Tätigkeit vorzustellen und diese in kleinen Schritten gedanklich durchzugehen, wobei ein Wort das andere ergab und die Sammlung schnell wuchs. Ich baute meine Tabellen aus und konnte die Worte nicht nur zählen, sondern auch vielfältig sortieren. So legte ich Sortierkriterien an für landwirtschaftliche, häusliche, kirchliche, berufliche Begriffe etc., u.a. auch für Schimpfworte, deren Zahl auffällig hoch war. Obwohl ich beruflich beinahe durchgehend hochdeutsch sprechen musste, gab es doch lange Phasen, in denen ich tage- oder wochenlang fast nur mit Platt sprechenden Menschen zu tun hatte. In meiner 10-jährigen Tätigkeit im Außendienst bereiste ich die gesamte Eifel sowie das angrenzende Saarland, Rheinland - Pfalz und Nordrhein - Westfalen sowie Luxemburg....

Während der Außendiensttätigkeit gab es viel zu lachen, denn meine Kunden kamen aus Handwerksberufen, und beinahe überall hatte ich - fließend plattsprechend - leichtes Spiel, um mit den Kunden ins Geschäft zu kommen. Mancherorts gab man mir auch Spitznamen, wie z.B. „Loo huhnen", was man in Neuerburg „Lu hannen" aussprechen würde.... Mein Ziel war es immer, keine wissenschaftlichen Forschungen über die Sprache anzugestellen, sondern nur das mir erinnerliche Schalkenmehrener Vokabular aus früher Kindheit bis heute zusammenzutragen und zu sortieren. Meine Gespräche mit hunderten von Menschen aus fast 50 Jahren Tätigkeit auf

Baustellen, mein eigenes Erinnern an die Kinderzeit auf dem Bauernhof der Großeltern, der Austausch mit plattsprechenden Verwandten sowie ein Platt sprechendes Elternhaus und die Tatsache, dass ich seit 1955 in Schalkenmehren wohnhaft bin, haben bei mir in der Summe ein sehr vielfältiges Bild des „Platt" hinterlassen. In zurückliegenden Zeiten, als das Leben auf dem Land von harter Arbeit, Armut, Schicksalsschlägen und Entbehrungen gezeichnet und die Landbevölkerung beinahe kritiklos der Kirche untergeben war, hatte die Sprache eine völlig andere Bedeutung als heute.... Die Mitmenschen wurden relativ rigoros nach ihrer Verwendbarkeit in der Landwirtschaft oder im Handwerk sortiert, und jegliches kleine Defizit, sei es körperlich oder geistig, wurde mit feinst abgestimmten Begriffen umrissen und definiert und hörte man auch nur ein bestimmtes Wort, wusste gleich jeder, was bei dem oder der anderen „nicht stimmte". Es muss dieser „Defekte" viele gegeben haben, denn anders ist die auffallend große Zahl an Schimpfworten und Schmähbegriffen nicht zu erklären. Es fällt auf, dass jegliches noch so kleine Abweichen von der Norm mit einem eigenen Begriff erfasst wird. Was das landwirtschaftliche Equipment angeht, öffnete sich mir ein wahres Füllhorn von Begrifflichkeiten, mit welchen jeder noch so kleine Gegenstand und jedes winzige Hilfsmittelchen exakt bezeichnet und definiert werden konnte. Dies mag der Tatsache geschuldet sein, dass die Landwirtschaft der Lebensinhalt war, der Broterwerb. Und während man tagelang hinter dem Pflug ging, mit der Saat über die Felder schritt, mit der Sense Gras und Getreide schnitt, hatte man alle Zeit der Welt, über Alles und Jenes nachzudenken und sich durch intensives gedankliches Befassen eine Meinung zu bilden. Die Menschen jener Zeit beherrschten etwas, was wir heute vielfach nicht mehr können, ich nenne es immer „verstehen durch Betrachten".

Kommt man in andere Dörfer, fällt auf, dass dort anders gesprochen wird. Trifft man irgendwo jemanden mit bestimmter Aussprache, weiß man, der kommt aus dem oder dem Dorf. Heute neigen wir dazu, den Dialekt der Dörfer als statisch zu betrachten. Damit meine ich,

dass Wortschatz, Begriffe und Aussprache beinahe unverändert über lange Zeit bestehen bleiben. Meine Sammeltätigkeit lässt mich aber an dieser These zweifeln. Abschließend möchte ich meine wachsende Bewunderung für das „Eifeler Platt" zum Ausdruck bringen, die natürlich ebenfalls für Norddeutsch, Hessisch, Saarländisch oder Oberbayrisch gilt. So machtvoll, facettenreich und wortgewaltig die deutsche Sprache im Hochdeutschen auch sein mag, so findet sie doch in den noch gesprochenen Dialekten, also auch unserem Platt, eine gewisse einfache Vollendung. Das Platt ermöglicht es einem Menschen, der nicht besonders sprachgewandt ist, eine Sache detailliert auszudrücken und diese zusätzlich mit einer fein abgestimmten unterschwelligen Bewertung oder Botschaft zu versehen. Menschen können rasch umfassend beurteilt und beschrieben werden, und Arbeitsabläufe, die an sich komplex sind, werden mit wenigen Worten in Gang gesetzt und vollständig erklärt. Leider sind die Anwendungsgebiete für das Platt großflächig abhanden gekommen und die Wortschätze nur noch in Ansätzen

oder gar nicht mehr vorhanden, was eine Reanimation der Sprache extrem erschwert, dies umso mehr, als Platt in manchen Elternhäusern bewusst unterdrückt wurde und wird, da man diese Überbleibsel einstiger landwirtschaftlicher Existenz verdrängen möchte. Ich bin überzeugt, dass man mit Platt aufwachsen muss, um Platt sprechen zu können. Man kann nicht mit 15 anfangen, Platt zu lernen wie man Englisch oder Französisch lernt. Der Klang, die Farben der Worte, die Betonung und andere Akzentuierung sind sehr diffizil, und erst wenn man versucht Platt im Computer zu schreiben, z.B. mit Lautschrift, wird einem klar, was da alles drin steckt. Leider steht zu befürchten, dass das Platt auf lange Sicht auch auf dem Lande verschwinden wird wie der Ochse vor dem Pflug. Es mag bei der Jugend Bemühungen geben, es nicht ganz verloren gehen zu lassen, aber diese Anstrengungen werden m.E. nur fruchten, solange es in den Elternhäusern noch Eltern und Großeltern gibt, die ganz selbstverständlich platt sprechen und die Klangfarbe dieser schönen Sprache an die Jugend weitergeben können.