das Gedicht nicht genügend gelernt? Auf den krampfhaft nachdenkenden Peter starrte nun die ganze Klasse.

Da wollte ihm der Lehrer wieder auf die Sprünge helfen und sagte ihm den Strophenanfang vor: „Da galt's..." Jetzt wusste Peter auch wieder weiter: Er schien den Faden wieder aufgenommen zu haben, seine Gesichtszüge entspannten sich und plötzlich sprudelte es wie aus der Pistole geschossen aus ihm hervor: „Da galt's die Kinder zu ernähren; sie fraß sie auf mit Haut und Haar!"

Es kann sich wohl jeder vorstellen, was nun in der Klasse los war. Alle Schüler brachen in schallendes Gelächter aus. Selbst der Lehrer, der sonst so streng war, konnte sich ein Lachen kaum mehr verkneifen. Ein Vorteil hatte die ganze Angelegenheit für Peter: Der Schüler brauchte das Gedicht nicht mehr weiter aufzusagen und durfte sich wieder an seinen Platz setzen. Schmunzelnd meinte der Lehrer dazu: „Naja, dann hat die Waschfrau jetzt eine Sorge weniger. Von ihren Kindern hat sie sich dann ja wohl getrennt."

Einschulung 1939

Marianne Schönberg, Lissendorf

Damals lebte ich mit meinen Eltern in Sachsen, genauer gesagt in Dresden, eine Stadt, die man wegen ihrer besonders schönen Bauwerke „Elbflorenz" nennt.

Es war in der Osterzeit des Jahres 1939, als unsere Klasse eingeschult wurde. Es gab verschiedene Mädchengruppen und jede durfte sich einen Lehrer aussuchen. Vier recht junge Lehrerkandidaten gab es und einen älteren mit weißem Haar. Unsere Gruppe kam als letzte zur Wahl: Die jungen Männer waren alle leider schon vergeben. Uns blieb der „ALTE"! Schlimm für uns! Freundlich stellte er sich vor: „Benno Kläß, verheiratet, zwei Töchter haben wir, aber die sind schon ein wenig älter als ihr, gehen in die Oberschule (= Gymnasium)." „Opa Kläß" nannten wir ihn heimlich, offiziell sprachen wir ihn mit „Papa" an. Genau das war er für uns: „Vaterersatz", denn unsere Väter waren damals alle im Krieg. Im Unterricht ergaben sich schon beim ABC die ersten Probleme. Den zweiten Buchstaben nannte er „weiches B", das P im Alphabet war „hardes B" - so spricht man in Sachsen mundartlich. Im Unterricht erzählte er uns oft aus dem Neuen Testament und erklärte uns die Geschichten um Jesus. Das war zwar offiziell verboten, doch er tat es trotzdem. Uns Kindern tat das gut, denn zuhause gab es auch keine religiösen Informationen - das „gehörte" sich damals nicht. Einmal schrieben wir im Unterricht ein

Diktat. Darin kam das Wort Paula vor. Papa Kläß ging durch die Reihen, ermahnte uns zum Nachdenken und meinte: „Kinder denkt dran, Baula schreibt mer mit harden B, nich' mit'm weichen!"

An noch etwas Ungutes aus meiner Schulzeit erinnere ich mich. Durch unsere Straßen liefen oft dunkel gekleidete Menschen mit einem großen gelben Stern auf dem Mantel. Auch ein Kind aus unserer Klasse trug so was. Irgendwann kam sie nicht mehr zum Unterricht. Meine Eltern beantworteten die Frage, wo es denn geblieben sei, damals nicht. Papa Kläß hatte uns lieb, das haben wir oft gespürt. Nur selten haben wir danke gesagt und dann war es mit einem Tag auch dafür zu spät. In der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 brannte unsere Stadt. Es war einer der schlimmsten Luftangriffe der Alliierten vor Kriegsende. Sie brannte tagelang. Auch unser lieber Lehrer kam mit seiner Familie in den Flammen um. In unsrer Klasse waren wir etwa 30 Mädchen. Nur vier von uns haben das Inferno überlebt. Zum Glück war ich mit meinen Eltern in eine Wohnung im Dresdner Vorort Löbtau gezogen. Nur deshalb haben wir die Bombennacht im Februar 1945 überlebt. Der Himmel über der Stadt war tagelang blutrot. Ich fragte meine Mutter, ob sie meine, dass er je wieder blau würde? Sie sagte nur „ja" - das tröstete mich!