Mein erster Schultag

Brigitta Westhäusler, Hillesheim

Wer jetzt glaubt, eine Geschichte von einem „i-Dötzchen", wie man die Kinder des 1. Schuljahres oft nannte, zu hören, der irrt. Ich möchte einmal aus der umgekehrten Perspektive erzählen. Gehen wir zurück in das Jahr 1968. Es gab nicht nur Studentenunruhen, es herrschte auch allenthalben Lehrermangel.

Deshalb gab es für einige mutige Studenten der Pädagogischen Hochschule Trier die Möglichkeit, ihr Examen schon ein Semester früher abzulegen. Ich gehörte dazu, weil ich es nicht abwarten konnte, in meinem Lieblingsberuf anzufangen.

Ich war 22 Jahre alt. Am 18. November war es soweit. Ich hatte in einem kleinen Hotel übernachtet, denn die Berufung kam schnell, ohne dass ich vorher hätte viel organisieren können. Ich hatte auch noch keinen Führerschein, und meine Tante hatte mich in meinen ersten Dienstort gebracht. Die Lehrerin, die ich ersetzen sollte, war schon älter, und sie wollte gleich zurück nach Trier, wohin sie ihre Versetzung beantragt hatte. Sie wohnte im selben Hotel wie ich. Am Morgen des 18. November begleitete ich sie. Sie hatte ein 1. Schuljahr. Die Kinder hatten also seit Sommer die ersten Grundkenntnisse im Schreiben, Lesen und Rechnen. Während ich gegen meine Aufregung anzukämpfen versuchte, schaute sie in die Luft und meinte: „Na, was machen wir heute? Es ist Nebel. Prima, das ist ein schönes Thema." „War das die ganze Unterrichtsvorbereitung?", ging es mir durch den Kopf. „Sie wird bestimmt Unterlagen haben", aber dabei sah ich nur eine kleine Handtasche!

Dann kamen wir auf den Schulhof, auf dem sich die Kinder erst einmal zwei und zwei aufstellen mussten. Und bevor sie in das Gebäude gehen durften, mussten sie ganz still werden. Kein Wort durfte gesprochen werden! (Man vergleiche das mit heute!)

Es war ein altes Schulhaus, und der Klassenraum sah noch aus wie in den Fünfzigern, als ich selbst noch Schülerin war, und er roch auch

noch so. Aber es waren Blumenkästen auf den Fensterbänken und viele bunte Bilder an den Wänden. Ich fühlte mich gleich heimisch. Die Kinder standen auf, und es wurde zuerst gebetet. Dann grüßte man, und dann wurde ich als die Neue vorgestellt. Jetzt fiel mir doch mein Herz auf den Hosenboden. Mindestens 50 Augenpaare waren auf mich gerichtet, starrten, musterten mich kritisch, blickten ängstlich oder erwartungsvoll. Sicher, einige Jungen grinsten auch. Einen Augenblick lang dachte ich: „Du kannst das nicht. Am besten gehst Du gleich wieder!" Aber da fiel mir zum Glück ein Witz ein, den ich ein bisschen ausschmückte und spannend erzählte. Wie dann die Kinder lachten, fiel mir ein Stein vom Herzen, und ich hatte gewonnen.

Meine Vorgängerin hielt dann ihre „Nebelstunde" ab, bei der ich Zuschauerin war. Sie formulierte ein paar einfache Sätze wie: Der Nebel ist ein Zauberer. Er verzaubert die Häuser. Er verzaubert die Bäume. Er verzaubert den Wald. Diese Sätze wurden in Schönschrift an die Tafel geschrieben und mussten von den Kindern auf ihre Tafeln übertragen werden! Ja, die Schülerinnen des ersten Schuljahres hatten alle noch eine Schiefertafel und Griffel und Schwämmchen! Ich ging währenddessen durch die Reihen und schaute mir die Schreibübungen an. Kurz vor der Pause sagte Frau G.: „Tschüss, ich bin dann mal weg!" Sie wünschte sich noch ein Abschiedslied, und dann klingelte es. Die Kinder verabschiedeten sich mit Handschlag. Sie erklärte mir dann noch ein paar Materialien, und das war's! So wurde ich mir nichts dir nichts ins kalte Wasser gestoßen.

Nach der Pause musste ich alleine weitermachen. Aber das Eis war gebrochen, und am Ende des Vormittags kannte ich schon die Namen der meisten Kinder.

Und wenn ich an die Heerscharen von Schülerinnen und Schüler denke, die ich seitdem unterrichtet habe, so ist es selbst mir verwunderlich, dass ich diese erste Klasse nicht vergessen habe.