Als Handelsschüler in Daun

Werner Schönhofen, Leutesdorf

Die Schullandschaft in Rheinland-Pfalz und insbesondere im Vulkaneifelkreis ist heute recht vielfältig. Zu meiner Jugendzeit vor über 50 Jahren war das noch anders. Ich bin in Ulmen im Kreis Cochem in einer Gemeinde am Rande des Kreises Daun geboren. Mein Heimatort liegt ziemlich zentral im Dreieck der Städte Daun, Mayen und Cochem. In den 50er Jahren gab es in Mayen ein Gymnasium, in Cochem ein Progymnasium ohne Oberstufe, das bis zur Mittleren Reife führte und in Daun lediglich eine zweijährige Handelsschule mit Unter- und Oberstufe in zwei Klassen, die zudem noch eine Abteilung der Handelsschule Gerolstein war. Das Gymnasium für den Kreis Daun befand sich in Gerolstein. Ulmener Kinder, die ein Gymnasium besuchen wollten, mussten daher nach Mayen fahren. Aus meinem nicht kleinen Jahrgang bin ich der einzige, der eine weiterführende Schule besucht bzw. später studiert hat. Hierfür gibt es verschiedene Gründe. Ganz sicher hat es nicht an der mangelnden Intelligenz meiner Mitschüler gelegen, eher an den finanziellen Verhältnissen der Eltern, den Verkehrsverbindungen und dem nicht flächendeckenden Angebot an Schulen.

Wie kam ich nun zur Handelsschule? Ich wurde im Herbst 1954 nach damals achtjähriger Schulzeit aus der Katholischen Volksschule in Ulmen entlassen. Nachdem ich meine Bewerbung als Postjungbote bei der Oberpostdirektion Koblenz nicht rechtzeitig abgegeben hatte, war ich den Winter über zu Hause. Lehrstellenmangel gab es auch damals schon. Mittlerweile besuchten verschiedene Ulmener die Handelsschule in Daun. Hauptlehrer Arens schlug mir auch diese Möglichkeit vor; also bewarb ich mich. Damals musste an weiterführenden Schulen noch eine Aufnahmeprüfung gemacht werden, die ich mit noch einem Ulmener Jungen ablegte. Sein Onkel begleitete uns nach Daun, denn nach Daun kamen wir

nur selten. Ich bestand die Prüfung, mein Mitschüler leider nicht. Als wir wieder zum Bahnhof gingen, stand ein Dauner Prüfling im Ladeneingang des väterlichen Geschäftes und tönte überheblich: "Wie, ihr kommt jetzt erst?" Er hatte vorzeitig den Prüfungsraum verlassen und nicht bestanden. Ich hoffe, dass er trotzdem ein tüchtiger Geschäftsmann geworden ist. Die Mitteilung über die Aufnahme in die Handelsschule nach den Osterferien 1955 überbrachte mir ein Ulmener Handelsschüler. Ich erhielt sie als ich spätabends vom Pflügen mit unseren zwei Fahrkühen vom Feld kam. Jetzt begann eine neue Zeit. Um 6.30 Uhr morgens fuhren die Fahrschüler vom Bahnhof Ulmen in Richtung Daun und in Richtung Mayen. Die roten Triebwagen, die heute auch wieder von Kaisersesch bis Andernach fahren, kreuzten sich morgens in Ulmen. Auf unserer Strecke fuhren Schülerinnen und Schüler, die zwischen Kaisersesch und Darscheid wohnten, mit nach Daun. Einige, die in Darscheid zustiegen, hatten dann schon eine Fahrradtour z.B. von Steineberg hinter sich. Aus der anderen Richtung kamen welche, die in Dockweiler einstiegen, dazu Busbenutzer aus dem Liesertal bis Manderscheid. Schlimm war der Februar 1956 mit seiner bitteren Kälte, bis zu minus 21 °C in der Mittagsstunde. Die armen Mitschüler, die einen weiteren Weg zur Bahn hatten, kamen mit fast erfrorenen Ohren morgens in die Schule. Am frühen Nachmittag ging es dann wieder zurück. Wir durften einen Klassenraum als Aufenthaltsraum benutzen und machten dort unsere Hausaufgaben - im Gegensatz zu einigen Daunern, die mittags nach Hause gingen und morgens zum Abschreiben kamen. Natürlich haben wir auch kleine Spaziergänge in das Städtchen und seine nähere Umgebung gemacht. Auch vom Bahnhof hatten wir noch eine Strecke zurückzulegen zur Handelsschule, die sich neben Cafe Schuler befand. Unser Weg führte über

die Liesertalbrücke, von den Daunern spöttisch als „Eselsbrücke" bezeichnet. Sie waren ja die „Städter" und wir kamen vom Land, waren also die Esel. Hinter unserer Schule befand sich ein großer, trostloser Hof und dahinter das Katasteramt. Natürlich kostete die Schule auch Schulgeld, 20 DM im Monat, die bei der Kreissparkasse in Daun einzuzahlen waren. Da meine Mutter Kriegerwitwe war, bekam sie 22 DM Schulgeldzuschuss, das reichte dann nicht mehr für die Fahrkarte. Natürlich gab es auch Wiederholer. „Sitzenbleibern" wurde der Schulgeldzuschuss gestrichen. Daher strengte ich mich sehr an. So wurde ich von einem schwachen Schüler am Anfang zu einem der Klassenbesten am Abschluss. Natürlich fand das nicht allgemeine Zustimmung und ich hatte bald den „Ehrentitel" Streber. Nur, die lautesten Schreier hatten nach der Schule das Nachsehen. Nur etwa die Hälfte der Schülerinnen und Schüler hatte eine Stelle! Von anderen weiß ich jedoch, dass sie trotz des kurzen Schulbesuchs einiges erreicht haben. Innerhalb der Klasse war ein gewisser Altersunterschied gegeben, die Jüngsten waren wohl gut 15, die Ältesten volljährig, damals 21 Jahre. Natürlich wusste man schon, dass es „zweierlei Menschen" gab. Fehlende sexuelle Aufklärung wurde schulischerseits durch ein kleines Leseheft wettgemacht - damals schon revolutionär. Man himmelte sich in dem ein oder anderen Falle an und es sind sicher auch Verbindungen fürs Leben entstanden. Ein großer Magnet war auch das Kino, „Professor Sauerbruch" und „Das Lied der Bernadette" haben wir mit der ganzen Schule gesehen. Wir Fahrschüler trafen uns in Daun zum sonntäglichen Kinobesuch - ein billiges Vergnügen: Die Fahrkarte war auch sonntags gültig und der Platz im Kino kostete etwa 1,50 DM. „Die Fischerin vom Bodensee" ist mir noch in guter Erinnerung. Heimatfilme waren groß in Mode. Direktor Lofy in Gerolstein war auch für unsere Schule zuständig. Frau Grommes war in Daun seine Stellvertreterin und erteilte die kaufmännischen Fächer. Sie wohnte zunächst gegenüber der Schule in einem Haus am Aufgang zur Burg. Später hat sie dann ein Haus in der Gartenstraße gekauft mit einem großen Grundstück bis zur Lieser hinunter. Im Herbst

durften wir Fahrschüler aus Richtung Kaisersesch hier Zwetschgen pflücken bevor wir spätnachmittags nach Hause fuhren. Maschinenschreiben und Stenografie hatten wir bei Frau Offermann, sie kam mit ihrem Goggo von Gerolstein und hatte bei einer Fahrt nach Trier das kleine Auto aufs Dach gelegt. Gottseidank war ihr nichts passiert! Maschinenschreiben im Zehnfingerblindschreibsystem wurde im Takt nach Choralmusik mit einer vorgebundenen Pappe als Tastatur gelernt. Ich hatte mir zunächst eine Primitivausfertigung einer Schreibmaschine zum Üben gekauft, die ich später gegen eine Olympia-Kofferschreibmaschine eintauschte. Maschinenschreiben war eine große Hilfe in meinem weiteren Leben. Englisch und Französisch hatten wir bei Herrn Kremer. Er war nicht bei allen beliebt, denn er war streng. Ich habe bei ihm jedoch viel gelernt. Deutsch und Literaturgeschichte hatten wir bei Herrn Krings; seine Stunden waren ein Genuss! Ich bin ihm im späteren Leben begegnet, als er Schulrat in Daun und ich Lehrer in Kelberg war. Dann war da noch Politische Gemeinschaftskunde bei wechselnden Studienreferendarinnen. Samstags ging es etwas lockerer zu. Dechant Thomas versuchte uns die Wortbedeutung von Religion als Rückbindung an Gott beizubringen. Als er als Rektor ans Cusanusstift nach Bernkastel-Kues ging, trat ein junger Kaplan (evtl. Müller?) seine Nachfolge an, der ebenso gern gehört wurde. Herr Blümling, Vater des Mitschülers Hermann Blümling, erteilte samstags Gesangsunterricht. Ich glaube, da war ich keine Leuchte, zumal ich damals noch im Stimmbruch war. Sportunterricht fand nicht statt. Aus irgendeinem Anlass bekamen wir einen Fußball, mit ihm wurde jedoch nur ein paar Mal auf dem Marktplatz gespielt. Wir hatten auch einen Hausmeister. Herr Empt wohnte mit seiner Familie im Haus. Sie waren wohl in Köln ausgebombt. Vor den Osterferien 1957 fanden die Abschlussprüfungen statt. Ich weiß nicht, was wir angestellt hatten, jedenfalls fanden keine Abschlussfeier und auch keine Abschlussfahrt statt. Ansonsten gab es jedes Jahr einen großen Ausflug, 1955 nach Luxemburg, 1956 zur Drupa (Ausstellung Druck und Papier) in Essen, wo ich Wirtschaftsminister Ludwig

Ehrhardt mit seinem Stab erlebte. Wir organisierten selbst eine Abschlussfahrt, fuhren mit einem Kleinbus nach Koblenz, besichtigten die Stadt und das Deutsche Eck und landeten schließlich passend im Film „Die Feuerzangenbowle". Ende März war die Schulzeit zu

Ende. Am ersten April begann ich - zusammen mit meinem Mitschüler Rolf Schramm - die Ausbildung bei der Post und war bis zum Ende des Jahres in Daun tätig. Dann ging es munter durch den Bezirk der Oberpostdirekton Trier -aber das ist eine andere Geschichte!