Ländliche Berufsschule 1952

Mit Herz für die Dorfjugend

Maria-Agnes Pinn, Steffeln

1952, nach unserer Schulentlassung Ende August, hatten wir das große Glück, ab September nahtlos in die ländliche Berufsschule im Dorf überzuwechseln. In Steffeln bestand die Volksschule damals schon aus zwei Klassen. Eine Unterklasse und Oberklasse. Schulleiter war Herr Toni Redagne. Er war Lehrer der Oberklasse und Berufschullehrer der Jungen. Für die Unterklasse war Fräulein Clara Hontheim zuständig. Dieselbe wurde zum Glück auch Berufschullehrerin für uns Mädchen. Schülerinnen aus Duppach wurden der Berufsschule in Steffeln zugeteilt und kamen mit dem Fahrrad nach hier. Mit Fräulein Hontheim als Berufschullehrerin hatten wir das große Los gezogen. Sie war nur ein paar Jahre älter als wir und konnte sich sehr gut in unser Gemüt hinein versetzen. Dank ihrer Mutter als Näherin war Clara trotz ihrer Jugend bestens vorbereitet, uns mit viel Geduld und Liebe nähen, stricken, häkeln und sticken beizubringen. Auch lernten wir bestens an Ort und Stelle kochen, weil ihre Mutter uns großzügigerweise ihre Küche zur Verfügung stellte. Selbstverständlich zum Nulltarif. Damals fragte noch keiner: Was habe ich davon oder was bekomme ich dafür? In Deutsch und Mathe sowie Aufsatz lernten wir noch sehr viel, was nötig zum Leben war. Denn durch Kriegseinfluss hatten wir nur sieben Jahre Volksschule besucht. Sämtliche Schriftführungen an Behörden und Geschäftspartner sowie Geldüberweisungen brachte sie uns sehr genau und präzise bei. Damals war der Schriftwechsel noch übersehbar, es herrschte nicht so ein Mammut an Papierdschungel wie heute. Sport war sogar angesagt einfach am Boden, weil wir ja noch alle Röcke trugen. Sehr beliebt bei uns war Völkerball draußen, auch während der Pause. Jedoch die tollste Gaudi erlebten wir vor oder nach der Schule, wenn Trina, ein couragiertes Mädchen aus Duppach,

mit dem Motorrad da war. Wer Lust und Mut hatte, und das war bei vielen der Fall, durfte auf ihrem Sozius eine Runde auf dem Schulhof mitfahren. Der war damals noch rau mit Splitt versehen. Trotzdem drehte Trina alle Runden ganz sicher mit uns, so dass nichts passierte. Clara Hontheim opferte sogar mit großer Freude sonntags und in den Ferien ihre Freizeit für uns. So lernten wir mit einem alten Grammophon, das mit Kurbel per Hand funktionierte, und mit fünf Schallplatten tanzen. An Karneval durften wir uns sogar mit meist alten Kleidern von Oma schmücken. Ganz ohne Alkohol freuten wir uns riesig beim Erlernen von Walzer, Rheinländer, Polka, Foxtrott zu den alten Liedern von Willi Schneider. „Das kannst du nicht ahnen, du munteres Rehlein", klingt mir heute noch froh in den Ohren. Im Winter fuhr sie Ski mit uns - auf meterhohen Schneedecken und selbstgebauten Sprungschanzen. Einmal übten wir sogar ein großes Theaterstück ein: „Syra, die christliche Sklavin". Das wurde mit vollem Erfolg an Ostern vor zweihundert Gästen aufgeführt. Im Sommer machte sie Ausflüge per Fahrrad mit uns nach Schwammenauel zur Talsperre mit Schiffstour. Die Übernachtung fand in der Jugendherberge Gemünd statt. Auch fuhren wir mit dem Zug nach Bad Neuenahr. Dort

trafen wir in der Jugendherberge auf sehr viel modernere Jugendliche, als wir Eifler waren. Die meisten trugen dort schon Dreiviertelhosen mit Nickis, wir dagegen alle noch lange, weite Röcke. So öffnete unsere gute Lehrerin uns das Tor zur Welt. Dank Fräulein Clara mit besonders großem Herzen wurden alle kriegsgeschädigten Schülerinnen sehr gut gerüstet für ihr Leben.