Dockweiler - ein Ort im Kaiserreich

Dieter Bernardy, Hillesheim

Die Mutter des Autors, Hilde Bernardy, trat am 1. August 1958 ihren Dienst als Lehrerin an der Volksschule in Dockweiler an. Sie bereitete Texte aus der Schulchronik auf, die über Ereignisse zwischen 1702 und 1918 berichten, und verwendete sie im Unterricht. Die Texte werden hier in Auszügen mit redaktionellen Anpassungen veröffentlicht. Sie geben einen regen Einblick in die Lebensverhältnisse im

Dorf.

Vom Postwesen in Dockweiler

Betreffs der Post ist Folgendes zu sagen: Im 18. Jhd. ging vom Bürgermeisteramt von Dockweiler ein Briefbote mit dem Postsack nach Daun - für lange Zeit. Später fuhr ein Karren mit einem Pferde zwischen Daun -Dockweiler - Hillesheim. Eine Person konnte zusätzlich mitfahren. Später fuhr ein zweispänniger Wagen von Daun nach Hillesheim, der mit Leinwand überspannt war. Nach dem Straßenbau (1841-1842, 1860er Jahre) war dann regelmäßiger Postverkehr von hier aus nach Daun, Gerolstein und Kelberg. Die Posthalterei hatte der Vater des Inhabers des Gasthauses zur Post, Herr Guthausen (in den 1890er Jahren). Später hatte Dockweiler eine Postagentur.

Der letzte Postwagen 1895

Heute Abend am 14. Mai 1895, nachdem wir dem alten Lehrer Zander in Bolsdorf - gebürtig aus Dockweiler - in Hillesheim Abschied gefeiert hatten, warteten wir mit dem Herrn Kreisschulinspektor Gürten im Gasthaus Guthausen auf die Post, die 10.45 Uhr von Gerolstein her hier eintreffen und dann nach Daun fahren sollte. Sie hatte fast eine ganze Stunde Verspätung. Doch dies war leicht erklärlich: Es war der letzte Postwagen, der durch Dockweiler fuhr. Einen eigentümlichen Eindruck machte die nachfolgende Feier des historischen Ereignisses. Der Postwagen war

mit Kränzen und Fahnen aufs Schönste geschmückt. Sehr viele Ortsbewohner hatten sich vor der Posthalterei versammelt und schrien bei Ankunft des Wagens ein brausendes „Hurra!" in die stille Mondennacht hinein. Der Postillion, in eher heiterer Stimmung, brachte einen Toast auf die deutsche Reichspost aus. Die ganze Menge stimmte fröhlich ein und sang dann auch die Kaiserhymne („Heil dir im Siegerkranz, Herrscher des Vaterlands!,..."). Der Postillion blies auf seinem Horn dazu. Nun stieg der letzte Fahrgast ein. Es war der Herr Kreisschulinspektor Gürten aus Daun.

Zur Eröffnung der Eisenbahn am 15. Mai 1895 - Linie Mayen/Ost - Gerolstein

„Es kann ja nicht immer so bleiben hier unter dem wechselnden Mond; die Bahn muss die Posten vertreiben soweit es nur immer sich lohnt." Nachdem wir gestern Abend an der Post ein eigenartiges Abschiedsfest gefeiert haben, begrüßen wir heute mit Freuden das prachtvoll gezierte Dampfross bei der feierlichen Eröffnung des Bahnstrecke Gerolstein, Daun, Andernach. In dem Festsonderzuge waren der Herr Oberpräsident Exzellenz Nasse, die H.H. Regierungspräsidenten v. Heppe, Trier, und v. Itzenblitz, Koblenz, sowie eine Anzahl anderer hoher Herren zugegen, die in Daun sich mehrere Stunden aufhielten, wo dann auch seitens der Bewohner gebührend gefeiert wurde. Hier in Dockweiler wurde der geschichtliche Akt, das historische Ereignis, der Beginn des neuen Abschnittes unserer Heimatgeschichte nicht einmal durch Beflaggen der Häuser angedeutet und zwar aus folgendem Grunde: Der hiesigen Bahnstation hat man nachträglich auf Wunsch der Dreiser den Namen „Dockweiler-Dreis" gegeben, während in dem früheren Vertrage, den die Gemeinde Dockweiler mit der Eisenbahndirektion geschlossen hatte, geschrieben war, dass Dockweiler und nicht Dockweiler-Dreis

einen Bahnhof erhalten soll. Dies ist für Dockweiler eine Schmach, weshalb die Bewohner Dockweilers hierüber furchtbar erbittert sind, auch weil der Name nur für Dreis gilt, denn es muss in der weiten Gegend "Dockweiler-Dreis" genannt werden zum Unterschiede von den vielen andern Dreis. Absolut war kein Grund vorhanden, die hiesige Bahnstation anders als Dockweiler zu nennen, denn Dockweiler ist Pfarrort, Bürgermeisterort, hat ein Postamt, hat schöne Gasthäuser und Geschäfte, ist also bedeutend genug, den Namen einer Bahnstation auf sich allein zu übernehmen. Auch ist das häufige Vorkommen des Namens auch nicht Schuld daran. Dockweiler hat viel und Dreis nichts zum Bahnbau hergegeben. Dreis hat, trotz eingereichter Beschwerden, obwohl es nur eine Filiale von Dockweiler ist und auch nichts so Bedeutendes wie Dockweiler aufzuweisen hat, den Sieg davon getragen. Auch spricht man von materiellem Schaden, der Dockweiler durch diese Zurücksetzung erwüchse. Doch genug des Zankes, König Dampf hat heute seinen Einzug gehalten bei uns, und wir freuen uns, und es lebt die ganze Gegend neu auf, denn Tausende hatten noch nie eine Eisenbahn benutzt. Lange hat es gedauert, und hoffentlich bewährt sich das Sprichwort, dass, was lange währt, auch endlich gut wird. Am 6. Februar 1888 hatte der Kreistag des Kreises Daun die grundlegenden Beschlüsse in Sachen der Linie Mayen-Gerolstein gefasst, unterm 11. Mai 1888 ist das Gesetz über die Bewilligung des Staatszuschusses verabschiedet worden, das Kaiser Friedrichs III. Unterschrift trägt. Am 23. Juli 1889 hat der Kreis Cochem und am 21. Juli 1890 der Kreis Mayen sich zur Übernahme des Grunderwerbs entschlossen. Und wiederum verfloss eine geraume Zeit bis zwischen Fiskus und den drei Kreisen der Vertrag getätigt wurde, der von den Kreisverwaltungen zu Cochem am 26. November 1890, zu Mayen am 18. Dezember 1890, zu Daun am 16. März 1891 und den vormaligen Eisenbahndirektionen Köln (linksrheinisch) am 12. Juni 1891 vollzogen wurde. Im Mai 1892 wurden die Arbeiten auf der neuen Strecke Mayen-Gerolstein in Angriff genommen. Am 5. Mai 1894 wurde der Grundstein zum Dockweiler Bahnhof gelegt.

Postillion Josef Walper fährt Gäste vom Dauner Bahnhof nach Manderscheid, um 1925 © Archiv Alois Mayer, Daun-Pützborn

Auszüge aus der Schulstatistik von 1896

Der Schulstandort Dockweiler ist eine politische Gemeinde und sie ist allein Trägerin der Unterhaltungskosten der Schule. Der Lehrer hat nur einen Garten. Derselbe ist 0,04 ha groß und hat einen Grundsteuer-Reinertrag von 24,00 Mark pro Hektar. Es wird freie Wohnung gewährt. Dieselbe befindet sich im Schulgebäude. Die Taxe des Jahresmietwertes beträgt 75,00 M. Das Gesamteinkommen des Lehrers beträgt 1050,00 M pro Jahr. Hierzu fließen aus der Gemeindekasse 532,00 M und aus der Staatskasse 518,00 M. Für den Hausarbeitsunterricht werden 60,00 M pro Jahr aufgewendet. Miets- und Feuerungsentschädigung werden nicht gewährt. Der Feuerungswert beträgt 100,00 M. In den Jahren 1894,

1895, 1896 werden 372 M./149 M./120 M. für Reparaturen, 45 M./49 M./46 M. für Heizung und Reinigung und 94 M./119 M./95 M. für Lehr- und Lernmittel ausgegeben. (Anm.: Mark und Pfennige, Währung des Deutschen Kaiserreichs (1871). Zum Vergleich: um 1900 Monatslohn eines Chemiearbeiters: etwa 120 Mark; 1 Kilo Butter: 1 Mark, 86 Pfennig; 1 Zentner Kartoffeln: 2 Mark, 63 Pfennig)

Kaiserbesuche

Am 20. Oktober 1911 durchfuhr der Kaiser zweimal unseren Ort, der festlich mit Tannen und Fahne geschmückt war. Vor fünf Jahren (am 20.10.1906) war dasselbe der Fall. Unter Glockengeläute passierte Sr. Majestät gegen 12 Uhr zum ersten Mal unser Dorf, stürmisch bejubelt von der Schuljugend und den Orts-

bewohnern. Es waren sechs Automobile. Der Kaiser saß im ersten Auto, das langsam fuhr. Er trug eine Garde du Corps-Mütze. In Daun wohnte er der Enthüllung des Kaiserbrunnes bei. Nach dem Frühstück setzte er seine Reise weiter fort, die zum zweiten Male durch unseren Ort führte. Mitten in dem Ort wurde die Kurve nach Gerolstein sehr langsam ge-

Meine Schule und

Josef Schmitz, Udersdorf

Meine Schulzeit fiel in eine ganz, ganz unruhige Zeit: Aufbau des Dritten Reiches und Weltkrieg. Zwei Jahre besuchte ich noch die alte Schule im Dorfkern. Dann wurde die Volksschule am unteren Löhwaldrand gebaut, für diese Zeit eine sehr moderne Schule mit drei großen Klassenzimmern im Erdgeschoss und sechs großen Fenstern nach Südwesten hin. Zwei Klassenzimmer konnten durch eine spanische Wand in einen großen Saal umgewandelt werden. An den Flurenden befanden sich Toiletten für Mädchen und Jungen. Im Obergeschoss waren eine moderne Kochküche, ein Werkraum und ein Filmsaal. Die Einweihung der Schule fand mit allem Prunk und Protz zu Ehren Adolf Hitlers statt. Alle Schulkinder erhielten einen „Zuckerweck". Es durfte nur mit „Heil Hitler" gegrüßt werden. Die Gebete vor und nach dem Unterricht fielen weg. In einem Begrüßungswort hieß es: „Die Sünde wider Blut und Rasse ist die Erbsünde dieser Welt." Im Gesangsunterricht gewannen Hitler-Lieder die Oberhand. Unsere Lehrer waren Herr Breusted (aus dem Harz), Herr Stark (aus Gerolstein) und Fräulein Müller (von der Saar). Da Breusted und Stark sehr bald zur Wehrmacht eingezogen wurden, unterrichtete Fräulein Müller eine Zeitlang allein. Es kamen immer wieder junge Lehrer hinzu, die der Nazizeit entsprechend ausgebildet waren und demgemäß lehrten. Später kam ein

nommen. Die jetzt an dieser Stelle aufgestellte Kinderschar und Volksmenge zeigten von neuem durch donnerndes „Hurra!" ihre Liebe und Begeisterung zum Herrscher. Wiederholt grüßte und dankte Sr. Majestät aufs freundlichste. (Am 15.10.2013 fuhr Kaiser Wilhelm II. zwei Mal durch Dockweiler. An diesem Tag war er bei der Einweihung der Erlöserkirche in Gerolstein.)

Schulzeit

Lehrerehepaar aus Ostpreußen zur Unterstützung von Fräulein Müller an unsere Schule: Lehrer Bruno Regher und seine junge Frau Mi-la; die beiden waren 44 und 22 Jahre alt. Zu unserem Schulalltag gehörte das Sammeln von Tee, der im Werk- oder Filmraum getrocknet und nach Daun zur Bahn gebracht wurde. Außerdem mussten wir Kartoffelkäfer suchen. Uns wurde erzählt, dass sie von Feindflugzeugen abgeworfen würden, um den Gegner zu schwächen. Wir sammelten Altmetall und lagerten es auf dem Schulhof, bis ein Händler es abholte.

Mein Banknachbar in der gesamten Schulzeit war Heinrich Müller. Trotz des dauernden Lehrerwechsels und des häufigen Unterrichtsausfalls hatten wir beiden immer gute Zeugnisse. Aber wir ärgerten uns oft darüber, dass wir die Aufsätze, die wir als Hausaufgabe aufbekamen, oft nicht vorlesen durften. So schrieben wir einfach keine mehr. Eines Tages wurde ich zum Vorlesen aufgerufen. Ich schaute in mein leeres Heft und las, als wenn dort etwas stehen würde. Da sagte der Lehrer, ich solle ihm das Heft nach vorne bringen. Er drehte es mehrmals um, es war leer, aber der Lehrer sagte: „Dein Aufsatz war gut." Ich denke trotz der schweren Zeiten und Erlebnisse gerne an meine Schulzeit. Denn als Kinder sieht man manches anders als Erwachsene.