Die Schultüte

Clara Zins-Grohe, Gerolstein

Können Sie sich noch an Ihre Schultüte erinnern? Vor 55 Jahren fieberte ich dem ersten Schultag entgegen. Neben einer großen Portion Aufregung, einem Schulranzen, von Oma und Opa spendierter neuer „Schul-Kleidung gehörte natürlich auch die Vorfreude auf eine Schultüte zu diesem besonderen Ereignis. Mithilfe der aus Papier gebastelten Tüte sollte uns Kindern die Angst und Unsicherheit in den ersten Schultagen genommen werden.

Wie gelangte dieser schöne Brauch in die Eifel?

Vor 200 Jahren (überliefert 1817 Jena) verbreitete sich der Brauch von Thüringen und Sachsen aus schließlich bis ins Rheinland und

zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch in der Ei-fel. Hier waren meist die runden, etwa 70 Zentimeter langen Zuckertüten vertreten, während man im Osten sechseckige von 85 Zentimeter Länge bevorzugte. Anfangs waren es die Paten, die den Kindern die Zuckertüten überreichten. Sie oder auch die Eltern verzierten die Rohlinge mit Goldfolie, farbigem Silberpapier, Glanzbildchen und buntem Krepppapier. Meine war goldgrün und wunderschön glänzend. Sie enthielt eine gute Mischung aus Süßigkeiten, Apfelsine, Apfel, Schulutensilien und natürlich Stifte. Auch von meiner Mutter aus buntem Baumwollgarn liebevoll gehäkelte Tafelläppchen fehlten nicht. Diese waren wichtig,

um bei zukünftigen Schreibübungen die kleine Schiefertafel zu reinigen (die kratzenden Griffel auf den Tafeln erzeugten in den kommenden Wochen bei mir regelmäßig „Hühnerhaut"). Ein besonderer Schatz in meiner Schultüte war neben einem Springseil auch Schultafelkreide -denn damit konnte man auf dem Schulhof zur Pause Kästchen für das Hüpfspiel „Himmel und Hölle" aufmalen. Von meiner Tante Rosemarie und Patenonkel Albert bekam ich noch ein schönes Märchenbuch in Schreibschrift, von Tante Marlies, die aber nie „Tante" genannt werden wollte (wegen des geringen Altersunterschiedes), bunte Glasmurmeln in einem „Kli-ckersäckchen". Mit jüngeren Brüdern die Süßigkeiten zu teilen, machte stolz. So ein „erster Schultag" war schon etwas Besonderes. Damals war es ein schöner Brauch. Jahrzehnte später wurde es teilweise zum Kult, ja, zum Statussymbol. Heute veranstalten Geschäfte in Großstädten regelrechte Aktionstage mit preisgekrönten Wettbewerben. Man spricht sogar von „Schultüten-Trends" mit Fußball, Einhorn,

Minions- und anderen angesagten Motiven. Der Inhalt wurde immer wertvoller, die Tüten selbst immer protziger. Selbst für Brüderchen und Schwesterchen werden „Geschwistertüten" angeboten - damit das frischgebackene Schulkind erst gar nicht in die Situation des Teilens kommt.

Im Landkreis Vulkaneifel ticken die Uhren aber Gott sei Dank noch etwas anders. Hier werden tolle Schultüten in kreativen Kindergartengruppen gebastelt (wie zum Beispiel auf dem Foto die von Katharina Krämer aus Birresborn). Jedes Kind hat so die Chance auf eine gleichermaßen schöne Schultüte... so wie es einst der Brauch war. Heute wie früher darf natürlich auch das Erinnerungsfoto (siehe Anlage) nicht fehlen. Früher stand der Gerolsteiner Fotograf Freddy Lange bereit. Er hat viele Jahrgänge auf der Treppe der Sankt-Josef-Schule abgelichtet. (Dank an Rainer Nowotny, der den Foto-Nach-lass verwaltet, für die Aufnahme mit meiner Schultüte).