Die Lirstaler Schule vor und nach dem Zweiten Weltkrieg

Tamara Retterath, Lirstal

Die 1934 geborene Lirstalerin, Adele Göbel, berichtet von ihren Erinnerungen über die Schule in ihrem Ort:

Ich wurde 1941 im Alter von 7 Jahren bei dem Lehrer Herrn Hermann eingeschult. Wir waren der erste Jahrgang, dessen erster Schultag im Spätsommer war. Vorher waren die Jahrgänge noch um Ostern eingeschult worden und nach meiner Schulzeit ging das neue Schuljahr auch wieder um Ostern herum los. Die Lirstaler und Oberelzer Kinder besuchten die Schule in Lirstal. Erst einige Zeit später verfügten die Oberelzer wieder über einen eigenen Lehrer in ihrer neuen Schule. Zu Beginn

des neuen Schuljahres am 18.08.1944 gingen 69 Schüler in die Listaler Schule, ab Weihnachten 1945 erhöhte sich diese Zahl sogar auf 72 Schüler. Alle acht Jahrgänge wurden in einem Klassenraum von einem einzigen Lehrer unterrichtet. Bis auf Religion, das der Herr Pastor lehrte, und Handarbeiten für die Mädchen, erteilt von einer weiblichen Lehrkraft, war unser Lehrer für alle Schulfächer zuständig. Da es während der Kriegs- und Nachkriegsjahre an Papier mangelte, schrieben wir zunächst mit dem Griffel auf eine kleine Schultafel, die immer wieder ausgewischt und neu beschrieben wurde. Erst nach dem Krieg, als wir schon

wesentlich älter waren, gab es Schreib- und Rechenhefte, die wir mit einer Schreibfeder beschrieben, die immer wieder ins Tintenfass getaucht werden musste. Nach ungefähr zwei Jahren meiner Schulzeit wurde unser Lehrer Herr Hermann, der seinen Dienst in Lirstal am 01.09.1938 begonnnen hatte, am 01.09.1943 nach Polch versetzt, blieb aber noch bis 24.01.1944 an unserer Schule abgeordnet. Am 25.01.1944 wurde uns Herr Otto Meyer zugeteilt, der bis zu seinem Ruhestand im Jahre 1951 der Volksschule in Lirstal treu blieb. Unser Lehrer Herr Meyer legte sehr viel Wert auf Heimatkunde. Er unterrichtete sehr gerne Geografie am Beispiel von Lirstal und Umgebung und in Biologie die Flora und Fauna unserer Region. Er unternahm mit uns Tageswanderungen zum Hochkelberg und Mos-brucher Trockenmaar. Hier referierte er über die dort lebenden Tiere wie Frösche und Libellen und Pflanzen wie Schilf, Binsen und Sumpfdotterblumen. Er zeigte auch gerne Gesteinsproben von der Uersfelder Schwerspatgrube aus seiner privaten Sammlung. Sein Steckenpferd war die Namenskunde. So vermutete er, der Name „Maifeld" käme daher, dass die Hasenjagd der Fürsten im Mai auf dem Felde stattfand.

Unserem Lehrer war auch wichtig, dass wir, neben dem Lesen und Schreiben, im Rechnen wenigstens die für die Landwirtschaft wichtigen Themen wie Längeneinheiten, Volumen und Gewichte beherrschten.

Während des 2. Weltkriegs fiel für einen Zeitraum von 13 Monaten die Schule gänzlich aus. Unsere Schulzeit verlängerte sich dadurch aber nicht. Trotz dieses langen Ausfalls wurden wir acht Jahre nach Einschulung mit dem Volksschulabschluss entlassen. Zur WiedererÖffnung der Schule nach dem Ende des Krieges am Montag, dem 01.10.1945, mit dem Landrat, dem Ortsbürgermeister, dem Verantwortlichen der französischen Besatzungsmacht, dem Lehrer und dem Herrn Pastor sagte eine kleine Schülerin in der Feierstunde am Vortag des Schulstarts, am Sonntag, dem 30.09.1945, ein Gedicht auf. In ihm war die Rede davon, dass „wir sooo lange Ferien hatten", wobei sie die Arme weit ausbreitete. Unser erster Schulausflug nach dem Krieg in die weitere Umgebung fand mit dem Lastwagen statt. Für die Fahrt musste jedes Kind zwei Eier abgeben. Auf die offene Ladefläche wurde an den Seiten jeweils ein hohes Gitter angebracht, sodass niemand hinausfallen konnte.

Gruppenfoto der Lirstaler Schulkinder im Frühling 1949.

Die Lirstaler Kinder beim Ausflug auf dem Drachenfels im Juli 1950.

Nun wurden Holzbänke am Rand aufgestellt und fest angebracht, so dass die Sicherheit gewährleistet war. Mit unserem Lehrer steuerten wir am Morgen des 27.08.1947 zunächst die Benediktinerabtei Maria Laach an, wo wir uns neben der Klosterkirche den See und die Hoftiere anschauten. Nächste Station unseres Ausflugs war Andernach, um die dortige Marienkirche zu besichtigen, in der wir auch ein Lied sangen. Hier in Andernach trafen wir zufällig unsere damals in Andernach lebende frühere Handarbeitslehrerin. Ihre Tochter, die öfter beim Unterricht zugegen gewesen war, erkannte uns zuerst: „Mama, Mama! Da sind die Lirstaler!" Die Wiedersehensfreude auf beiden Seiten war groß. Danach ging es entlang des Rheins, den viele von uns zum ersten Mal sahen, zum Deutschen Eck in Koblenz. Die noch durch den Krieg zerstörten Gebäude der Stadt hinterließen bei uns einen sichtlich tiefen Eindruck. Richtung Heimat ging es schließlich durch das schöne Moseltal mit seinen Weinbergen und Burgen. Die Mündung der Elz bei Moselkern war in jenem Jahr außergewöhnlicher Weise völlig ausgetrocknet. Letzter Höhepunkt war eine Fahrt mit der Fähre von Cochem nach Cond, die uns allen wohl in dauerhafter Erinnerung blieb, bevor es auf dem Weg zurück nach Lirstal wieder die Eifel-höhen hinauf ging.

Um das Fahrgeld für einen späteren Ausflug zusammenzubekommen, pflückte ich im Sommer zwei Eimer wild wachsender Himbeeren,

die ich an den Kolonialwarenladen des Nachbarortes verkaufte. So konnte ich mir die Tagesfahrt leisten. Es ging diesmal mit dem Bus nach Königswinter an den Rhein und von dort zu Fuß hinauf zum Drachenfels. Als Proviant hatten wir Butterbrote dabei und tranken Wasser aus dem Brunnen.

Aus mündlichen Berichten des (fast) zwei Generationen vor mir geborenen Lirstalers Peter Michels (geboren am 20.07.1894, gestorben am 01.11.1978), weiß ich, dass die neu errichtete Schule in Lirstal, als der Schulbetrieb am 01. November 1897 losging, noch nicht über Schulbänke verfügte. Schulbänke und -tische waren damals noch zu einer Einheit zusammengebaut. Die Lirstaler Schüler standen somit eine Zeit lang, so lange bis Schulbänke angeschafft werden konnten, mit dem Rücken an die Wand gelehnt, damit sie einen stabilen Halt hatten, und verfolgten den Unterricht die ganze Zeit stehend mit Blick auf die Tafel. Eines Tages (auch vor meiner Zeit) wurde der Lirstaler Lehrer, der sehr beliebt bei Schülern und Eltern war, an die Retterather Schule versetzt. Die Schüler trauerten dem alten Lehrer hinterher und wollten sich nicht damit abfinden. Sie beschlossen zu streiken. Alle Schüler gingen am ersten Schultag nach den Ferien an der Lirstaler Schule und dem verdutzten neuen Lirstaler Lehrer vorbei und marschierten weiter bis zur Retterather Schule, wo ihr alter Lehrer nun seinen Dienst tat. Dieser machte große Augen als seine Lirstaler Schüler geschlossen vor ihm standen, doch er sprach ruhig und verständnisvoll mit ihnen: „Es tut mir sehr leid, aber ich kann euch hier nicht unterrichten. So gerne ich es auch tun würde, aber ihr müsst wieder zurück nach Lirstal zur Schule gehen." Das taten die Schüler dann auch. Mit ihrem Streik hatten sie leider nichts erreicht. Sie fügten sich ihrem Schicksal und gewöhnten sich langsam an den neuen Lehrer. So hat das kleine Lirstal bereits eine reiche Schulgeschichte. In jeder Hinsicht waren die Möglichkeiten damals wesentlich bescheidener als heute. Trotzdem habe ich meine Schulzeit in guter Erinnerung. Besonders die gute Kameradschaft unter uns Schülern möchte ich erwähnen, Ausgrenzung und Mobbing kannten wir damals nicht.